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Fremdenfeindlichkeit

In Deutschland werden wieder Dönerläden attackiert

Sprengsätze explodieren, Projektile verfehlen nur knapp ihr Ziel – drei Anschläge binnen anderthalb Monaten. Bei zwei Fällen tappt die Polizei im Dunkeln.
Symbolbild, keiner der angegriffenen Imbisse || Montage: VICE || Vordergrund: imago | 7aktuell || Hintergrund: imago | Steinach

Dass Mehmet Turgut und İsmail Yaşar von rechten Terroristen erschossen wurden, wollte in Deutschland lange niemand glauben. In der Presse war von den "Döner-Morden" zu lesen, Journalisten vermuteten mal Drogenschmuggel, mal Wettschulden hinter den Taten. Erst im November 2011 wurde klar, dass der NSU den Imbissmitarbeiter und den Döner-Besitzer ermordet hatte – und mit ihnen sieben weitere Mitbürger türkischer und griechischer Abstammung und eine Polizistin. Während der NSU-Prozess auf sein sechstes Jahr zugeht, werden derzeit wieder Dönerläden quer durch Deutschland mit Sprengsätzen und Schusswaffen attackiert. Die Polizei konnte bislang nur in einem Fall einen Tatverdächtigen ermitteln, ein fremdenfeindliches Motiv kann sie nicht ausschließen. Handelt es sich um eine erneute Terrorserie von rechts?

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Eine Chronik von drei Anschlägen auf Imbisse und ihre Betreiber, die allesamt in den letzten anderthalb Monaten stattfanden:

Zinnowitz, Mecklenburg-Vorpommern, 3. Februar 2018

"Fenster eines Lokals in Zinnowitz durch die Explosion eines noch unbekannten Gegenstandes beschädigt" – so nüchtern liest sich die Meldung des Polizeipräsidiums Neubrandenburg. Weil der Dönerimbiss auf der Insel Usedom bereits geschlossen hatte, wurde niemand verletzt, der Sachschaden beträgt rund 1.500 Euro.

Der Tatverdächtige, ein 37-Jähriger, hat die Tat bereits gestanden. Er war wenige Stunden nach dem Anschlag am Samstagabend mit auffälligen Verletzungen in einem nahegelegenen Krankenhaus aufgetaucht. In seiner Polizeiakte fanden sich bereits Eigentumsdelikte und eine Körperverletzung, auch war er der Polizei in der Vergangenheit mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aufgefallen. Wegen Betrugs lag ein Haftbefehl gegen ihn vor.


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Eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Neubrandenburg sagte gegenüber VICE, der Mann habe angegeben, dass er unzufrieden mit dem Service des Imbisses gewesen sei. Trotzdem ermittelt der Staatsschutz. Die Beamten halten es weiterhin für möglich, dass der Mann fremdenfeindliche Motive hatte, wohl auch, weil er seinen vermeintlichen Unmut nicht einfach mit einer Yelp-Kritik Ausdruck verliehen hat.

In der Gegend von Zinnowitz ist der Anschlag nicht der erste mit einem mutmaßlich fremdenfeindlichen Motiv: Im Nachbarort Trassenheide legten Unbekannte 2015 ein Feuer in einer Flüchtlingsunterkunft. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden, das Haus stand zu diesem Zeitpunkt noch leer.

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Kyritz, Brandenburg, 1. Januar 2018

In der Kyritz schoss ein Unbekannter am Neujahrsabend dieses Jahres auf die beiden Betreiber eines Dönerladens. Die Brüder Osman und Metin S. fuhren in ihren Autos durch die brandenburgische Kleinstadt. Dann feuerte jemand mehrmals auf sie, mitten in der Innenstadt. Die Projektile verfehlten ihr Ziel.

Anders als in Zinnowitz konnten die zuständigen Kriminalbeamten bislang noch keinen Tatverdächtigen ausmachen. Metin S. geht allerdings nicht davon aus, dass Rechtsextreme hinter dem Anschlag stecken: Er vermutete gegenüber der Märkischen Allgemeinen, dass seine ehemalige Lebensgefährtin etwas mit den Schüssen zu tun habe.

Der Fall aus der brandenburgischen Kleinstadt erhielt bundesweite Aufmerksamkeit – auch, weil es in Kyritz bereits im Herbst letzten Jahres eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen mehreren Dönerladen-Besitzern gegeben hatte. Mittendrin: die Gebrüder S.

Focus Online fragte einen Tag nach den Schüssen: "Döner-Krieg in Brandenburg?". Wie geschmacklos diese Überschrift (auch) angesichts der irrtümlichen Art und Weise ist, mit der die deutsche Presse einst über die Opfer des NSU berichtet hatte, war in der Redaktion anscheinend niemandem aufgefallen.

Halle (Saale), Sachsen-Anhalt, 27. Dezember 2017

Ein anderer Anschlag auf einen Dönerimbiss in Halle ging zwischen den Jahren beinahe unter. Obwohl es auch hier hätte Tote geben können.

Drei Tage nach Heiligabend schossen Unbekannte aus einem fahrenden weißen Transporter heraus auf den Imbiss im Stadtteil Freiimfelde. Drei Projektile schlugen im Gastraum ein, zwei weitere blieben in der Hauswand stecken. Die 14 Gäste, die zu diesem Zeitpunkt in dem Laden saßen, blieben unverletzt, schreibt die Mitteldeutsche Zeitung. Die Regionalzeitung hatte als eines von wenigen Medien berichtet.

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Die Polizei hatte die Hallenser Bevölkerung umgehend um Mithilfe gebeten, doch bei der eigens geschalteten Hotline ging bis heute kein einziger sachdienlicher Hinweis ein, sagte eine Sprecherin der Polizei Sachsen-Anhalt Süd gegenüber VICE. So ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft fast sechs Wochen nach der Tat weiterhin in alle Richtungen. Auch im Döner-Imbiss selbst habe niemand eine Vermutung, wer hinter dem Anschlag stecken könnte, sagte eine Mitarbeiterin des Lokals VICE am Telefon.

Gewalt gegen Migranten ist in Halle nichts Ungewöhnliches: Erst am Freitag schossen Unbekannte mit Metallmunition aus Luftgewehren auf ein islamisches Kulturzentrum in Halle-Neustadt und verletzten dabei einen anwesenden Syrer.

Dass die Anschläge von Zinnowitz, Kyritz und Halle in einem Zusammenhang stehen, kann nach derzeitigem Erkenntnisstand ausgeschlossen werden. Wie VICE von der Polizei in Sachsen-Anhalt erfuhr, haben die Hallenser Kollegen die für Kyritz zuständige Polizeidirektion Brandenburg Nord kontaktiert. Der Austausch hat die Ermittlungen zwar nicht weitergebracht, zeigt jedoch, dass zumindest einige Beamte aus dem NSU-Versagen ihrer Behörde gelernt haben.

Update vom 6. Februar: Wir haben den Artikel um weitere Informationen der Polizei zum Tatverdächtigen in Zinnowitz ergänzt.

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