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​Was wir von unseren Vätern über Männlichkeit gelernt haben

"Dank meines Vaters werde ich nie jemanden finden, mit dem ich glücklich sein kann."

Foto: Nikolay Gromin | flickr | CC BY 2.0

Klarerweise sind Eltern die Personen, die einen im ersten Viertel des Lebens geschätzt am meisten prägen. Man lernt von ihnen, wie man isst, sich die Schuhe bindet oder wie man sich die Spaghetti von gestern warm macht. Und man lernt von ihnen—wenn auch nicht immer absichtlich—Dinge über unsere Gesellschaft und die sozialen Normen und vorherrschenden Geschlechterrollen, in die wir hineingeboren werden.

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Denn auch, wenn man mit seinem Vater beispielsweise eher selten direkt über Männlichkeit spricht und darüber diskutiert, was einen echten Mann ausmacht, schließt man oftmals von seinen Verhaltensmustern auf ein ganzes Geschlecht und das Bild, das man durch seinen Vater von der Männerwelt hat, begleitet einen womöglich ein ganzes Leben lang—was sowohl negativ, als auch positiv sein kann, wie diese gesammelten Geschichten zeigen.

Sarah*

Mein Vater betreibt ein Sägewerk und eine Mühle in der Steiermark. Die meiste Zeit sehe ich ihn hart arbeitend in einem schmutzigen Blaumann und habe ihn auch so aus meiner Kindheit in Erinnerung. Er ist ein sensibler und nachdenklicher Mensch, doch mit seinen Gefühlen hält er sich meistens zurück. Ich kann nicht genau sagen, was er mir über Männlichkeit beigebracht hat, sondern eher, was er mir über Weiblichkeit zu vermitteln versuchte. Beispielsweise wollte er nie, dass ich sturzbetrunken bin oder Jungs für einen One-Night-Stand mit nach Hause nehme, weil sich das seiner Meinung nach nicht für eine Frau gehört.

Dass er klare Vorstellungen von meiner Zukunft hatte und ich diese nicht erfüllen wollte, kann er nur schwer akzeptieren. Er versuchte mir zu vermitteln, dass man Fleiß und Durchhaltevermögen zeigen muss. Hart zu arbeiten und immer besser zu werden, ist für meinen Vater der Inbegriff von Männlichkeit, aber auch seine Erwartung an die Menschheit allgemein. In schwachen Momenten sagt er mir Sätze wie "Da musst du jetzt einfach durch. Du wirst es schon irgendwie schaffen", und möchte, dass ich dann "meinen Mann stehe". Seine Konservativität und sein klares Bild von Geschlechterrollen holt mich in manchen Momenten ein, obwohl ich versuche, diese Muster zu durchbrechen. Auch wenn er nicht gerne über Gefühle spricht, zeigte er immer, dass er mich liebt. Wenn ich manchmal nach Hause komme, erwarten mich eine lange Umarmung und lustige Willkommenssätze wie "Mein Zwetschkenbär ist wieder da" und ich weiß, dass er mich gern hat, auch wenn ich ein anderes Leben führe, als er sich für mich vorgestellt hat.

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Theresa*

In meinem Leben gab es zwei Vaterfiguren, die mir kaum unterschiedlichere Dinge über Männlichkeit beibringen hätten können. Mein Vater, der meine Mutter und mich früh verlassen hat, hat meine Mutter betrogen, belogen und konnte später nie wirklich offen über seine Fehler reden, obwohl sie ihm bewusst waren. Von ihm habe ich meine Angst, betrogen zu werden und die Einstellung, dass Männer durch und durch schwanzgesteuert sind und wenn es hart auf hart kommt, für eine kurze Affäre auf ihre Familie scheißen. Außerdem glaube ich, dass Männer nur schwer über Gefühle sprechen können.

