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Sex

So haben wir Mädchen unsere Sexualität entdeckt

Bei Dosenbier plauderte ich mit meinen Freundinnen über erste sexuelle Erfahrungen. Dabei ging es um elektrische Zahnbürsten und Duschköpfe.
Foto von pau.artigas

Vergangene Woche sass ich mit Bier, entsprechend steigendem Blutalkoholspiegel und zwei Freundinnen an der Limmat und sprach über Sex. Wir redeten nicht über aktuelle Lieblingsstellungen oder neue Liebhaber. Wir sprachen über die frühsten, sexuellen Erfahrungen und unseren damaligen Umgang mit ihnen. Ich erfuhr vom erquickenden Einsatz eines Edding-Stifts, dem ein Altar für seine lustfördernden Dienstleistungen gebaut werden sollte. Eins fiel uns allen auf: Wir waren irgendwie erleichtert, dass wir endlich darüber sprechen konnten, wie früh wir alle Dinge taten, die uns damals die Röte ins Gesicht trieben. Denn wir Mädels machen in frühen Jahren einen Affenzirkus um Sexualität und gehen ganz anders an Themen wie Selbstbefriedigung und Sex heran, als es unsere damaligen männlichen Klassenkameraden taten.

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Ich für meinen Teil hatte immer schon eine abstrakte Ahnung von Sexualität, begründet durch einen super offenen Erziehungsstil meiner Eltern. Für Sex braucht's einen Penis, der in eine Vagina eindringt. Basta. Meine Mutter hat die ganze Angelegenheit zwar „Liebe machen" genannt, für mich zählte aber ausschliesslich die rein pragmatische Abfolge der entsprechenden Schritte als hinreichende Beschreibung für Sex. Sex gab es (im engeren Sinne) daher nur zwischen Mann und Frau. Lesbischen Sex habe ich daher aus purer Logik nicht als wirklichen Sex verstanden. Das war dann halt in meinem Verständnis nur „Liebe machen". Reine Definitionssache also.

Foto von Daniel Dionne | Flickr | CC BY-SA 2.0

Gespielter Sex

Sex war also am Anfang eine belustigende, aber doch eklige Sache. Trotzdem interessant genug, um uns näher damit zu beschäftigen. Die Realitätsnähe war immer schon Masstab der Qualität eines Spiels gewesen, so auch bei den Geschichten, die unsere Barbies erlebten. Meistens handelte ihr Leben und unser Spiel von Liebe. Unsere Barbies lernten also irgendwo einen heissen Ken kennen, die beiden Plastik-Figuren verliebten sich auf Anhieb ineinander und dann stand Sex auf dem Programm. Wir zogen also die Puppen aus, legten sie aufeinander und machten stellvertretend für sie Knutsch-Geräusche, die immer wieder von Lachanfällen unterbrochen wurden. Knutsch-Geräusche. Das mit dem Stöhnen hatte noch keiner von uns kapiert. Der Fakt, dass Ken keinen Penis hatte, irritierte uns schon damals. Ken hatte schliesslich auch Hände und fünf zumindest angedeutete Finger.

Schon ziemlich kurz nach der Einschulung waren es dann nicht mehr unsere Barbies, die Sex simulierten, sondern wir selber. Es ging hier nie um eine konkrete sexuelle Erregung, die wir unseren Freundinnen gegenüber empfanden. Und trotzdem war es eines der aufregendsten Spiele, erst zu definieren, wer den männlichen Part übernehmen würde, sich anschliessend splitternackt auszuziehen und unter der Bettdecke aufeinander zu legen. Nach weiteren Lachanfällen zogen wir uns dann wieder an und schämten uns ein wenig. Intuitiv wussten wir, dass wir darüber nie mehr sprechen sollten.

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Es erschien uns logisch, dass zum Koitus ein Junge dazugehörte. Einmal bezogen wir einen Nachbarsjungen in unser Spiel ein. Natürlich willigte er begeistert ein, für mehr Realitätsnähe zu sorgen. Grundsätzlich empfanden wir Ekel vor körperlicher Nähe zwischen Mädchen und Jungs, weshalb wir uns auch davor hüteten, aus Versehen einen Kuss abzukriegen. Gespielter Sex war ein Gegenstand, der einfach erledigt werden musste.

Foto von Holly | Flickr | CC BY-SA 2.0

Selbstbefriedigung

In meinem ersten Klassenlager in der Sekundarschule platzte ich unangekündigt in den Jungenschlafsaal. Ich löste damit ertappte Schreie aus und wurde mit Taschentüchern beworfen. Als sich die Situation beruhigt hatte, wurde mir erklärt, dass ich die Jungs gerade bei ihrem Wichs-Wettbewerb gestört hatte. Ich war ziemlich beeindruckt von der Tatsache, wie offen meine männlichen Mitschüler untereinander mit ihrer Sexualität umgingen, sodass sie sich gemeinsam einen runterholten, um ihren Wichs-König zu krönen. Dass sie mir ihre vollgewichsten Taschentücher an den Kopf warfen, störte mich aber schon.

