Was zur Hölle geht beim österreichischen Geheimdienst? Der Skandal erklärt für Dummies
Innenministerium, Minoritenplatz | Foto: Wiki CommonsGugerell | CC0

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Finstere Machenschaften

Was zur Hölle geht beim österreichischen Geheimdienst? Der Skandal erklärt für Dummies

In der Geheimdienst-Affäre geht es um Korruption, Spionage, Nordkorea und Neonazis.

Dieser Artikel ist Teil unserer laufenden Berichterstattung über die schwarz-blaue Regierung, die wir hier unter dem Namen "Schwarz-blaue Geschichten" gesammelt haben.

Für einen Geheimdienst gibt es wahrscheinlich kaum Schlimmeres, als wochenlang die Berichterstattung zu beherrschen. Genau in dieser Situation befindet sich aber gerade das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT. Und es klingt alles nicht nur sehr bedrohlich, sondern auch ziemlich kompliziert.

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Die Rede ist von politischen Umfärbungen, Machtkämpfen unter Spitzenbeamten, Amtsmissbrauch und Einschüchterungen – und am Ende soll alles irgendwie mit der FPÖ zu tun haben. Wer in der Angelegenheit rund um das BVT nicht durchblickt oder erst jetzt einsteigt, findet hier ein paar grundlegende Antworten:

Was ist überhaupt das BVT?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ist einer von insgesamt drei österreichischen Geheimdiensten, die offiziell meist "Nachrichtendienste" genannt werden. Während das Abwehramt (AbwA) und das Heeres-Nachrichtenamt (HNaA) im Verteidigungsministerium operieren, untersteht das BVT dem Innenministerium und ist damit vor allem in polizeiliche Ermittlungsarbeit eingebunden.

Dafür sammelt das BVT laufend Informationen über extremistische oder gar terroristische Entwicklungen im Inland, "beobachtet" diese und tauscht sich auch mit ausländischen Diensten aus. Daneben werden BVT-Beamte etwa als Personenschützer eingesetzt.

In der aktuellen Affäre äußerte sich der ehemalige Chef des BVT zugunsten der FPÖ.

Gegründet wurde das BVT erst 2002 im Zuge einer größeren Sicherheitsreform unter ÖVP-Innenminister Ernst Strasser und löste damit die Staatspolizei ab. Begründet wurde das damals etwa mit den neuen Bedrohungslagen hinsichtlich des internationalen Terrorismus. Erster Direktor des BVT wurde Gert-René Polli, ihm folgte 2008 Peter Gridling nach.

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Ernannt wurden beide unter ÖVP-Innenministern, Polli fiel zuletzt aber mit einer gewissen FPÖ-Nähe auf, als er zum Beispiel im vergangenen Oktober bei einer Parteiveranstaltung der Freiheitlichen sprach. Auch in der aktuellen Affäre hat sich Polli zugunsten der FPÖ geäußert und meinte in der ZIB24, der Skandal bestehe innerhalb des BVT und habe mit Innenminister Kickl nichts zu tun.

Weshalb gab es dort eine Hausdurchsuchung?

Am Anfang der gesamten Causa stand laut Kurier eine anonyme Anzeige im April 2017 bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Im Sommer wurde dann mehreren Medien ein 40-seitiges Papier zugespielt. Darin wurden verschiedenste Missstände innerhalb des BVT angeprangert – von Geldwäsche über Veruntreuung bis hin zu sexuellem Missbrauch.

Beim überwiegenden Teil dürfte es sich um reine Anschuldigungen und Gerüchte gehandelt haben. Übrig blieben lediglich zwei Verdachtsfälle hinsichtlich Amtsmissbrauchs. So berichteten schließlich Profil, Standard und ZIB im Oktober über die Weitergabe von nordkoreanischen Blanko-Pässen an Südkorea: Es stand im Raum, dass sich Österreich damit an einer Spionageaktion gegen Nordkorea beteiligt haben könnte. BVT-Beamte sollen dafür kostenlos in Südkorea geurlaubt haben. Das damals noch von der ÖVP geführte Innenministerium stellte sich hinter das BVT und sprach von "normalen Vorgängen." Dann passierte erst mal nichts.

Erst Ende Februar nahmen die Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft dann plötzlich an Fahrt auf und gipfelten in der Hausdurchsuchung beim BVT am 28. Februar. Beschuldigt seien nun insgesamt sieben Personen, darunter auch BVT-Chef Gridling. Neben den angeblichen Verfehlungen mit den Pässen wird Gridling vorgeworfen, dass gesammelte Daten über eine Wiener Anwaltskanzlei und ihre Zusammenarbeit mit Kasachstan trotz gerichtlicher Anordnung nicht gelöscht wurden. Die Vorwürfe sollen zum Teil mehrere Jahre zurückliegen.

