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Popkultur

Waving the Guns erzählen, wie man Rechten ihrer Meinung nach entgegentreten sollte

"Ich war 14, als mir Nazis den Strick gezeigt haben, mit dem sie mich am Baum aufknüpfen wollten", erzählt Dub Dylan. Muss "Demokratie das aushalten können", wie es im Titel des neuen Albums der Gruppe heißt?
Waving the Guns
Foto: David Henselder | Pressematerial | AUDIOLITH Booking

Zwei Stockwerke über dem lauten Treiben am Kottbusser Tor in Berlin treffe ich Waving the Guns, zumindest zwei von ihnen: Milli Dance und Dub Dylan warten in der "Paloma Bar". Am Wochenende ravt man hier in Wohnzimmeratmosphäre mit direktem Blick auf die U-Bahnstation, heute sitzen die zwei Rostocker in einer verlassenen Sitzecke. Beide drehen sich Zigaretten, trinken Club Mate und Cola. Milli Dance trägt einen grauen Crewneck-Pullover, Dub Dylan eine rote Sportjacke. Bevor ich die Aufnahmetaste des Diktiergerätes drücke, tauschen wir uns noch über aktuelle Kinofilme aus. Jemand schlägt Bohemian Rhapsody vor. Den möchte aber keiner von beiden gucken. Die Atmosphäre ist entspannt, wenn nicht gar ein bisschen heimisch.

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VICE: Euer neues Album heißt Das muss eine Demokratie aushalten können. Was genau muss sie aushalten können?
Milli Dance: Die Definition lautet: Eine Demokratie muss aushalten können, dass die Leute, die in ihr leben, nicht alle dieselbe Meinung haben. Den Titel ist aber auch ein Angriff auf die Phrase. Den Spruch haben wir oft in Bezug auf Naziaufmärsche gehört. Selbsternannte Demokraten sagen, man müsse die Nazis und ihre Haltung aushalten können. Muss man das?

Außerdem ist der Titel eine sarkastische Umkehrung: Ihr müsst auch aushalten können, was wir euch erzählen. Und am Ende ging es vor allem darum, einen schmissigen Titel für ein Album zu finden, seien wir mal ehrlich.

Wollt ihr mit eurer Musik politische Verantwortung übernehmen?
Milli Dance: Nein, eigentlich nicht.

"Nur weil wir Musik machen, sind wir nicht mehr in der Verantwortung als jeder andere Mensch. Musikmachen ist in unseren Augen erstmal was Egoistisches." – Milli Dance

Nicht? Euer Albumtitel ist doch sehr politisch?
Milli Dance: Musik muss nicht zwingend etwas mit Politik zu tun haben. Aber ich denke schon, dass es gut und förderlich sein kann, wenn Künstler, sofern sie die Möglichkeit dazu haben, ihre Reichweite nutzen. Manchmal geht es eben um mehr, als um den Künstler. Ich sehe aber niemanden in der Pflicht. Bei uns entsteht die politische Komponente, weil wir das so wollen, weil die Auseinandersetzung mit solchen Inhalten zu unserem Leben dazu gehört. Wir hatten von Anfang an diese Komponente drin, deswegen ist das bei uns so. Wir sind politisch, aber nicht zwingend in der Verantwortung. Jedenfalls nicht mehr als jeder andere Mensch, nur weil wir Musik machen. Musikmachen ist in unseren Augen erstmal was Egoistisches.
Dub Dylan: Jeder Künstler hat die Wahl: Lässt man alles so wie es ist, oder sagt man etwas dazu?

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Findet ihr, dass Rap eine größere politische Verantwortung zukommt als anderen Musikrichtungen?
Milli Dance: An sich nicht. Aber natürlich ist HipHop beziehungsweise Rap in all seinen Spielarten gerade eine der wichtigsten Jugendkulturen. Insofern wäre es auch hier wünschenswert, progressive Inhalte zu vermitteln. Was für mich selbstverständlich ist: dass wenn man sich HipHop zu eigen macht und Interpretationen dieser Kultur erschafft, man auch ein Bewusstsein dafür haben sollte, wo der ganze Kram überhaupt herkommt, was für Wurzeln das hat und das es natürlich komplett lächerlich ist, irgendeinen rassistischen Müll im Kontext von HipHop abzulassen.