Dann gab es da noch meinen Großvater, mit dem ich aufgewachsen bin. Er war ein starker, hart arbeitender Mann, immer darauf bedacht, dass es in der Familie keinen Streit gibt und keine Ungerechtigkeit herrscht. Er hat immer versucht, zu vermitteln, allen geholfen und im Alter auch gelernt, über seine Gefühle zu sprechen und einem zu sagen, dass er einen lieb hat. Man kann sagen, dass er durch sein Verhalten mein Bild vom typischen Mann extrem zum besseren verändert hat. Durch ihn habe ich gelernt, Männer als Menschen zu sehen, die eine Familie zusammenhalten, egal, was kommt und zu ihren Gefühlen stehen. Er hat mir gezeigt, dass nicht alle Männer hinterlistige Arschlöcher sind.

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Julia*

Mein Vater ist für mich immer irgendwie ein Held gewesen. Mal ein zutiefst missverstandener Anti-Held, mal der beste Beschützer, den man sich vorstellen kann. Ich habe von ihm gelernt, dass man als Mann stark sein muss. Er war derjenige, der alle Spinnen verjagt hat, der mit mir jede Geisterbahn gefahren ist und der die Jungs, die mich im Bus böse beschimpft haben, gemaßregelt hat. Solange er da war, habe ich nie Angst gehabt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich es nicht mehr komisch fand, dass sich manche Männer vor Spinnen mehr ekeln als ich. Bis ich verstanden habe, dass es etwas Normales ist, auch mit dem anderen Geschlecht über die eigene Gefühlswelt zu reden und auch Schwächen und Probleme auszutauschen. Mittlerweile kann ich darüber auch mit meinem Vater reden, allerdings nur in abgeschwächter Form. Seine Stärke hat er für mich auch gezeigt, weil er vor meinen Augen noch nie eine Träne vergossen hat— weder auf Beerdigungen, noch als sein geliebter Hund gestorben ist. Ich kann deswegen bis heute noch nicht damit umgehen, Männer weinen zu sehen. Aber noch viel schrecklicher finde ich, dass Weinen für mich zu einer Art von emotionaler Entblößung geworden ist und ich deswegen—wahrscheinlich ähnlich wie mein Vater—nur weine, wenn mich keiner sieht.

Alina*

Ich hab sehr viel von meinem Vater gelernt, glaube aber, dass er mir nichts davon absichtlich vermittelt hat. Zum Beispiel würde ich mich nie nie nie betrügen lassen. Mein Vater hatte neben meiner Mutter viele Affären und Geliebte, ich weiß, wie sehr sie das verletzt hat.

In meinen Beziehungen nehme ich daher eher die Rolle meines Vaters ein, um ja nie selbst verletzt zu werden. Ich bin die, die kaum Zeit hat, die distanziert ist, die sich nicht binden lässt. Früher war mein Vater sehr distanziert, hat nie geweint, war stark und unerreichbar, auch für uns Kinder. Heute telefonieren wir oft, manchmal weinen wir zusammen, wenn wir traurig sind. Dass ein Mann solche Dinge machen kann, hat selbst er erst lernen müssen, denke ich.

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Dank meinem Vater werde ich außerdem nie jemanden finden, mit dem ich glücklich sein werde. Er ist sehr intelligent, belesen, handwerklich begabt, künstlerisch begabt, kennt sich in Politik und Geschichte aus. Jemand, der nicht all diese Eigenschaften hat, kommt bei mir auf Dauer nicht infrage. Das ist sehr schwierig, weil es vermutlich niemanden gibt, der all diese Eigenschaften hat. Aber zum Glück verliebt man sich manchmal einfach und dann ist es egal, wenn der Typ den zukünftigen Kindern kein Baumhaus bauen können wird. Dann muss man als Frau halt selbst ran. Es ist eh höchste Zeit, solche Dinge nicht mehr vom Mann zu erwarten.

Was er mir mit seiner Kritiksucht und Direktheit vielleicht schon beigebracht hat: Männer haben mehr Freiheiten als Frauen.

