DIY-Maschinengewehre und Giftgas-Rezepte: Die Schweizer Anleitung zum Guerilla-Krieg

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DIY-Maschinengewehre und Giftgas-Rezepte: Die Schweizer Anleitung zum Guerilla-Krieg

"Der Totale Widerstand" ist eines der absurdesten Schriftstücke, das die Schweizer Armee jemals publiziert hat.

Der ehemalige Schweizer Geheimdienstler Hans-Rudolf Strasser ist am 23. Juni 2016 im Alter von 79 Jahren gestorben. Mit ihm geht ein wichtiger und zentraler Zeitzeuge aus einer Zeit, die der offiziellen Schweiz heute eher peinlich ist und die sie vergessen will. So kommt es wohl auch, dass ein guter Teil der Todesanzeige Strassers aus einer Anklageschrift an den damaligen Bundesrat Kaspar Villiger besteht. Unter der Verantwortung Villigers wurde die geheime Widerstandsgruppe P-26, von der Strasser ein wesentlicher Teil war, aufgezogen. Die P-26 war aber nur ein Symptom einer damaligen Mentalität, die durch und durch der Abwehr vom Schreckgespenst Kommunismus gewidmet war. Politik und Gesellschaft waren durchdrungen von einer diffusen Angst und einem andauernden Ringen um eine wirklich eigene schweizerische Identität.

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Die Buchreihe "Der Totale Widerstand" ist ein weiteres Symptom dieser Zeit.Das Werk erstreckt sich über sieben Bände und ist eine der umfassendsten und effektivsten Anleitungen, einen Guerilla-Krieg zu führen.

Während des Zweiten Weltkriegs war die Schweiz nicht gerade die Speerspitze des Widerstands gegen das Dritte Reich. Nebst Bank- und Zulieferungsgeschäften mit den Achsenmächten als auch den Alliierten taten sich die Schweizer durch eine Reihe politischer Randgruppierungen hervor, die den Nationalsozialismus offen unterstützten. Es wurden Grenzen geschlossen, Lufträume offen gehalten und Konzentrationslager am Zürichsee geplant. Die zwangsneutrale Schweiz ist so weitgehend vom Zweiten Weltkrieg verschont geblieben.

Auch wenn die Schweiz dank dieser eleganten diplomatischen Bemühungen die grösste Katastrophe des 20. Jahrhunderts schadlos überstanden hat, wurde im Verlauf des Kriegs offensichtlich, dass die Eidgenossen im Falle einer feindlichen Invasion kaum eine Chance gehabt hätten, ihren Alpenstaat erfolgreich zu verteidigen. Die Schweizer Armee ist trotz Milizsystem zu klein und das Land ebenfalls. Schon 1944 hätten beispielsweise die Nazis eine V2-Rakete von der einen Landesgrenze zur anderen ballern können, mal ganz abgesehen von der ansonsten weitaus überlegenen Truppenstärke.

Nach Hitlers Fall verschwanden zwar die befestigten Grenzposten und nationalen Sturmtruppen abrupt, die Angst vor Invasoren hielt sich aber wacker in den helvetischen Herzen. Statt den Nazis galt die Furcht bald der sowjetischen Bedrohung aus dem Osten.

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Generell ging die Schweizer Armeeführung davon aus, dass vermeintliche (höchstwahrscheinlich kommunistische) Invasoren relativ schnell die Oberhand gewinnen würden. Die Verkehrsknotenpunkte des Landes wären wohl innerhalb weniger Tage besetzt gewesen, die Truppen versprengt und der Bundesrat im Exil gelandet.

Findig, wie die Schweizer so sind, haben sie sich für dieses Szenario eine gewaltige Bunkeranlage in das Gotthard-Bergmassiv gebaut. Réduit heisst der für den Ernstfall erstellte Höhlenkomplex und ist auch heute noch in Betrieb. In diesen Bunker, so der Plan des obersten Generals Henri Guisan, sollten sich die überlebenden Soldaten, aber auch grosse Teile der Bevölkerung zurückziehen und anschliessend die Besatzer durch Guerilla-Taktiken bekämpfen.