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Der Track "Ich werde mich verteidigen" drückt nicht nur Misstrauen, sondern auch Frust gegenüber dem Staat und seiner ausführenden Gewalt aus. Wie und wann habt ihr euch politisiert?
Milli Dance: Der Ursprung lag darin, dass ich von Nazis umgeben war und da auf gar keinen Fall zugehören wollte. Ich weiß noch, dass ich ziemlich früh gelernt und auch gefühlt habe: Nazis sind scheiße. Meine Erziehung hat da mit reingespielt und ich habe vernünftige Leute kennengelernt Wir wollten uns von den Nazis abgrenzen. Mit organisierten antifaschistischen Gruppen bin ich erst später in Kontakt gekommen. Dadurch habe ich mich auch inhaltlich weiterentwickelt, weg von "Fuck the System", hin zu: Wie funktioniert Kapitalismus eigentlich? Und warum ist es total sinnlos, einen McDonald's zu zerkloppen? Da habe ich also eine tiefergehende politische Bildung erfahren und mich wiederum natürlich auch mit linken, antifaschistischen Selbstverständnissen kritisch auseinandergesetzt.
Dub Dylan: Im Alter von sieben Jahren habe ich das Pogrom von Lichtenhagen im Fernsehen gesehen. Das war der früheste Moment, an den ich mich erinnern kann, in dem ich dachte, dass das auf jeden Fall keine coolen Menschen sind. Ich bin in einem vorpommerschen Dorf aufgewachsen, wo man als Dorfpunk auch das ein oder andere Erlebnis mit Nazis hat. Damals dachte ich schon: So geht das einfach nicht.

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"Ich war 14, als mir Nazis den Strick gezeigt haben, mit dem sie mich am Baum aufknüpfen wollten." – Dub Dylan

Welche Erfahrungen habt ihr denn privat schon mit Nazis gemacht?
Dub Dylan: Ich war 14, als ich noch als Punker auf dem Dorf unterwegs war, da haben mir Nazis den Strick gezeigt, mit dem sie mich am Baum aufknüpfen wollten.
Milli Dance: Es gab verschiedene Erlebnisse. Freunde, die angegriffen wurden, eine zeitlang sehr konkrete Bedrohungslagen, aber eben auch immer wieder eine gewisse Gegenwehr. Ich denke, die meisten Jugendlichen, die eher nicht rechts, oder klar dagegen waren, und aus der Provinz Mecklenburg-Vorpommerns kommen, können davon berichten

Waren schon einmal Rechte auf euren Konzerten?
Milli Dance: So viel ich weiß, stand einer mal vor der Tür des "Uebel & Gefährlich" in Hamburg. Der wollte mit Thor Steinar Klamotten rein, hat nach uns gefragt, und meinte dass er oben feiern wolle. Der Türsteher hat ihm natürlich den Zutritt verweigert. Also nein, es waren noch keine klar erkennbaren Rechte auf unseren Konzerten. Ob er nun ein wirklich rechter, überzeugter Typ war oder klamottentechnisch, ich sag mal, unbedarft, ist dabei ja auch noch so eine Frage. Die richtige Veranstaltung ist das dann in dem Augenblick trotzdem nicht für ihn.

Und angenommen es würden Rechte zu euren Konzerten kommen wollen?
Milli Dance: Die kommen nicht rein. Ganz einfach.

Was, wenn sie schon drin sind?
Milli Dance: Würden wir das mitbekommen, würden sie vom Konzert entfernt werden.
Dub Dylan: Im besten Fall durch den Clubbetreiber oder die Betreiberin.
Milli Dance: Nazis und überzeugten Rechten wird bei uns kein Raum geboten, schon gar nicht bei einem Konzert. Im Endeffekt hat es auch etwas damit zu tun, unsere Gäste zu schützen.
Dub Dylan: Genau das muss eine Demokratie nämlich nicht aushalten können.
Milli Dance: Das stößt dann an dieses perfide "Ihr seid allen so tolerant gegenüber, nur uns gegenüber nicht". Aber du kannst vertieft intoleranten Menschen keinen Raum lassen, weil sie allen anderen diesen Raum nehmen werden, sobald sie die Möglichkeit dazu haben. Das ist dann dieses Dilemma: Auch Toleranz stößt irgendwo an ihre Grenze.