Johannes*

Als ich ein Kind war, kam es mir so vor, als wäre mein Vater immer grantig und extrem schnell wütend. Er hat meinem Bruder und mir wirklich nie was getan, aber schon gerne mal mit einer „Watsch'n" gedroht. Erst Jahre später bei Gesprächen mit Tanten und Verwandten kam raus, dass ihn der Umgang mit den Leuten in seinem Job einfach richtig fertig gemacht hat und ihm extrem an die Substanz ging. Deshalb war er immer so scheiße drauf. Das änderte meine Sicht auf diesen Mann erheblich, weil ich realisierte, dass er für die Familie einen nervigen Job ertrug. Mit der Pension entwickelte der Typ einen richtig coolen Vorbildcharakter.

Die grantigen Auszucker gibt es immer noch, aber die werden nicht mehr so ernst genommen—wahrscheinlich auch, weil ich dann die letzten Reste meiner trotzig blöden Pubertät hinter mir gelassen hatte. Mein Vater ist intelligent und extrem pragmatisch, bei Geldfragen oder Reparaturen im Haus ist ein Beratungsanruf beim Vaterbär immer noch die erste Reaktion. Wir werden irgendwann alle wie unsere Eltern—das ist einfach eine Wahrheit, die nicht zu leugnen ist. Von der Mutter hab ich die besorgte Denkweise und vom Vater die kurze Zündschnur und den Grant, aber auch einen smarten Pragmatismus "geerbt". Alles in allem sind für mich Verantwortungsbewusstsein, handlungsorientiertes logisches Denken und eine starke emotionale Meinung Synonyme für Männlichkeit, und das habe ich alles vom "Vati".

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Franziska*

Mein Vater hat mit mir Fußball gespielt, mir Lederjacken angezogen und mich eigentlich sehr "männlich" aufgezogen. Er hat mich ermutigt, auf fremde Menschen zuzugehen und auch als mein Bruder nicht mit seinem Lego spielen wollte, war er stolz auf mich, dass ich es tue. So gesehen habe ich kein genaues Bild von typischer "Männlichkeit". Ich habe meinen Papa weinen gesehen, sowohl bei Begräbnissen als auch bei Filmen.

Was er mir mit seiner Kritiksucht und Direktheit vielleicht schon beigebracht hat: Männer haben mehr Freiheiten als Frauen. Männer dürfen dick oder dünn sein, sie können direkt sein oder schüchtern—Frauen haben da ein viel engeres Sozialkorsett. Durch das Wesen meines Papas ist ein Mann für mich unterbewusst ein arbeitsamer, intelligenter Ernährer mit einer starken Meinung. Ein Mann ist für mich auch ein am Sofa sitzender Typ mit einem Bier in der Hand, der Eishockey schaut. Und er ist für mich ein aktiver, unternehmungslustiger Mensch mit vielen Sozialkontakten. Er ist kindisch. Eigentlich sind meine Beziehungen zu Bruch gegangen, weil mir immer ein Aspekt dieser Männlichkeit gefehlt hat. Leider ist ein richtiger Mann in meinem Kopf auch untreu—was wohl ein Scheidungstrauma ist. Und vielleicht der starke Glaube an die These, dass Männer dazu da sind, um ihre Spermien in der Welt zu verbreiten.

Philipp*

Mein Papa ist zum großen Teil dafür verantwortlich, dass ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon habe, wie ein Mann nicht sein sollte. Ich glaube aber weder, dass er dafür was kann, noch glaube ich, dass das zwingend eine schlechte Sache sein muss. Ein beschissenes Beispiel vorgelebt zu bekommen kann manchmal auch von Vorteil sein, wenn es irgendwann darum geht, die eigenen Weichen zu stellen. So gesehen war er es, der mir Ehrlichkeit beigebracht hat—indem er gelogen hat. Und später, viel später, als er seine Fehler eingesehen hat, hat er mir irgendwie auch beigebracht, zu verzeihen. Die größte Sache, die ich dadurch von meinem Papa über Männlichkeit gelernt habe, ist also, dass man auch im hohen Alter noch damit anfangen kann, die eigene zu hinterfragen.


* Namen von der Redaktion geändert