Grafik zu Flower Rain
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Menschen

Flower Rain statt Shitstorm – Wie wir Betroffene von Hass im Netz unterstützen können

Möge es virtuelle Blumen für all jene regnen, die für eine gerechtere Welt kämpfen.

Feministin, Gastarbeitertochter und VICE-Kolumnistin: Alexandra Stanić schreibt wöchentlich darüber, wie sie Politik, Rassismus und Sexismus erlebt.

Hallo, hier spricht Alexandra Stanić, Rechte nennen mich auch gerne Migrantentrulle. Das undankbare Fräulein Migrationshintergrund, das Österreich in den Dreck zieht. Letzte Woche sorgte meine erste Kolumne "Warum ich Österreich hasse" für Aufregung unter Rechten. Die rechtsextreme Plattform "unzensuriert" hat meinen Text aufgegriffen, Rechte haben mich auf allen möglichen sozialen Medien beleidigt, österreichische Alpha-Journalisten haben mich als "sogenannte Journalistin" eines "sogenannten Mediums" betitelt und mir die Schuld für die Hetze gegeben. Menschen haben mich beschimpft, mich mit Nachrichten bombardiert. Kurz: Ich habe die letzten Tage ziemlich viel Hass abbekommen. Ich hasse in meiner Kolumne strukturellen Rassismus – sie hassen mich zurück.

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Das ist erstmal unangenehm und tut weh. Nur dass meine rechten Gegner mit ihrem Verhalten genau das bestätigen, was ich in meinem Text beschreibe, das blenden sie aus, die rot-weiß-roten Internetritter. Aber in diesem Shitstorm ist mir eine Sache sehr schnell klar geworden: Ich muss da nicht alleine durch. Eine Welle an Solidarität hat mich in Zuckerwatte gepackt und mir geholfen, mit den Hass-Mails besser umzugehen. Der Flower Rain – das positive Pendant zum Shitstorm – war stärker als die Wut. Dieser virtuelle Blumenregen hat gut getan – und wir sollten alle daran mitarbeiten, dass es im Netz weiterregnet, und zwar nicht nur auf mich.


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Das erste Mal bin ich Anfang 2018 auf den Begriff Flower Rain gestoßen. Asel, ein Kind muslimischer Eltern, wurde damals zum "Wiener Neujahrsbaby 2018" gekürt. Die junge Familie posierte stolz auf einem Foto, darauf zu sehen: Naime Tamgac, Asels Mutter, mit Kopftuch. Ein rassistischer, antimuslimischer Shitstorm brach über die Eltern und das Neugeborene aus. Caritas-Chef Klaus Schwertner startete daraufhin einen Flower Rain. Das Ergebnis: Die Familie erhielt von Tausenden Menschen Zuspruch und ein Willkommensbuch mit über 33.000 Glückwünschen. Selbst die New York Times berichtete darüber. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Letztendlich wurden gegen die Verfasser der Hassnachrichten Haftstrafen verhängt.

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Auch die Grünen-Politikerin Sigi Maurer zeigt, was man gegen Hass im Netz tun kann und wie man es schafft, Menschen im Kampf gegen Hetze zu mobilisieren. Maurer wurde im Oktober 2018 in erster Instanz wegen übler Nachrede verurteilt. Sie hatte im Mai 2018 obszöne Nachrichten auf Facebook veröffentlicht, den Namen des angeblichen Verfassers nicht anonymisiert. Das Oberlandesgericht hob das Urteil mittlerweile auf, der Prozess muss wiederholt werden. Maurer startete nach dem ersten Urteil zusammen mit der Initiative "Zivilcourage und Antirassismus‐Arbeit" (ZARA) eine Crowdfunding-Kampagne – innerhalb von 48 Stunden erreichten sie das Ziel von 100.000 Euro. Sie geht mit ihrer Kampagne in die zweite Runde, um die kostenlose Rechtsberatung von ZARA abzusichern und um Klagen von anderen Betroffenen zu finanzieren.

Sigi Maurer ist es auch, die mir geraten hat, die rechten Hassnachrichten zusammen mit ZARA "in Grund und Boden zu klagen". Ein Anlass für unzensuriert, noch einmal darüber zu berichten.

