Dieser schwule Muslim war als Undercover-Filmemacher in Mekka
Parvez Sharma vor der Kaaba in Mekka

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Dieser schwule Muslim war als Undercover-Filmemacher in Mekka

Als Homosexueller hat Parvez Sharma die Todesstrafe riskiert, um eine Pilgerfahrt in die heilige Stadt zu unternehmen.

Parvez Sharma arbeitet seit Jahren daran, den Islam von innen zu reformieren. Der in Indien geborene Journalist und Regisseur versucht mit seiner Arbeit, Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Religionen keinen Platz für homosexuelle Menschen lassen. Das war auch das Thema seines Films von 2007, Ein Dschihad für die Liebe, der vom Verhältnis des Islam zur Homosexualität handelt. Im Moment tourt er mit seinem neuen Werk Ein Sünder in Mekka um die Welt. Für diesen Film ist der schwule Regisseur verdeckt in die heiligste Stadt des Islam und das Ziel der Pilgerreise Hadsch gereist: Mekka in Saudi-Arabien.

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In Mekka darf nicht gefilmt werden, und in Saudi-Arabien steht auf Homosexualität die Todesstrafe, daher war Sharmas Reise keine ungefährliche. Er dokumentierte seine eigene Pilgerfahrt nach Mekka, wo er unter anderem die Vergebung seiner Mutter suchte, die bis zu ihrem Tod die Sexualität ihres Sohns nicht akzeptierte.

Zum Internationalen Filmfestival in Kopenhagen traf ich mich mit Parvez Sharma, um mich mit ihm über den Islam, Mohammed-Karikaturen und das Filmemachen mit iPhones zu unterhalten.

VICE: Warum wolltest du diesen Film drehen?
Parvez Sharma: 2011, ein paar Monate nach dem Tod Osama bin Ladens und dem Arabischen Frühling, beschloss ich, auf Pilgerfahrt zu gehen. Ich war gespannt, ob in Saudi-Arabien zu der Zeit auch Reformation in der Luft lag, wie in so vielen anderen arabischen Ländern. Außerdem wollte ich gerne wissen, wie die Leute auf Osama bin Ladens Tod reagierten. Ich hatte also ein klares Ziel. Ich wollte aufdecken, wie die saudische Regierung versucht, ihre eigene Version eines fundamentalistischen Wahhabi-Islams zu verbreiten—der meiner Meinung nach die größte Bedrohung der islamischen Welt darstellt. Niemand im Westen stellt Saudi-Arabien infrage. Das ist ein Land, das jede Woche Menschen enthauptet. Der Wahhabismus ist ja auch dieselbe Ideologie, die der Islamische Staat befolgt.

Ich hatte auch meine ganz persönliche Motivation für die Reise. Nachdem sie gestorben war, wollte ich gerne die Vergebung meiner Mutter suchen, die wegen meiner Sexualität immer wütend auf mich war. Außerdem wollte ich auch in ihrem Namen um Vergebung bitten, weil sie so wütend auf ihren Sohn war. Es heißt, dass niemand den Hadsch unternimmt, ohne von Gott eingeladen worden zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass ich diese Einladung zu jener Zeit bekommen hatte.

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Wie hast du es geschafft, in Mekka zu filmen, wo es doch eigentlich verboten ist?
Ich nennen den Film „The Saudi Selfie Movie". Die Smartphone-Technologie bedeutet, dass alle Filme drehen können. Ich habe 85 Prozent des Films auf meinem iPhone gedreht. Ich hatte auch zwei Kameras, die Nokia-Handys ähnelten. Jeden Abend übertrug ich das Material auf meinen Computer und auf eine externe Festplatte. Ich war zu keinem Zeitpunkt sicher, dass ich oder das Material irgendwie aus dem Land kommen würden. Also wusste ich auch nicht, ob überhaupt ein Film daraus werden würde.

Screenshot aus dem Film

Hattest du Angst?
Natürlich. Ich habe noch nie im Leben mehr Angst gehabt. Ich war außer mir vor Angst. Sie hätte mich nur einmal googeln müssen, um herauszufinden, dass ich einen Film über Islam und Homosexualität gedreht habe. Ich, der selber schwul ist und gegen den nach dem Film eine Fatwa ausgerufen wurde. Ich weiß noch, wie sehr ich mich bei der Einreise gefürchtet habe. Die Strafe, die in Saudi-Arabien auf Homosexualität steht, ist entweder Auspeitschen oder die Todesstrafe, und das ging mir durch den Kopf, während ich meinen Pass vorzeigen musste.

