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Frontex nimmt Stellung zur „Geisterschiff“-Kontroverse

Die ARD hat der Grenzschutzagentur vorgeworfen, Fakten über Flüchtlingsschiffe zu „verdrehen". Wir haben den Einsatzleiter der Agentur zu den Vorwürfen befragt.

Kaum eine europäische Agentur ist in den letzten Jahren so in die Kritik geraten wie Frontex. Die Agentur wurde 2004 ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit der europäische Staaten zu stärken, wenn es um den „ Schutz der Außengrenzen" geht. In den letzten zwei Jahren hat eine Rekordzahl von Menschen versucht, nach Europa zu fliehen.

Da viele von ihnen mangels Papieren den gefährlichen Weg über das Mittelmeerwagen müssen, kommt es immer wieder zu Schiffsunglücken, die Hunderten von Menschen das Leben kosten. Die NGO Pro Asyl rechnet mit 23.000 Menschen, die seit dem Jahr 2000 auf dem Weg nach Europa umgekommen sind.

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In den letzten Jahren geriet deshalb auch Frontex immer mehr in den Fokus der Medien. Obwohl Frontex keine eigene Armada von Patrouillenbooten und patrouillierenden Grenzsoldaten besitzt, sondern hauptsächlich die Kräfte der Mitgliedsstaaten koordiniert, ist die Agentur für viele Kritiker zum Sinnbild für die „Festung Europa" geworden.

Im Februar geriet die Agentur besonders in die Kritik, als sich herausstellte, dass ein von Frontex als „Geisterschiff" bezeichnetes Flüchtlingsschiff, der Frachter „Blue Sky M", gar nicht von seiner Besatzung verlassen worden war. Das ARD-Magazin Panorama warf der Agentur vor, die Wahrheit „verdreht" zu haben. Der Fall zeige, „wie weit Europas Grenzschützer im propagandistischen Kampf gegen die ‚illegale Migration' gehen."

Klaus Rösler ist der operative Einsatzleiter von Frontex. Er war kürzlich in Berlin, um auf dem Europäischen Polizeikongress die Arbeit und Ergebnisse von Frontex vorzustellen. In seinem Vortrag sprach er wieder über die Methode der Schleuser, große Schiffe einfach unbemannt auf Autopilot über das Mittlemeer fahren zu lassen. Die „Blue Sky M" erwähnte er aber nicht mehr. Nach seinem Vortrag fragte ich also nach, ob Frontex die Situation mittlerweile anders beurteilt.

Foto: Frontex

VICE: Herr Rösler, die Demonstranten werfen Ihnen vor, Sie hätten die italienische Küstenwache angewiesen, keine Seenotrettung außerhalb von 30 Meilen der italienischen Küste durchzuführen. Stimmt das?
Klaus Rösler: Das ist völlig unzutreffend. Mit diesem Brief vom 25. November 2014 handelt es sich um die Fortsetzung einer Diskussion mit den zuständigen italienischen Behörden über eine verbesserte Koordinierung bei einem Seenotrettungsfall.

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Es hat niemals Zweifel daran gegeben, dass Frontex seiner Verpflichtung gemäß internationaler Konventionen, die ganz klar den Mechanismus und die Verpflichtung zur Seenotrettung etablieren, nachkommt. Jeder, der unterwegs ist, hat Folge zu leisten, wenn er in der Nähe ist und ein zur Rettung geeignetes Fahrzeug hat. Diese Verpflichtung ist von Frontex nie in Frage gestellt worden, bei jedem dritten Seenotrettungseinsatz sind von Frontex koordinierte Einsatzmitte auch aktiv beteiligt.

Insofern können wir auch niemals italienische Behörden auffordern, so etwas einzustellen oder auf ein bestimmtes Einsatzgebiet zu beschränken. Uns ging es um einen besseren Informationsaustausch bei Seenotrettungseinsätzen unter Einbeziehung von von Frontex koordinierten Luft- oder Wasserfahrzeugen.

Wenn also 10 Meilen vor der libyschen Küste ein Boot kentert und Frontex sieht das, dann wird auch etwas unternommen?
Dann wird dieser Fall an das Seenotsrettungszentrum der Maltesen oder der Italiener oder an beide gemeldet. Dann wird das Seenotrettungsgzentrum alle in der Nähe befindlichen Wasserfahrzeuge ausfindig machen, und dann müssen diejenigen helfen, die das am schnellsten und effektivsten können. Das kann auch ein von Frontex koordiniertes Boot sein.