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Wie kann man Neonazis und rechtem Populismus eurer Meinung nach entgegentreten?
Milli Dance: Wir müssen ein solidarisches Miteinander leben, niemanden auf Herkunft, Nation, Hautfarbe oder Sexualität beschränken, und jedem Menschen gegenüber offen sein. Nazis schaffen es momentan, sich allen möglichen Protest zu eigen zu machen, weil das vermeintlich Etablierte eher links ist – was aber auch meistens irgendein wirtschaftsliberaler Scheiß ist. Jeder kann protestieren und Rechten nach seinen oder ihren Möglichkeiten Einhalt gebieten. Wo man Rassismus nicht nur bei Nazis sondern beispielsweise auch beim Racial Profiling wahrnimmt, sollte man einschreiten.

"Nutzt die Möglichkeit, dass ihr Weiße Deutsche seid und nicht abgeschoben werden könnt." – Milli Dance

Wie genau sieht dieses Einschreiten für dich aus?
Milli Dance: Stellt euch bei Polizeikontrollen dazu und guckt, ob etwas Unrechtes passiert. Nutzt die Möglichkeit, dass ihr Weiße Deutsche seid und nicht abgeschoben werden könnt. Euch drohen nicht dieselben Konsequenzen wie anderen Personen. Außerdem muss akzeptiert werden, dass nicht alle Leute krass aufgeklärte Linke sind. Ihnen gilt es etwas vorzuleben, Gespräche zu suchen oder kritisch nachzufragen. Und sich vielleicht auch erstmal anzuhören, was diese Leute bewegt, statt von vornherein alle als dumme Idioten abzustempeln. Diese sozialchauvinistische Verachtung weniger gebildeter Menschen ist nämlich auch alles andere als progressiv.
Dub Dylan: Plus: Eine Kritik am Bestehenden zu entwickeln und diese vernünftig vermitteln. Und zwar nicht mit erhobenem Zeigefinger von oben herab, sondern die richtigen Fragen zu stellen.
Milli Dance: Und dabei nicht auf jedes Reizwort direkt cholerisch reagieren.

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Milli Dance, du hast mal über deine eigenen Texte gesagt: "Texte ohne Übertreibung, an denen man sich nicht mal reiben kann, finde ich stinklangweilig." An welchen Texten reibst du dich und an welchen sollen sich eure Hörer und Hörerinnen reiben?
Milli Dance: Mich berühren grundsätzlich Texte mit einem doppeltem Boden. Die dürfen auch mal eine Unentschiedenheit in sich tragen oder mich vor den Kopf stoßen. Es geht mir nicht darum, Texte geliefert zu bekommen, die mich in allem bestätigten. Was ich mit Reibung meine, ist dass es etwas in mir auslöst. Dass etwas mich aufwühlt, weil es so krass formuliert ist, weil es brutal ehrlich emotional ist, einfach sehr klug argumentiert oder einen Humor benutzt, der mich anspricht. Was ich nicht mag, ist das Herunterspulen von Parolen.

Achtest du darauf auch bei deinen eigenen Texten?
Milli Dance: Ich achte natürlich darauf, dass ich Dinge so formuliere, dass es nicht platt klingt – außer es ist gewollt, und insgesamt so geschrieben, dass ich glaube es löst etwas in Menschen aus. Grundlage dafür ist, dass es in mir etwas auslöst. Ich doktor' schon viel an meinen Texten rum und mach mir über viele Details Gedanken.

In eurem Wikipedia-Artikel steht, ihr wurdet musikalisch beeinflusst von Audio 88 & Yassin, Zugezogen Maskulin, Morlockk Dilemma und Disarstar. Stimmt das?
Dub Dylan: Das stimmt so nicht. Wir wurden in einem Interview mal gefragt, wen wir gut finden oder in letzter Zeit mal gehört haben. Daraus wurde dann wohl Einfluss gemacht.

