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FBI-Agent

Undercover in der Wall Street und bei der Mafia

Egal ob dicke Klunker, gezielte Französischkenntnisse oder überzeugende Identitäten, als Undercover-Agent muss man bei der Planung viel beachten. Ein Ex-FBI-Agent erzählt von seinem Berufsalltag.
Foto: bereitgestellt von Marc Ruskin

Alex Perez war ein flüchtiger Gangster aus Florida mit Pferdeschwanzfrisur, einem Haufen Schmuck – mindestens zwei oder drei Halsketten, dazu mehrere Armbänder aus Gold – und dementsprechend dicken Autos. Sein Style war typisch für den eines Gauners aus den Südstaaten der USA.

Die Sache war jedoch: Der gesamte Schmuck hatte vorher Drogendealern gehört. Und trotz der Florida-Kennzeichen hatten die Autos nie eine Straße außerhalb von Brooklyn gesehen. Das alles war lediglich Beiwerk, um Perez in eine Rolle schlüpfen zu lassen. Er stolzierte mit einem wahnsinnigen Selbstvertrauen durch die Welt und noch bevor er überhaupt seinen Mund öffnete, hatte er sein Umfeld fast schon überzeugt. Jeder hielt ihn für die Person, die er spielte.

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In Wahrheit war Perez ein Undercover-Agent des FBI. Sein richtiger Name lautete Marc Ruskin.

Ruskin brauchte gut sechs Monate, um falsche Identitäten aufzubauen, die nicht nur glaubhaft, sondern auch nur schwer zurückzuverfolgen waren. In seinem Tätigkeitsfeld muss man aber auch extrem gründlich sein. Vor allem dann, wenn man es mit misstrauischen Mafiabossen zu tun hat. Pistolenkugeln machen schließlich vor niemandem Halt. In der schmutzigen Unterwelt, wo Spitzel das Feindbild Nummer eins darstellen, hing Ruskins Leben davon ab, ob er seinen Charakter perfekt spielen konnte oder nicht.

In seinem neuen Buch The Pretender: My Life Undercover for the FBI beschreibt Ruskin, wie viel Arbeit er in die Identitäten stecken musste, die ihm bei Dutzenden – teilweise gleichzeitig laufenden – Ermittlungen über fast drei Jahrzehnte hinweg geholfen haben. Egal ob nun Wall-Street-Finanzhaie, Mafiosi, Waffenschmuggler oder Heroindealer, Ruskin hat im Laufe seiner Karriere mit allen möglichen Verbrechern zu tun gehabt. Wir haben uns mit dem Ex-Agenten darüber unterhalten, wie er Identitäten wie Alex Perez entwickelt und es geschafft hat, nie aus seiner Rolle zu fallen.


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VICE: Während deiner 27 Jahre beim FBI warst du bei vielen Undercover-Missionen dabei. Wie bist du auf die jeweils dazu passende Identität gekommen?
Marc Ruskin: Eine fabrizierte Identität muss wasserdicht sein – vor allem in der heutigen Zeit, denn inzwischen kann man ja einfach googeln und so alles Mögliche über eine Person herausfinden. Um zu überzeugen, muss man ganz sorgfältig eine nachprüfbare Hintergrundgeschichte zusammenstellen und dabei so weit zurückgehen wie nur möglich. Das beinhaltet Kreditkarten, Bankkonten, echte Führerscheine und weitere staatliche Dokumente. Alles muss von offiziellen Behörden unter dem falschen Namen ausgestellt werden.

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Bei einem deiner ersten Undercover-Fälle hast du dich in die Warenbörse der Wall Street eingeschleust. Wie konntest du dafür eine glaubhafte Identität aufbauen?
Bei diesen Ermittlungen ging es um Betrugsfälle. Die Ausweise für meine Identität zu erstellen, hat gut sechs Monate gedauert. Ich musste überlegen, was diese Leute alles überprüfen könnten. Ich entschied, dass meine Rolle in einem anderen Land geboren und aufgewachsen war. So etwas lässt sich nur schwer zurückverfolgen. Es ist zum Beispiel ziemlich schwierig, in New York argentinische Geburtsurkunden und Schulunterlagen aufzutreiben. Letztendlich tat ich im Warenbörsen-Fall so, als hätte ich meine Jugend und meine ersten Erwachsenenjahre in Europa und Puerto Rico verbracht.

Dafür ließ ich eine pu­er­to-ri­ca­nische Bank ein Konto eröffnen und zwölf Jahre zurückdatieren. Dafür musste ein Softwareingenieur sogar das bankeigene System überschreiben. In New York besorgte ich mir dann eine Sozialversicherungsnummer und eröffnete mit meiner fiktiven Identität bei einer Bank ein weiteres Konto. Als der Angestellte meine Angaben überprüfte, fragte er misstrauisch: "Wie kommt es, dass Sie in Ihrem Alter eine nur zwei Monate alte Sozialversicherungsnummer besitzen?"