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Was soll an dieser Razzia problematisch gewesen sein?

Im Zentrum der Kritik standen zunächst zwei Punkte: Zum einen geht es um die Art und Weise, wie die Hausdurchsuchung beim BVT – und auch in Privatwohnungen von Beschuldigten – passierte. Dazu wurde nämlich eine Polizeieinheit eingesetzt, die normalerweise für Drogen- und Straßenkriminalität zuständig ist; die Eingreiftruppe EGS. Ihr Chef ist der FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Preiszler.

Die Razzia erfolgte angeblich schwer bewaffnet und mit schusssicheren Westen, Sturmhauben und Rammböcken, wie profil, Standard und ZIB2 berichteten. Der oberste Beamte im ÖVP-geführten Justizministerium, Christian Pilnacek, sprach hingegen von einer "normalen Streifenadjustierung", zu der auch eine schusssichere Weste und eben eine Dienstwaffe gehöre, dementierte aber den Einsatz von Gesichtsmasken oder die schwere Bewaffnung.

Der Anwalt eines Beschuldigten vom BVT meinte wiederum in der ZIB2, dass beim Einsatz "forsch" verlangt wurde, die Türen der Wohnungen zu öffnen, weil man diese sonst "einrammen" würde. ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon empfand das Vorgehen in der ZIB2 ebenfalls als "überzogen" und wies daraufhin, dass der Einsatz nun vom Justizministerium geprüft werde.

Wolfgang Preiszler: Seine EGS-Einheit führte die Razzia durch; Christian Pilnacek: Das Justizministerium prüft nun, ob es bei der Hausdurchsuchung Verfehlungen gab. Fotos: BMI.

Wurden dabei Daten beschlagnahmt, die nicht beschlagnahmt werden durften?

Der andere Kritikpunkt betrifft die bei der Razzia beschlagnahmten Dateien des BVT. Standard und profil berichteten, dass beim Einsatz auch Daten der Leiterin des Extremismus-Referates sichergestellt wurden. Sie selbst wird in den Ermittlungen aber nur als Zeugin geführt. Mit den Ermittlungsgegenständen hätten diese Dateien jedoch nichts zu tun, heißt es. Sie betreffen Informationen zu einer neonazistischen Sängerin, der laut Standard auch Verbindungen zur FPÖ nachgesagt werden.

Seither herrscht Aufregung darüber, ob die FPÖ sich mit der Razzia Zugang zu Unterlagen beschaffen wollte, die sie selbst betreffen. Das kann so aber nicht behauptet werden. Die FPÖ beziehungsweise hier Innenminister Herbert Kickl kann als Chef seines Ressorts ohne Probleme entsprechende Unterlagen einsehen.

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Außerdem war die Razzia kein Alleingang einer FPÖ-nahen Polizeieinheit. Sie wurde – wenn auch laut Kurier in besonderer Eile – richterlich genehmigt. Staatsanwälte waren dabei anwesend und die beschlagnahmten Unterlagen landeten ausschließlich bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft, wie betont wurde.

Ob die Sicherstellung dieser Daten unzulässig war, wird derzeit vom Justizministerium geprüft. Die Aufregung geht aber noch weiter und betrifft längst nicht mehr nur die erwähnte Hausdurchsuchung.

Was hat die FPÖ damit zu tun?

Die Vermutungen werden lauter, dass die ganze Angelegenheit eigentlich mit der Übernahme des Innenministeriums durch die FPÖ und dem neuen Minister Herbert Kickl zusammenhängt. Es heißt, die FPÖ habe schon länger ein Problem mit BVT-Direktor Peter Gridling, der inzwischen Kickl direkt untersteht. Gridlings Posten sollte aber am 20. März um fünf weitere Jahre verlängert werden.

Wie der Falter nun berichtet, kamen die aktuellen Ermittlungen gegen Gridling samt Hausdurchsuchung erst dadurch ins Rollen, dass Kickls rechte Hand im Innenministerium – Generalsekretär Peter Goldgruber – Gridling persönlich bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt habe. Zuvor waren die Vorwürfe - wie oben berichtet - bloß auf anonymer Basis.

Außerdem wurde laut Falter Gridlings Verlängerung als Chef des BVT – eine sogenannte "Bestellungsurkunde" – von Bundespräsident Van der Bellen schon am 22. Februar unterzeichnet und damit eigentlich abgesegnet. Goldgruber habe danach aber eine Zustellung an Gridling verweigert. Die Hausdurchsuchung beim BVT stand kurz bevor, Goldgruber habe laut Falter der Staatsanwaltschaft auch die FPÖ-geführte Polizeieinheit EGS dafür empfohlen.