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In der Singleauskopplung "Perlen vor die Säue" singt ihr "Du wirst in Stadien bejubelt, mir egal, macht mir nichts. Ich mach die kleinen Läden voll und alle dort hassen dich". Seid ihr stolz, noch immer eher Untergrund als breite Masse zu sein, oder wollt ihr damit eine Anti-Haltung gegenüber dem Mainstream ausdrücken?
Milli Dance: Was ist denn Hype? Wenn ich sehe, was bei anderen durch die Decke geht, dann ist das Hype. Bei uns ist alles organisch gewachsen. Wir haben uns unsere Basis durch extrem viele Live-Auftritte erspielt. Darauf sind wir natürlich stolz. Ein gewisser Stolz auf die Untergrund-Haltung ist natürlich vorhanden. Aber ja, es spiegelt auch eine gewisse gesunde Anti-Haltung wider.

Anti-Haltung gegenüber was?
Milli Dance: Eine Anti-Haltung gegenüber der unkritischen Übernahme von Trends und dem, was gerade so populär ist, oder was eben so als erstrebenswert verkauft wird. Was gleichzeitig nicht heißt, dass wir sämtlichen Mainstreamproduktionen grundsätzlich abgeneigt sind. Es ist so eine Mischung aus Stolz auf das Geschaffte und Trotz beziehungsweise Gleichgültigkeit gegenüber dem Fakt, eben kein Riesenact zu sein. Müssen wir nicht. Musikalisch ist es auch besser so.
Dub Dylan: Aber kein Neid! Wenn coole Acts es schaffen, Stadien zu füllen, ist das geil.
Milli Dance: Es ist ja auch total OK, bespielen wir eben die kleineren Läden. Weil wir eben das machen, was mir machen, ohne grundlegend etwas zu ändern. Und damit sind wir doch recht weit gekommen. Darauf sind wir recht stolz.

Angenommen der große Hype kommt aber doch, ihr macht die Stadien voll, und die Major-Labels stehen Schlange. Würdet ihr AUDIOLITH, euer jetziges Label, verlassen?
Dub Dylan: Ich habe noch nie so einen Major-Vertrag gesehen.
Milli Dance: Ich kann nicht behaupten, dass es mich nicht reizen würde, wenn irgendein großes Label mit einem dicken Vorschuss ankommen würde, bei dem man sich sicher sein könnte, für die nächsten Jahre abgesichert zu sein. Aber ein Major-Deal wäre trotzdem keine Option. Das hat nicht primär mit der politischen Bindung zu Audiolith zu tun, sondern damit, dass wir uns über dreieinhalb Jahre gemeinsam etwas aufgebaut haben. Es geht um die Atmosphäre, die im Team herrscht. Trotz des freundschaftlichen, wenn nicht schon familiären Charakters vergessen wir nicht, dass es ein Geschäft ist und jeder seine Interesse hat. Wir treffen uns immer irgendwie in der Mitte, aber auf jeden Fall in der Mitte. Bei einem Major-Deal bist du erstmal gebunden – was, wenn das schief geht? Wir haben die Möglichkeit mitzubestimmen, was wir machen und wieviel und was nicht.
Dub Dylan: Außerdem quatscht uns künstlerisch niemand rein, was total wertvoll ist. Wovon ich mir nicht vorstellen könnte, dass es beim Major-Label genauso wäre.

Was bei eurem Outro etwas stutzig macht, ist die Line "Bis zum nächsten Mal ihr Lieben, hoffen wir, dass es ein nächstes Mal gibt". Warum sollte es kein nächstes Mal geben?
Milli Dance: Mit dem Track stellen wir die Freiheiten in Frage, die jetzt noch selbstverständlich sind – aber es vielleicht nicht bleiben. Wir drücken damit aus, dass wir Angst davor haben, dass wir unsere Musik beziehungsweise die Lebensweisen, die für uns selbstverständlich sind, in Zukunft vielleicht gar nicht mehr so frei machen können. Überall in Europa sind rechte Bewegungen im Aufwinde, gegenwärtig gibt es total viele Leute, die unsere Freiheiten gar nicht wollen. Aber ich sage auch, dass ich hoffe, dass es ein nächstes Mal gibt. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben.

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