So sieht Karneval durch die Augen eines Flüchtlings aus

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So sieht Karneval durch die Augen eines Flüchtlings aus

Der Türsteher vor der Karneval-Kneipe sagt: “Sorry, ihr zwei leider nicht.”

Prince, Anfang 20 (sein genaues Alter möchte er nicht nennen): "In meinem Teil von Nigeria feiern wir keinen Karneval. In manchen Teilen des Landes ist das anders. Ich mag Karneval aber sehr, in Libyen, wo ich auch schon gelebt habe, habe ich zum ersten Mal mitgefeiert, nachdem ich aus Nigeria geflohen war. Ich mag, dass alle fröhlich und ausgelassen sind. Im Alltag ziehen viele Leute ein grimmiges Gesicht. In Europa feiere ich jetzt zum vierten Mal Karneval, dreimal davon in Köln. Vor vier Jahren habe ich in Italien gefeiert, bevor ich nach Deutschland gekommen bin."

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Viel mehr mag er von seiner Flucht nicht erzählen, er hat sein Leben riskiert und Eltern und Familie verloren. Heute will er nicht daran denken, sondern feiern. Tanzen und trinken. Wie alle andern.

Am späten Nachmittag treffe ich Prince, der sich erst so nennt, seit er in Deutschland ist.

Prince: "Meinen richtigen Namen können sich die Leute hier nicht merken und sie sprechen ihn immer falsch aus. Meine Mutter hat mich früher so genannt, ich war ihr kleiner Prinz."

Unser Ziel: Karneval auf der Zülpicher Straße, Partymeile für Clowns, Schlümpfe und Tiger aus der ganzen Welt. In den Seitenstraßen feiern Kölner. Und noch ein paar Abbiegungen weiter? Ein Flüchtlingsheim. Menschen, nicht gekommen, um Party zu machen. Und trotzdem: Mitfeiern können sie. Wenn man sie lässt. Die Kölner Polizei griff unlängst daneben, als sie Flüchtlingsinitiativen aufforderte, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge nicht Karneval mitfeiern. Zusammen mit den beiden wird man weniger oft grölend in den Arm genommen. Was nicht das Schlechteste ist.

Prince: "Das hier ist mein Viertel. Hier habe ich gewohnt, als ich in Köln angekommen bin. Was hier nicht nur an Karneval, sondern jeden Tag verrückt ist: Hier hängen Schuhe an einer Überleitung vom Himmel herunter. Stell dir mal vor, wie hoch man die Werfen muss."

Im Kiosk am Eck machen wir halt. Drei Bier bitte. Danke. Bitte. Tschüss. An Karneval werden die Bierpreise kräftig erhöht. Prince aber bekommt in seinem ehemaligen Stammkiosk einen Rabatt. Statt 2,50 Euro müssen wir nur 2 Euro zahlen. 

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Kindergeschrei, als wir am Flüchtlingsheim ankommen. Fünf Jungs turnen auf einem Trampolin. "Guck mal, wie hoch ich springen kann." – "Ich kann höher." – "Mach ein Foto von meinem Salto." In den Hinterhof dringt keine Musik, die Kinder sind nicht verkleidet, eine Welt ohne Karneval, und das nur wenige hundert Meter von der Zülpicher entfernt. Als die Kinder Prince sehen, fallen ihm alle um den Hals. Winston begrüßt uns, ein großer Mann im Army-Look. Er wohnt hier, kommt auch aus Nigeria, in Köln jobbt er als Musiker. Drei der Kinder seien seine, sagt er.

Prince: "Es ist schwer zu sagen, wie viele Leute hier wohnen. Ich würde schätzen, zwischen 150 und 250. Zum Teil leben vier fremde Menschen in einem Zimmer. Das ist nicht gut, wenn man sich nicht versteht. Außerdem gibt es keine Privatsphäre. Jetzt wohne ich in einer WG, da habe ich mein eigenes Zimmer, das ist viel besser. Gerade ist es aber sehr unordentlich, weil ich im Kleiderschrank nach Verkleidungen gewühlt habe. Heute bin ich Pirat, was ich morgen werde, muss ich noch entscheiden."

Bevor es weitergeht, noch schnell Pipi machen.

Prince: "Kein Problem. Hier, kommt rein."

Wir laufen durch einen langen Flur, vor einem Zimmer bleibt er stehen, klopft kurz und geht rein.

