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Die spirituelle Freakshow der Zürcher Montagsdemo

Weil die Montagsdemos in Berlin und Wien so beängstigend wie weird wirken, haben wir uns entschlossen, uns die Friedensmahnwache in Zürich mal näher anzuschauen.

Es ist kurz vor 18 Uhr: Ein Tamburin sorgt für Klanguntermalung, während zwei Aktivisten die Brücke mit Kreide-Schriftzügen einfärben. Frieden, so weit das Auge reicht: Seifenblasen schweben durch die Gegend, bemalte Schirme und Regenbogenfahnen schmücken die Brücke—auch eine Schachtel mit „Friedens-Armbändeli“ steht bereit. Aus vielen Plakaten gibt es ein grosses Peace-Zeichen mit Zitaten  von Gandhi, Buddha und Julian Assange. Zunächst treffen all die Gerüchte über eine obskure Polit-Freakshow überhaupt nicht zu. Die Stimmung  gleicht eher einem anthroposophischen Kindergeburtstag.

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Plötzlich beginnt ein begeistert vorgetragener Monolog: „Hinter den grossen Weltreligionen steckt Nimrod“, erklärt ein Mann, der sich als Friedhofsgärtner vorstellt. „Dieser Sektenführer spielt Gott, seit Jahrtausenden steuert er vom Jenseits aus die Familie Rothschild, um die Welt zu beherrschen—zusammen mit ihren Gehilfen, den Rockefellers“, führt er aus. Ihm ist aber klar, dass er mit den Rothschild-Räuberstorys in trüben Gewässern fischt. Wie in solchen Fällen üblich betont er, dass das nicht antisemitisch gemeint sei. Trotz der Steilvorlage für die politische Schmuddelecke wolle man an den Montagsdemos nichts mit Rechtsextremen am Hut haben, versichert er.

Sogleich fährt er fort: Moses sei ein Trickbetrüger gewesen und die Bundeslade der Israeliten eine Art Massenvernichtungswaffe, was sehr an den ersten Indiana-Jones-Film erinnert. „In Wahrheit ist Jesus im Kaschmir gestorben, was die Kirche verschwiegen hat“, erklärt der Friedhofsgärtner weiter. „Nun ist eine Christus-Reinkarnation erschienen. Dieser wirkliche Jesus hat sich kürzlich auf einer Facebook-Seite offenbart“, erläutert er.

Gleich nebenan drückt ein freundlicher junger Mann den Passanten Flyer in die Hände. «Ich bin ehemaliger Börsianer—nur zu gut weiss ich also, wie ausbeuterisch die Finanzwelt ist“. Gemeinsam wolle man ein neues soziales System implementieren, etwa mit Ideen wie dem Wörgler Freigeld. „Ich bin weder links noch rechts“, betont er. Dabei holt er zu einem Medienrundschlag aus: „Kritisiert man die Banken, kommt stets das Totschlagargument des Antisemitismus und von linker Seite kritisiert man uns wegen einer verkürzten Kapitalismuskritik.“, Die aus seiner Sicht diffamierende Berichterstattung über die Montagsdemos sieht er als Zeichen dafür, dass die in über 80 Städte vertretene Bewegung eine Bedrohung für die Elite darstellt.

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Nach diesen ersten Höchstmomenten aufgeklärter Weltanschauung beginnt die Versammlung. Rund 60, meist jüngere Leute sitzen im Kreis. Eine zierliche rothaarige Frau mit einer Peace-Kette greift zum Mikrofon. „Ich will nicht, dass der Dritte Weltkrieg ausbricht“, beteuert sie. „Dank euch Brüdern und Schwestern sehe ich das Licht wieder“, sagt sie unter tosendem Applaus. Obschon die Rede manchmal nach Messe klingt,  konnte ich ihre Überzeugung spüren.

Auch andere Leute ergreifen das Wort: Ein Mann im mittleren Alter mit einem Thailand-T-Shirt erzählt von den Erfindungen des iranischen Nuklearingenieurs M.T. Keshe. „Er baut in Italien ein Raumschiff, das 2016 abheben soll“ Das Flugobjekt soll bis zu 500 Leute in andere Galaxien befördern können. „Dort, wo wir hinfliegen gibt es kein Geld“, freut sich der Redner und erwähnt auch andere revolutionäre Erfindungen des M.T. Keshe. Der Iraner habe auch schon ein Auto schweben lassen und könne Gedanken lesen. Mit „Diese neue Technologie zwingt uns, friedlich zu werden“ spannt er den Bogen zur Friedensmahnwache.

Weitere Inputs sind: Ein Redner, der sich als „Natursoziologe“ vorstellt, erklärt anhand eines Pendels, wie sich das Individuum in einer Aufhängung des Staates befindet und spricht von den Überwachungskameras als neuen Waffen. Später  hält er ein Plädoyer für die Hanf-Medizin. Harmlos wird es mit dem  Kollektiv, das auch Leuten mit schmalem Budget den Kauf von Bio-Gemüse ermöglichen will und seine Arbeit vorstellt.  Den Schluss-Peak bildet eine junge Frau im rosaroten Rock: „Ich bin vor fünf Jahren aufgewacht“, beginnt sie ihr Statement. Sie ernähre sich vegan, wasche sich die Haare mit Natron und Apfelessig und verzichte auch beim Essen und Zähneputzen gänzlich auf Chemie. Gerührt erzählt sie  ihre Utopie: „Wir werden uns ein Land suchen, wo wir unsere Träume verwirklichen können, mit Permakultur, wo die Pflanzen miteinander kommunizieren. Wir möchten euch alle lieben und umarmen“

Eigentlich erinnert die Atmosphäre weniger an eine Demo, als an einen Tag der offenen Tür  im Yoga-Club. Abgesehen von den Rothschild-Verrenkungen erlebe ich in Zürich das ideologische Gruselkabinett nur am Rand. Das meiste bleibt in einem abenteuerlichen aber recht harmlosen Rahmen. Den weit dehnbaren Begriff „Frieden“ verstehen die Teilnehmer hier sehr offen und jeder für sich verschieden.