Foto: Parlamentsdirektion | Bildagentur Zolles KG | Mike Ranz
Dieser offene Brief ist in verkürzter Form zuerst auf Alexander Pollaks Facebook-Seite erschienen. Alexander Pollak ist Sprecher von SOS Mitmensch.Herr Kickl, Sie haben kürzlich in der ORF-Sendung Im Zentrum die große Bitte geäußert, dass Begriffe wie "rechtsextrem" oder "Nazi" nicht mehr in Zusammenhang mit Ihrer Partei genannt werden sollen. Ein faires Ansinnen, könnte man meinen. Allerdings hätte ich diesbezüglich ein paar Fragen an Sie, aber auch an Herrn Strache und Herrn Hofer. Sie sind ja alle schon sehr viele Jahre in führender Position in der FPÖ tätig.Zur Erinnerung: Johann Gudenus hat als Vorsitzender des Rings Freiheitlicher Jugend ein Forderungsprogramm erstellt und propagiert, in dem von Europa als "Wiege der Weißen" die Rede war und "ein Bekenntnis dazu, dass Europa 'weiß' ist" eingefordert wurde. Gudenus hat sich nie davon distanziert.Zur Erinnerung: Susanne Winter wurde 2009 rechtskräftig sowohl wegen Herabwürdigung religiöser Lehren als auch wegen Verhetzung verurteilt. Dennoch durfte sie ihr FPÖ-Nationalratsmandat behalten und wurde von der FPÖ bei der Wahl 2013 sogar wieder als Kandidatin für den Nationalrat aufgestellt und erhielt erneut ein Mandat. Erst im November 2015 wurde sie nach einem Antisemitismus-Eklat aus der FPÖ ausgeschlossen.Zur Erinnerung: Nicht nur wurde Johann Gudenus von der FPÖ-Führung in das Amt des Wiener Vizebürgermeister gehievt, auch Martin Graf, Mitglied der als rechtsextrem eingestuften schlagenden Verbindung "Olympia", wurde unter der jetzigen FPÖ-Spitze mit dem Posten des dritten Nationalratspräsidenten bedacht. Und FPÖ-Jungpolitiker Maximilian Krauss, der die Ausweisung von Zuwanderern "mit türkischem Blut" gefordert, den Wiener Bürgermeister als "Türken-Bürgermeister" bezeichnet und aus rechtsextremen Kreisen stammende hetzerische Lügenpropaganda weiter verbreitet hatte, wurde von der FPÖ-Führung für den Posten des Wiener Vize-Stadtschulratspräsidenten nominiert—von Wiens Bürgermeister jedoch abgelehnt.Zur Erinnerung: Diverse FPÖ-Politiker und FPÖ-Organisationen haben in den vergangenen Jahren regelmäßig Inseratschaltungen in der Zeitschrift Aula vorgenommen. So erschienen im Dezember 2015 gleich vier FPÖ-Inserate in der Aula. In der gleichen Ausgabe wurden Beiträge veröffentlicht, in denen über die "Judaisierung der Welt" philosophiert und "vor Rassenmischung" gewarnt wurde. Im Februar 2016 schaltete das FPÖ-Bildungsinstitut, wohl nicht zufällig kurz vor der anstehenden Bundespräsidentenwahl, ein Aula-Inserat, in dem für eine Publikation von FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer geworben wurde. Hofer hat sich nie von dieser Inseratschaltung distanziert.Zur Erinnerung: Die FPÖ ging 1955 aus dem "Verband der Unabhängigen" hervor. Der "Verband der Unabhängigen" war 1949 als Sammelbecken ehemaliger NSDAP-Mitglieder und Kriegsheimkehrer gegründet worden. Erster FPÖ-Parteiobmann war der ehemalige SS-Brigadeführer Anton Reinthaler. Reinthaler war bereits ab 1930 Mitglied der NSDAP. Ab 1933 war die Kornblume das Erkennungszeichen der damals für illegal erklärten Nationalsozialisten, denen Reinthaler angehörte. Seit 2006, also seit der Obmannschaft von Heinz-Christian Strache, tragen die FPÖ-Abgeordneten zu den konstituierenden Sitzungen des Nationalrats die Kornblume.Zur Erinnerung: Inzwischen sind unzählige Fälle dokumentiert, in denen von FPÖ-Seiten in sozialen Netzwerken Lügengeschichten verbreitet wurden, um damit Hetze zu betreiben. Ein besonders dreister Fall wurde Anfang 2012 von der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch dokumentiert. FPÖ-Obmann Strache postete ein Bild mit der Aufschrift "Österreicher in Not". Auf dem Bild befand sich eine Falschberechnung, die behauptete, "Asylanten" würden deutlich mehr Geld erhalten als österreichische Staatsbürger. Recherchen zeigten, dass die Herkunftsgeschichte des Lügenbildes direkt auf Neonaziseiten und zur radikal rechtsextremen Gruppierung "Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik" führte.Zur Erinnerung: Bei der ORF-Diskussionsrunde der Kandidatinnen und Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl am 21. April fragte ORF-Moderatorin Ingrid Thurnher den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, ob für ihn der 8. Mai, also der Tag der bedingungslosen Kapitulation des Hitler-Regimes, ein Tag der Freude sei. Hofer verzog daraufhin genervt das Gesicht und lehnte es ab, den Kapitulationstag der Nationalsozialisten als Tag der Freude zu bezeichnen.Zur Erinnerung: Am 12. September will die FPÖ, die sonst von sich sagt, immer nur in die Zukunft und nie in die Vergangenheit zu blicken, den 333. Jahrestag der erfolglosen zweiten Belagerung Wiens durch die Truppen des osmanischen Reichs mit einem großen Fest begehen. Der Sieg über den Nationalsozialismus im Jahr 1945, der die Grundlage für das heutige demokratische Österreich bildet, war demgegenüber für die FPÖ bisher nie ein Anlass für große Feierlichkeiten.Herr Kickl, Herr Strache, Herr Hofer, Sie hatten in den vergangenen Jahren unzählige Gelegenheiten, eine klare Grenzlinie zu rechtsextremen Personenkreisen, Positionen und Handlungsweisen zu ziehen—nicht nur dort, wo die Grenze zum Strafrecht überschritten wurde. Sie haben eine Gelegenheit nach der anderen ungenutzt verstreichen lassen.
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1. Warum haben Sie etwa jemanden wie Herrn Gudenus, der sich in rechtsextremen Kreisen bewegt und ein Bekenntnis zu einem "weißen Europa" einfordert, zum Wiener Vizebürgermeister bestellt?
2. Warum haben Sie als Teil der FPÖ-Führung jemanden wie Frau Winter auch nach ihrer Verurteilung wegen Verhetzung erneut als Kandidatin für den Nationalrat aufgestellt?
3. Wieso belohnen Sie als FPÖ-Führung Personen, die menschenverachtende, verhetzende oder rassistische Aussagen tätigen, mit hohen Positionen?
4. Warum lassen Sie als FPÖ-Führung es zu, dass die Zeitschrift Aula, die antisemitische und rassistische Beiträge veröffentlicht und KZ-Insassen als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnet, massiv mittels FPÖ-Inseratschaltungen unterstützt wird—unter anderem auch mit Inseraten, die für eine Publikation von Herrn Hofer werben?
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