Wir Mädchen taten das nicht. Selbstbefriedigung war bis dahin etwas Unreines. Etwas, was ein hübsches, wohlduftendes, sanftes Mädchen nicht tun würde. Und wir alle wollten mit unseren 13 Jahren wohlduftende, grazile Wesen sein, die Feenstaub pupsen. Unsere ersten Erfahrungen mit Selbstbefriedigung machten wir deshalb unter Geheimhaltung. Aber wir machten sie alle.

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Das Schwimmbad und seine Düsen. Als Mädchen war dies der wunderbarste Ort, um das eigene Lustempfinden für sich zu entdecken. Ich erinnere mich an einen Klassenausflug ins Alpamare. Die Jungs flitzten zu den Wasserrutschen, die Mädchen wollten alle ins Thermalbad zu den Düsen, um sich zu „entspannen". Die Düsen-Plätze, die für die Massage der Schultern gedacht waren, wurden grösstenteils übersprungen.

Als ich etwa 15 war, erlöste mich eine Freundin von meinem Schweigen über Selbstbefriedigung. Sie war fast zwei Jahre älter als ich, war unheimlich offen und unbeschwert und redete grundsätzlich über Sex wie über die Wahl ihres Mittagsmenüs. Sie empfand Selbstbefriedigung wie den Luxus, hin und wieder ein Bad zu nehmen. Begeistert und in einer Selbstverständlichkeit quasselte sie bei einem Shoppingtrip detailliert über ihre Vorlieben: Der Duschkopf muss so eingestellt werden, dass der Wasserstrahl konzentriert und möglichst hart aus dessen Mitte schiesst. Dann möglichst nah an den Kitzler ran, halt so, dass es nicht weh tut.

Während ich im Kleiderladen vor den Umkleiden wartete und sie T-Shirts anprobierte, brüllte sie mir durch den Vorhang weitere Tipps zu: Die elektrische Zahnbürste. Die darf man aber nicht direkt auf die Klitoris halten, sondern auf das Häutchen darüber. Orgasmus-Garantie! Ich liebte sie für diesen Nachmittag.

Der erste echte Sex

Dank dem ausführlichen Erkunden des eigenen Körpers weisst du schliesslich, dass dein pubertärer Körper in der Lage ist, einen Tampon in sich aufzunehmen und schmerzlos zu verwahren, du weisst, das ein Edding-Stift zwar keinen Schaden in deiner Vagina anrichtet, aber gar nicht so viel Spass macht und du hast bemerkt, dass es Dinge gibt, die dich schon ganz schön anmachen. Und dann kommt plötzlich eine neue Komponente ins Spiel: Der Penis.

Foto von Marc Diego | Flickr | CC BY 2.0

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Wer von seinem ersten Mal erwartet, das der behutsame Kuschelsex einem Über-Orgasmen beschert, hat es nicht besser verdient, als deprimiert zu sein. Du kennst halbwegs deine eigenen Sexual-Funktionen, weisst, wo man drücken, saugen, lecken darf und wo besser nicht, hast aber noch keinen Plan vom interaktiven Part. Wie bitte, kannst du von deinem pickeligen Teenagerfreund erwarten, dass er deinen hochkomplexen Körper richtig bedienen kann? Siehst du.

An diesem Punkt stand ich also am Anfang des zweiten Kapitels des Themas „Sexualität entdecken" und an diesem Kapitel arbeite ich noch heute. Ich habe für mich gelernt, dass ich mit Offenheit bisher sehr gut gefahren bin. Ich habe gelernt, Sex an und für sich als verbindendes Instrument zweier Menschen anzusehen. Als Instrument, das etwas Neues entstehen lassen kann, aber nicht zwingend muss. Sex soll in erster Linie Spass machen. Ich habe gelernt, meine bisexuelle Ader zu respektieren und ihr ab und an Futter zu geben. Ich habe die Erfahrung machen dürfen, dass Sex mit der richtigen Person und einer kleinen Dosis MDMA nicht mehr Sex mit dem Ziel Orgasmus ist, sondern ein Akt mit einem höheren Sinn. Das alles zeigt mir, dass das Entdecken der eigenen, weiblichen Sexualität längst noch nicht abgeschlossen ist.

Ich bin dankbar für die unbeschwerte Selbsthilfe-Diskussion mit Bier an der Limmat, weil wir endlich diese tabuisierten Themen ansprechen konnten. Weil wir darüber sprachen, dass wir Mädchen einen ebenso starken Sexualtrieb haben, wie die Jungs. Weil es uns nun hilft, die eigene Entwicklung besser zu verstehen. Unbeschwertheit sollte auch unter Mädchen Einzug halten, doch diese ist erst dann logische Folge, wenn die weibliche Entdeckung der Sexualität enttabuisiert wird.


Titelbild von Khairul Nizam | Flickr | CC BY-SA 2.0

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