Diverse Schreckensszenarien wurden durchgespielt. Der Generalstab rund um den Schweizer Nationalhelden Guisan erging sich förmlich in unterschiedlichen Varianten und Strategien für den Aufbau des Widerstandsplans Réduit. Schlussendlich konnte sich Samuel Gonard, der damalige Leiter des Generalstabs und spätere Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, mit seinem "Plan Gonard" durchsetzen.

Es ist klar, dass nicht jedwede Hausfrau, jeder Milchbauer oder Uhrmacher über das nötige militärische Training verfügt, die Bahnhofstrasse gegen russische Panzer zu verteidigen. Genau aus diesem Grund hat der Major Hans von Dach sich hingesetzt und unter dem Titel Der Totale Widerstand eine Anleitung verfasst, die jeden Schweizer Bürger zum Notfall-Guerilla-Krieger machen sollte.

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Ein Auszug aus "Der Totale Widerstand" | Bild mit freundlicher Genehmigung der Swiss Firearms Trade GmbH

Von Propaganda- und Foltertechniken über Anleitungen zum Maschinengewehre-selber-Basteln bis hin zu Rezepten, die etwa das Giftgasmischen und Bombenbauen aus Haushaltsmittelchen ermöglichen, erzählt einem die Buchreihe wirklich alles, was man übers zivile Kriegführen wissen will. Im Vergleich zu Der Totale Widerstand wirkt das Anarchist Cookbook wie eine Bastelanleitung für Vorschüler. So erklärt sich auch, dass mir von Vertretern des VBS (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport) nahegelegt wurde, von einer Berichterstattung über diese Buchreihe abzusehen.

Wahrscheinlich funktionieren von Dachs Anleitungen einfach ausnehmend gut. Aber genau das ist wohl auch der Grund, warum den Staaten und Regierungen nicht ganz so wohlgesonnene Gruppierungen und Verlage dafür sorgten, dass das Büchlein in etliche Sprachen übersetzt wurde und so weltweit eine begeisterte Leserschaft generieren konnte.

Den eher konservativen Mitgliedern der Schweizer Armeeführung lag es aber fern, die Bürger mit dem Wissen zum Guerilla-Krieg auszurüsten und diese dann unorganisiert sich selbst, dem Feind und dem Asphaltdschungel zu überlassen. So entstanden aus der UNA (Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr) die infamen Geheimgruppierungen "P-26" und "P-27". Die P-26 war als Kaderorganisation für den Notfall-Widerstand gedacht. Die P-27 war eine Spionageorganisation, die die P 26 und das Militärdepartement mit Informationen insbesondere über Schweizer Bürger versorgte.

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Unter der Leitung des 2014 ebenfalls verschiedenen Efrem Cattelan und dessen Stab, dem auch Hans-Rudolf Strasser (der damaligen Informationschef des Eidgenössischen Militärdepartements) angehörte, wurden aus allen möglichen Gesellschaftssektoren Mitglieder rekrutiert und in einem geheimen Bunker (diesmal in Basel) ausgebildet. Dabei achtete man darauf, möglichst durchschnittliche und unauffällige Persönlichkeiten auszuwählen. Es wurden auch Frauen ausgebildet, wie beispielsweise die ehemalige Vorsitzende des Schaffhauser Stadtparlaments, Susanne Günter.

Die P-26 wurde in Kleinstzellen aufgebaut und ihre Existenz vollständig von der Öffentlichkeit ferngehalten. Jedes Mitglied kannte maximal eine Hand voll anderer Mitglieder beim (Code-)Namen. Die Kommunikation lief über tote Briefkästen. Niemand wusste auch nur das kleinste bisschen über die P-26. Diese wiederum wusste dank eigenem Nachrichtendienst, der P-27, allerdings über so ziemlich jeden Bescheid. Im Rahmen der Vorbereitung auf den "totalen Widerstand" war es für die Organisation nur natürlich, sich Informationen über potentielle Deserteure und Spione im eigenen Land zu beschaffen.