Prince: "Das ist eine Freundin, ihre Toilette könnt ihr benutzen."

Zurück auf der Zülpicher. Prince will nicht fotografieren, sondern selbst auf die Fotos. Zuerst posiert er neben einem Lukas-Podolski-Graffiti. Nächster Stopp am nächsten Büdchen (Kölsch-Sprech für Kiosk), nächstes Bier, nächste Fotosession.

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Prince: "Im Karneval ist Deutschland ein bisschen wie Afrika. Das ist super, dauert aber leider nur sechs Tage. Schau mal: Die Ampel ist rot. Und? Kümmert sich wer darum? Nein. Alle laufen rüber. Warum auch nicht. Und die Musik? Superlaut. Und, kümmert sich die Polizei darum? Nein. An Karneval ist alles einfach viel lockerer, die Menschen gehen entspannt miteinander um. So ist das bei uns immer. Aber hier ist am Mittwoch Schluss. Dann gehen alle wieder früh ins Bett und laufen am nächsten Morgen mit ihrer Aktentasche und hängenden Köpfen zur Arbeit."

Weiter geht es mit der Bahn, in eine Karnevalskneipe Richtung Ehrenfeld. Arif aus Kamerun ist jetzt mit dabei. Er hatte sich auf ein Selfie gemogelt. Die beiden kennen sich nicht. Der Kölner würde sagen: "Dat is Karneval." Und genau da wollen wir jetzt hin, zu den Kölnern. Genug Touri-Veranstaltung. Nach einer jecken Drängel-Bahnfahrt mit Aliens, Cowboys und Indianern sind wir da. Noch ein Bier am Büdchen, bevor es in die Schlange der Ehrenfelder Kneipe geht.

Prince: "Ich muss tanzen, wenn ich Musik höre. Ob afrikanische oder kölsche Lieder. Wirklich egal. Meine Füße wollen sich einfach bewegen."

Prince bleibt nicht wie die anderen in der Schlange stehen, sondern tanzt davor, auf dem Gehsteig. Es dauert. Nach einer guten Stunde, sind endlich wir dran. Der Türsteher will uns nicht reinlassen. "Sorry, ihr zwei leider nicht", sagt er freundlich, aber bestimmt zu den Jungs. "Du hast zu wild auf der Straße getanzt." Ist das die berühmter Kölner Toleranz? Die beiden Jungs winken ab, machen keine Szene, regen sich nicht auf. Das kennen sie. Als ich sage, die Jungs gehören zu mir, wir kennen uns, ist plötzlich alles auch gut. "Na dann ist das kein Problem", sagt der Türsteher. "Wir haben hier nur schonmal schlechte Erfahrungen gemacht. Und: Die beiden sind nicht verkleidet." Das rote Kopftuch das Prince als Pirat trägt, zählt für ihn nicht. Als Weiße bin ich nun Eintrittskarte für zwei Schwarze.

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Als wir drinnen sind, tanzen wir. So wie jeder hier. Anders als im Flüchtlingsheim ernten wir hier Blicke. Arif ist Tanzlehrer und tanzt mit meiner Freundin. Gekonnt, eng, aber nicht aufdringlich. Ich tanze mit Prince. Zwei Meter weiter ein Gröltrupp auf der Tanzfläche, Arme wandern von der Taille Richtung Po. 

Dat is Karneval. Grabschen erlaubt, Bützen (= Küssen) erlaubt. Nur bitte nicht von Schwarzen. Aus der Kölner Silvesternacht macht sich Prince nichts. Ja, er findet das schrecklich. Aber er bezieht das nicht auf sich. Warum auch? Und auch von der Ansage der Kölner Polizei, Flüchtlinge sollten sich von Karneval fernhalten, will er nichts wissen. Er will mitfeiern. Er ist jetzt hier und frei, und das genießt er.

Draußen beim Rauchen nochmal die Frage an den Türsteher: Warum durften die beiden nicht rein? Er entschuldigt sich. Er sagt, er habe selbst viele ausländische Freunde. Das Aus-der-Reihe-Tanzen von Prince habe ihn irritiert, er dachte, er sei zu betrunken. Prince kommt dazu, steckt sich eine Zigarette an. Umarmungen, Fotos, Tanzen. Alle haben sich (wieder) lieb.

Dat ist Karneval.

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