Lies auf Motherboard, wie Kuwait Einreisende einer Untersuchung unterziehen will, um Homosexuelle zu erkennen

Wie bist du überhaupt ins Land gelangt?
Zum Hadsch stellt Saudi-Arabien drei Millionen Visa aus. Da lassen sich nicht für alle Identitätsüberprüfungen durchführen. Wenn ich zu irgendeinem anderen Zeitpunkt eingereist wäre, dann hätten sie meine Identität wahrscheinlich entdeckt, und dann hätte ich Probleme bekommen. Zu Anfang der Reise wurde mein Videomaterial auch von der Religionspolizei gelöscht. Das Material, das überlebt hat, ist im Film enthalten.

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Was hoffst du mit deinem Film zu erreichen?
Wie ich im Film auch sage, führt der Islam gerade Krieg gegen sich selbst. Ich wünsche mir, dass Muslime ihre Religion hinterfragen. Wenn das passieren soll, dann müssen gläubige Muslime sich zu Wort melden und darüber sprechen, was mit dem Islam nicht stimmt. Das ist es, worauf ich im Moment hinarbeite. Ich bin jetzt Hadsch-Pilger, die größte Ehre, die man im Islam erreichen kann. Persönlich konzentriere ich mich darauf, wie schädlich der Wahhabismus ist.

Parvez Sharma mit dem iPhone, mit dem er Ein Sünder in Mekka gedreht hat

Was kann der Westen tun, um Muslimen wie dir zu helfen, den Islam von innen zu reformieren?
Wenn der Islam reformiert werden soll, dann kann das nur von innen geschehen. Der Islam wird sich nicht ändern, nur weil Dänen Karikaturen des Propheten Mohammed zeichnen oder der Westen radikalmuslimische Gruppen angreift. Ich bin gegen die Mohammed-Karikaturen. Als Künstler bin ich natürlich für die freie Meinungsäußerung, aber ich finde, dazu gehört auch Verantwortung. Die Meinungsfreiheit gegen eine Minderheit einzusetzen, die sich bereits an den Rand gedrängt fühlt, wie es bei vielen Muslimen in Europa der Fall ist, ist falsch. Deswegen bin ich sehr gegen diese Zeichnungen. Am liebsten wäre mir, es hätte sie nie gegeben.

Der Westen kann diese Dinge nicht ändern. Doch er kann den Unterschied zwischen dem Islam und Islamisten erkennen. Es gibt so viel Angst vor Muslimen in Europa, weil Europa seine Religion verloren hat. Ich lebe in den USA, was ein sehr religiöses Land ist. Doch dort ist Religion Privatsache. Wenn ich in Europa die Straße entlanglaufe, dann sehen mir die Leute hinterher. Das machen sie in den USA nicht. Hier in Europa bin ich ein Außenseiter.

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Der offizielle Trailer zu Ein Sünder in Mekka

In Europa gibt es auch viele junge Muslime, die sich mit dieser radikalen Form des Islam identifizieren, gegen die du kämpfst.
Ich bin auch ein radikaler Muslim. So sehe ich mich selbst. Aber eben auf eine andere Art. Ich spreche von einem anderen Islam als dem, vor dem sich die Leute im Westen so fürchten. Einer der Gründe, warum mehr und mehr radikalisiert werden, ist, dass Saudi-Arabien einen fundamentalistischen Islam exportiert. Das ist eine Fehlinterpretation des Islam, doch er kann für junge Menschen anziehend sein. Die Vorstellung des Dschihad ist für sie ansprechend. Doch es ist wichtig zu betonen, dass es zwei völlig verschiedene Dinge sind, für den IS zu kämpfen und für den Islam zu kämpfen. Der Westen sollte den IS bekämpfen, aber nicht den Islam.

Vielen Dank, Parvez.

Ein Sünder in Mekka sollte demnächst hier online zu sehen sein.