Die Nummer war zwar legitim, aber eben ganz frisch. Mir war gar nicht bewusst, dass selbst er als Bankangestellter das herausfinden konnte. Deswegen musste ich mir spontan eine Ausrede einfallen lassen und erzählte ihm etwas von einer unschönen Scheidung, nach der mir mein Anwalt für einen Neuanfang eine neue Sozialversicherungsnummer besorgte hatte. Der Mitarbeiter schaute mich zwar etwas schief an, aber letztendlich passte alles und ich hatte mein Konto.

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In vielen Filmen und Serien ist es ja oft so, dass Geheimagenten von heute auf morgen eine neue Identität annehmen. In Wahrheit steckt da jedoch eine Menge Arbeit dahinter, richtig?
Ja, Hollywood nimmt da immer einige Abkürzungen. Natürlich hat das FBI im Laufe der Jahre ein besseres System entwickelt, um Ausweise zu beschaffen. Trotzdem dauert das Ganze aufgrund der individuellen Anfertigung auch heute noch seine Zeit. Ich war mal in einen Undercover-Einsatz mit 20 Waffenhändlern involviert. Um das Szenario glaubhaft zu machen, spielte ich einen zwielichtigen Finanzhai aus Frankreich mit vielen Beziehungen nach Afrika, aber nur wenigen Beziehungen in die USA.

Da meine angenommene Identität in Paris wohnte, brauchte ich französische und amerikanische Mail-Adressen und Telefonnummern sowie ein tatsächliches Unternehmen mit Pariser Adresse. Wie gesagt, die Identität muss wasserdicht und auf einen zugeschnitten sein. Man muss die Zielpersonen genauestens studieren und herausfinden, mit wem sie sich einlassen und wie man einen Draht zu ihnen aufbaut.

"Bei einer elaborierten Undercover-Mission muss man komplett zu der jeweiligen Person werden. Man kann nicht tagsüber seine Rolle spielen und zu Hause dann seine 'Maske' ablegen."

Du hast auch schon die Cosa Nostra infiltriert. Wie schafft man es in den inneren Kreis der Mafia?
Das war 2004 und 2005. Unser Ziel waren die Genovese-Verbrecherfamilie und ihre Verbündeten. Da ich es mit echten Sizilianern zu tun hatte, konnte ich mich nicht als Italiener ausgeben, da wäre ich sofort aufgeflogen. Also musste ich jemand sein, mit dem sie Geschäfte machen wollten, und wählte dafür einen internationalen Ansatz: Ein anderer Undercover-Agent erzählte den Mafiosi von einem Partner aus Paris und Buenos Aires, der ab und an in New York ist. Für diese Identität entwickelte ich einen eher eleganten Look ohne viel Schmuck. Nur eine teure Rolex zierte mein Handgelenk.

Ich trug bei den Treffen immer einen schicken blauen Anzug, einen grauen Pullover und keine Krawatte, weil das bei solchen Leuten nicht gern gesehen ist. Ich machte auf jeden Fall einen positiven Eindruck auf sie. Vor den Treffen vereinbarte ich mit meinen FBI-Kollegen immer, dass sie mich nach 10 bis 15 Minuten auf dem Handy anrufen. So konnte ich in fließendem Französisch antworten und bei einem weiteren Telefonat auf Spanisch. Nach dem Auflegen konnte ich den Mafiosi dann etwas von einem großen Deal in Argentinien erzählen. Da ich so viel Arbeit in das Erschaffen meiner Rollen steckte, musste ich mich nie wirklich anstrengen, mich in diese Rollen hineinzuversetzen.

Wie hast du zwischen dem Lügen und dem Leben einer Lüge unterschieden? Bist du einfach nie aus der Rolle gefallen?
Für meine erste Mission musste ich nach San Juan in Puerto Rico. Ich ging eigentlich davon aus, dass das FBI eine sehr streng geführte und regulierte Behörde ist, aber mein Vorgesetzter meinte dann zu mir: "Um hier effektiv zu arbeiten, musst du lügen." Man darf beim Lügen aber nicht zu sehr übertreiben – also zum Beispiel auch seinen Chefs und seiner Familie etwas vorspielen. Die goldene Mitte ist bei dieser Form der Unwahrheit entscheidend.

Oft spielte ich zwei oder drei Personen gleichzeitig. Bei einer elaborierten Undercover-Mission muss man komplett zur jeweiligen Person werden. Man kann nicht tagsüber seine Rolle spielen und zu Hause dann seine "Maske" ablegen. Man hat einen fremden Charakter, eine fremde Identität und fremde Verhaltensweisen angenommen. Das muss man zu 100 Prozent durchziehen, sonst fliegt man ganz schnell auf. Und dann hat man ganz andere Probleme.

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