Das heißt, von Frontex koordinierte Boote beschränken sich bei der Seenotrettung nicht auf eine 30-Meilen-Zone?
Richtig.

Frontex ist kürzlich in die Kritik geraten, weil es über den Frachter „Blue Sky M" die Geschichte vom unbemannten „Geisterschiff" in die Welt gesetzt hat. Das ARD-Magazin Panorama hat jetzt herausgefunden, dass das nicht stimmt. Was sagen Sie dazu?
Ich kann dazu sagen, dass meine Pressesprecherin von Panorama eine halbe Stunde lang zum Frachter „Ezadeen" befragt worden ist, und dann ist das für eine Reportage über „Blue Sky M" verwendet worden.

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Und bei „Ezadeen" war es so, wie sie es beschrieben hat: Das Schiff ist mit voller Kraft und mit Autopilot gefahren, bis der Treibstoff ausging, ohne erkennbare Crew an Bord. Es ist nicht entscheidend, ob die Crew während des späteren Küstenwacheneinsatzes noch an Bord ist oder ob sie das Schiff verlassen hat. Entscheidend ist, dass Schleuser an Bord eine hochbrisante Fahrt mit Gefährdung des regulären Seeschiffartsverkehrs und mit Gefährdung der Migranten an Bord inszenieren. Das ist das Entscheidende, und das ist leider in dem Panorama-Bericht überhaupt nicht zur Sprache gekommen.

Aber Frontex hat ja bei dem Schiff „Blue Sky M" behauptet, es sei ein Geisterschiff gewesen.
Ja, Frontex hat sich nur zum Schiff „Ezadeen" geäußert, und es ist wohl bei „Blue Sky M" nach den nachträglich gesammelten Informationen und Ermittlungen so, dass sich die Sachlage anders darstellt, als es die ersten Meldungen von der italienischen Küstenwache dargestellt haben. Da hat man dann hinterher festgestellt, dass die Fakten zumindest ergänzungsbedürftig waren.

Und wurde das ergänzt?
Na ja, die Fakten, die die Italiener jetzt in dem laufenden Ermittlungsverfahren herausgefunden haben, die sind natürlich jetzt ein Teil des Vorgangs.

Aber Frontex hat sich nicht veranlasst gefühlt, da noch mal eine Pressemitteilung zu machen?
Nein, insofern nicht. Weil das Phänomen, die kriminelle Handlungsweise, in der Tendenz noch nach wie vor zutreffend ist. Wir haben seit September letzten Jahres etwa zwölf solcher Schiffe gehabt und haben eine ähnliche Vorgehensweise festgestellt, wie sie Frontex über „Ezadeen" beschrieben hat—nur auf „Blue Sky M" hat es nicht zugetroffen.

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Sie scheinen nicht viel für Schleuser übrig zu haben. Gibt es in Ihren Augen auch Schleuser, die helfen wollen?
Die Fluchthelfer mit humanitären Motiven? Das war zu DDR-Zeiten, zuletzt vor 26 oder 30 Jahren.

Es gibt aber auch Berichte über zum Beispiel syrische Fluchthelfer, die einfach Leuten aus ihrem Dorf helfen wollten.
Also ich habe jetzt keine Einzelfälle vor Augen für derart ethisch vertretbare Handlungsweisen solcher Schleuser, aber ich will das nicht ausschließen. Aber worüber wir konkrete Erkenntnisse haben, das ist die ansteigende Brutalität, die Profitgier und die Rücksichtslosigkeit gegenüber Menschenleben beim Schleusergeschäft.

Würden Sie eine Art geregelten Zugang für Flüchtlinge befürworten, so dass die eben nicht über das Mittelmeer müssen?
Frontex koordiniert die Einsatzzusammenarbeit und setzt damit Politik um. Wenn die Politik sich dafür entscheidet, die legalen Zugangsmöglichkeiten deutlich zu verbessern, dann ist das natürlich auch im Sinne einer guten und angemessenen Grenzüberwachung. Für unsere Arbeit kann es eine Erleichterung bedeuten, wenn legale Zugangsmöglichkeiten nach Europa verbessert oder erweitert werden.


Titelfoto:Defense Visual Information Center | Wikimedia | Public Domain