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Unter den beschlagnahmten Dateien war auch ein neonazistischer Fall, der bis in FPÖ-Kreise reichen soll.

Unter den beschlagnahmten Dateien war, wie oben erwähnt, auch ein neonazistischer Fall, der bis in FPÖ-Kreise reichen soll. Das mag in dem Zusammenhang reiner Zufall sein, diese "Stichprobe" zeigt aber dennoch: Das BVT unter Peter Gridling dürfte im großen Stil Daten zu rechtsextremen Aktivitäten sammeln, die wohl oft auch FPÖ-Leute tangieren.

Man bedenke hier die zahlreichen Überschneidungen der FPÖ mit der sogenannten Identitären Bewegung, die offiziell vom BVT beobachtet wird. Gridling betonte in der Vergangenheit oft eine Zunahme von Rechtsextremismus und eine Verlagerung in die Mitte der Gesellschaft, wofür ihn etwa der FPÖ-nahe Blog unzensuriert kritisierte. Der ehemalige Chefredakteur des Blogs, Alexander Höferl, arbeitet seit Ende vergangenen Jahres bekanntlich im Kabinett von Innenminister Kickl. Ein Abgang Gridlings und eine Neubesetzung durch die FPÖ ließe jedenfalls die Vermutung zu, das BVT könnte dadurch "am rechten Auge erblinden."

FPÖ-Innenminsiter Herbert Kickl und sein oberster Beamter Peter Goldgruber. Foto: BMI.

Was sind die neuesten Infos?

In einer Pressekonferenz vom Dienstag, dem 13. März, findet die Causa ihren vorläufigen Höhepunkt: Innenminister Kickl gibt bekannt, dass Gridling – der derzeit beurlaubt ist – nun offiziell vom Dienst suspendiert sei.

Kickl räumt aber auch ein, dass Gridling seine Bestellungsurkunde nun doch zugestellt bekam. Gridling ist nun zwar suspendiert, bleibt so aber am Papier weiterhin Direktor.Verfassungsjurist Bernd Christian-Funk hatte das Zurückhalten der Bestellung im Ö1-Morgenjournal wenige Stunden zuvor scharf kritisiert. Die Ermittlungen gegen Gridling, sowie seine bereits beschlossene Bestellung, seien zwei völlig unterschiedliche Dinge.

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Der FPÖ-Minister betonte, dass für Gridling die Unschuldsvermutung gelte und dieser auch in den Dienst zurückkehren könnte, sollten sich die Vorwürfe als haltlos herausstellen. Gridling könnte nun auch Beschwerde gegen seine Suspendierung einlegen. Vorerst leitet das Tagesgeschäft im BVT nun Dominik Fasching.

Wie könnte es weitergehen?

Die Devise der Stunde lautet nun: Aufklärung. Zum einen werden die Vorgänge rund um die Hausdurchsuchung vom Justizministerium geprüft. ÖVP-Minister Josef Moser hat am Dienstag, dem 13. März, in einer Aussendung angekündigt, nach der Prüfung die Öffentlichkeit informieren zu wollen.

Parallel laufen natürlich auch die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Gridling und andere Beschuldigte des BVT weiter - auch diese müssen ernsthaft ermittelt werden. Von manchen politischen Kommentatoren werden sie aber als vergleichsweise "harmlos" bis "bizarr" bezeichnet.

Währenddessen überschlagen sich auch die Oppositionsparteien mit Kritik. Für kommenden Montag ist eine Sondersitzung im Parlament einberufen. Die Liste Pilz will einen Misstrauensantrag gegen Kickl einbringen, SPÖ und NEOS möchten einen Untersuchungsausschuss einsetzen.

Die Affäre bedeutet nicht zuletzt einen ordentlichen Schlag für die Koalition von Kurz und Strache. Kurz hält sich zwar weiterhin aus der Sache heraus und forderte nur ziemlich knapp eine "Aufklärung", um den "Wohlfühlkurs" der Koalitionsparteien so gut es geht aufrechtzuerhalten . Strache hingegen polterte in Richtung des BVT und bezeichnete dieses als "Staat im Staat." ÖVP-Politiker wie der Sicherheitssprecher Werner Amon verteidigen die Arbeit des BVT hingegen vehement. Wie sehr hier noch ein offener Machtkampf entstehen könnte, bleibt abzuwarten.

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