Knapp eine Million "Fichen" (Akten) haben die emsigen Frauen und Mannen von der P-27 über Gewerkschafter, linke Politiker, Künstler, Schriftsteller und was es sonst noch an Kommunismus-affinem Pack zu finden gab, angelegt. Wer glaubt, die McCathy-Ära sei schlimm gewesen, der lebte in den 80ern nicht in der Schweiz. Jeder sechste Schweizer wurde implizit verdächtigt, mit den totalitären Russen zusammenzuarbeiten. Die P-27 stand, gemessen an ihrer Grösse (höchstens 400 Mitglieder), der CIA diesbezüglich in nichts nach.

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Fast zeitgleich sollte die Buchreihe auch in Deutschland prominent auftreten. Will man dem deutschen Verfassungsschutz glauben, wurden Rohrbomben der RAF mittels Anleitungen aus Major von Dachs Büchlein zusammengebastelt. Die Reihe landete jedenfalls kurz nach der Zersprengung der ersten Generation von RAF-Terroristen auf dem deutschen Index, auch wenn Professor Wolfgang Kraushaar, Experte in Sachen RAF, die Rolle von Der Totale Widerstand unter Berufung auf eine Quelle, die öffentlich nicht genannt werden will, für nicht so gross hält:

"Der Totale Widerstand, genauer Bd. 1, die 'Kleinkriegsanleitung für Jedermann' war zu Beginn der 70er Jahre innerhalb der einschlägigen bewaffneten Gruppierungen in der Bundesrepublik Deutschland wie der RAF, der Bewegung 2. Juni und der Revolutionären Zellen schon bekannt und im linksradikalen Milieu auch darüber hinaus verbreitet, sie soll aber in Fragen der konkreten Verwendbarkeit so gut wie keine Rolle gespielt haben. Die Schriften Majors von Dach, so heisst es, hätten als altmodisch und für die eigene terroristische Praxis als nicht weiterführend gegolten. Dies sei beispielsweise ein Urteil von Hans-Joachim Klein gewesen, der zu den Revolutionären Zellen gehörte und im Dezember 1975 zusammen mit Carlos in Wien am Überfall auf das dortige OPEC-Treffen beteiligt war."

1990 wurden P-26 als auch P-27 im Fahrwasser eines der grössten politischen Skandale der jüngeren Schweizer Geschichte aufgelöst. Allerdings bleibt unklar, was mit den Überwachungsakten der P-27 passiert ist. Zerstört wurden sie jedenfalls nicht.

Die gefürchtete kommunistische Invasion blieb bis heute aus. Durchaus dankbar für die Instruktionen des Majors von Dach dürften stattdessen die revolutionären Kräfte rund um den Globus gewesen sein. Gerüchten zufolge bediente sich Fidel Castros M-26-7 bis spät in die 90er des Machwerks aus der Alpenrepublik.

Schlussendlich war Der Totale Widerstand also wahrscheinlich genau der sozialistischen Bedrohung eine Hilfe, gegen die man sich mittels des Buches ursprünglich hatte wehren wollen. Gleichzeitig nahm die Schweizer Gesellschaft selbst genau die Charakterzüge an, vor denen sie sich eigentlich ja gefürchtet hatte, und stellt somit ein weiteres Beispiel für die Absurdität unserer Geschichte dar. Heute wird das Werk noch gerne in Neonazi-Foren diskutiert und ist bei wohlsortierten Waffenhändlern nach wie vor erhältlich.

Dieser Artikel erschien 2012 in einer Erstversion in der VICE-Printausgabe Volume 6 Number 8.

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