Neben rechtlichen Schritten ist es wichtig, dass sich Menschen solidarisch zeigen. Dabei geht es gar nicht darum, dass sich jede und jeder auf Diskussionen mit rechten Trollen einlässt. Das kostet Kraft. Aber es ist im Kampf gegen die Hetze, die vor allem Frauen im Internet trifft, unfassbar wichtig, Stellung zu beziehen. Genau das ist in meinem Fall passiert. Und genau das sollte noch viel häufiger passieren.

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So kannst du einen Flower Rain auslösen:

  • Positioniere dich öffentlich und sprich deine Solidarität aus.
  • Schreib andere an, damit sie es dir gleichtun.
  • Biete der betroffenen Person ein Treffen an, um sich auszutauschen.
  • Reagiere, wenn Dritte destruktive Kritik äußeren.
  • Solltest du eine Freundin der Betroffenen (generisches Femininum, ihr wisst Bescheid) sein, sortiere die Nachrichten für sie aus, damit sie die Bedrohungen und Beleidigungen nicht lesen muss.
  • Sollte es sich um eine Bekannte handeln: Ruf an und finde unterstützende Worte.

Viele der Punkte dauern nicht lange, können für Betroffene aber die Welt bedeuten. Gehen wir für einen Moment davon aus, dass ich nicht so viel Solidarität erhalten hätte. Die Situation würde mir deutlich schwerer fallen, denn Tatsache ist: Diese Nachrichten schmerzen und machen Angst. Es tut gut zu wissen, dass ich die Lawine an Hass nicht alleine bestreiten muss.

Immer wieder müssen sich Menschen – oft Frauen – aus sozialen Medien verabschieden, weil sie Shitstorms ausgesetzt sind. Eine 2018 veröffentlichte Studie der Verbrechensopferhilfe Weißer Ring hat ergeben, dass ein Drittel aller Frauen in Österreich bereits von Gewalt im Internet betroffen war. Anna-Lena von Hodenberg, die Geschäftsführerin der gemeinnützigen Initiative HateAid, sagt in einem Interview mit der Tageszeitung Kurier, dass vor allem Frauen, die sich für Feminismus oder Geflüchtete einsetzen, von Hass im Netz betroffen sind – meist in Form von sexualisierten Beschimpfungen. Erst kürzlich zog sich eine österreichische Historikerin, die unter anderem zu Rechtsextremismus recherchiert, vorübergehend von Twitter zurück, weil die Hassnachrichten zu schlimm waren. Trolle und rechte Aktivisten gehen vor allem gezielt auf jene los, die sich gegen ihr frauenverachtendes, rassistisches Weltbild aussprechen. Für freie Journalistinnen oder linke Aktivistinnen, die keine Redaktion oder Institution hinter sich haben, ist es oft besonders schwer, damit umzugehen. Umso wichtiger ist es, dass sich Menschen solidarisch zeigen und sie auffangen.

Ich habe für mich entschieden, online präsent zu bleiben. Es kommt nicht infrage, dass ich mich zurückziehe und Trollen und Rechten das Feld überlasse – obwohl ich jede einzelne verstehen kann, die sich selbst schützen muss.

Immer wenn ich Menschen von der überwältigenden Solidarität erzähle, die ich in den letzten Tagen erhalten habe, stelle ich mir eine Menschenmenge vor, die Schilder in die Luft streckt und friedlich, aber konsequent für eine gerechtere Welt demonstriert. "Volle Solidarität", "Wir sind viele" oder "Gegen eine rassistische Gesellschaft" steht auf diesen imaginären Schildern. Und all jene, die gerade besonders angreifbar sind, werden von anderen, Gleichgesinnten, in Sicherheit gebracht. Jetzt gerade wurde ich aufgefangen, beim nächsten Shitstorm werde ich mich für andere aussprechen, sie in Schutz nehmen. Das Ziel von Rechten ist es, unter anderem Frauen mundtot zu machen; sie zu verunsichern; ihnen Angst zu machen. Mir hat der Shitstorm gezeigt, dass verdammt viele den Kampf gegen rassistische, sexistische Machtstrukturen bestreiten. Ja, wir sind viele. Und, liebe Punschkrapfen, wir gehen auch nicht wieder weg.

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