Ein Video zeigt, dass die Polizei am Karlsplatz nicht immer dein Freund und Helfer ist
Paul Donnerbauer / VICE Media

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Ein Video zeigt, dass die Polizei am Karlsplatz nicht immer dein Freund und Helfer ist

Der 'Stadtzeitung Falter' und VICE wurde ein Video zugespielt, das zeigt, wie die Polizei sich minutenlang weigert, einem reglos am Boden liegenden Mann zu helfen.

Es ist der 30. Mai, der letzte Dienstag des Monats. Die Sonne scheint und um die Mittagszeit zeigt das Thermometer knapp 30 Grad im Schatten an. Dort, wo Lukas* einen reglosen Mann am Boden liegend vorfindet, ist es noch heißer, denn der Mann liegt in der prallen Sonne.

Lukas ist gerade auf dem Weg zur Uni. Er kommt mit der U-Bahn am Karlsplatz an und nimmt wie jeden Tag den Ausgang in Richtung Resselpark.

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Etwa 20 Meter nach dem Ausgang liegt ein älterer Mann am Boden. Regungslos. Lukas geht zu ihm, spricht ihn an. Der Mann reagiert nicht. Mit Lukas gemeinsam kümmern sich zwei weitere Passantinnen um den Mann. Eine von ihnen sagt, die Rettung sei bereits unterwegs. Tatsächlich hat zu diesem Zeitpunkt noch niemand die Rettung informiert. Das weiß von den Dreien aber niemand.

"Hier gibt es dem Grunde nach eine eindeutige Rechtsgrundlage, nämlich den Paragraph 19 des Sicherheitspolizeigesetzes."

Lukas eilt trotzdem in die nur 20 Meter entfernte Polizeiinspektion Kärntnertor, um Hilfe zu holen. Die Polizei ist in solchen Fällen schließlich verpflichtet, gegebenenfalls Hilfe zu leisten, zumindest aber, sich den Sachverhalt anzuschauen.

"Hier gibt es dem Grunde nach eine eindeutige Rechtsgrundlage, nämlich den Paragraph 19 des Sicherheitspolizeigesetz", erklärt auch Michael Halmich, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Ethik und Recht in der Notfall- und Katastrophenmedizin gegenüber VICE. In Paragraph 19 ist die "Erste allgemeine Hilfeleistungspflicht" festgeschrieben. "Sind Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum von Menschen gegenwärtig gefährdet oder steht eine solche Gefährdung unmittelbar bevor, so trifft die Sicherheitsbehörden die erste allgemeine Hilfeleistungspflicht", erklärt uns der Jurist.

Für den Medizinrechtsexperten ist auch klar, dass im Falle einer vermuteten gesundheitlichen Gefährdung die Polizei verpflichtet ist, festzustellen, ob eine solche Gefährdung tatsächlich vorliegt, und gegebenenfalls Erste Hilfe zu leisten.

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"Gestorben wird täglich."

Zu dem Zeitpunkt, als Lukas die Polizeiinspektion am Karlsplatz betritt, hat noch kein Beamter nach dem am betonierten Vorplatz der U-Bahn-Station liegenden Mann gesehen – obwohl Lukas nicht der erste ist, der die Beamten auf den Mann aufmerksam macht: "Du bist nicht der erste, die Rettung ist informiert. Mehr kann ich nicht mehr tun, weil der Schalter besetzt sein muss", erklärt der diensthabende Beamte laut Lukas' eigener Aussage.

Wie das Video zeigt, verlässt der Beamte wenige Minuten später den Schalter und verschwindet in ein Hinterzimmer, nachdem Lukas ihn mehrfach aufgefordert hat, zu helfen. "Gestorben wird täglich", sagt laut Lukas ein weiterer Beamter in Zivil, bevor auch der verschwindet.

Auch, dass die Rettung angeblich bereits informiert wurde, ist falsch. Lukas betrat die Polizeiinspektion um 11:25 Uhr. Die Rettung wurde VICE-Informationen nach aber erst um 11:48 Uhr informiert. Allerdings informierte der Beamte einen Funkwagen.

Lukas ist empört über den Umgang der Beamten. "Sie sind verpflichtet zu helfen! Warum helfen Sie nicht?", fragt er mehrmals. Die Beamten ignorieren Lukas. Zu dem Zeitpunkt beginnt er, die Situation zu filmen:

Erst etwa acht Minuten nachdem Lukas die Polizeiinspektion Kärntnertor betreten hat, begleitet ihn der Wachzimmerkommandant widerwillig nach draußen. Das Video endet mit der Aufforderung des Polizisten an Lukas, das Video zu löschen. Lukas verweigert, schickt das Video stattdessen an uns und den Falter, der das Video ebenfalls veröffentlicht.

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Um 11:34 Uhr – mindestens eine viertel Stunde, nachdem die Beamten der Polizeiinspektion am Karlsplatz auf den regungslosen Mann aufmerksam gemacht wurden – trifft schließlich auch der gerufene Funkwagen ein.

Weitere 14 Minuten später wird die Rettung verständigt, die um kurz nach 12 Uhr beim U-Bahn-Ausgang Resselpark eintrifft. Die Sanitäter stellen schließlich keine ernsthafte Verletzung, sondern eine Alkoholisierung bei dem Mann fest. Sie bringen den Mann in den Schatten. Nachdem er wieder ansprechbar ist, überlassen sie ihn sich selbst.

Von Seiten der Pressestelle der Wiener Polizei heißt es in einer ersten Stellungnahme gegenüber VICE, dass der Sachverhalt geprüft wird und das "Referat für besondere Ermittlungen" den Fall übernommen hat, da der "Verdacht der unterlassenen Hilfeleistung" besteht.

Allerdings wurde "laut derzeitigen Erkenntnissen keine Lebensgefahr, beziehungsweise kein dringender Notfall" von den Zeugen angegeben, weshalb durch die Landesleitzentrale der Wiener Polizei lediglich ein Funkwagen angeordnet wurde, zum Karlsplatz zu fahren.

"Ich würde sagen, auch da hätte der Beamte hinauszugehen."

Auf Nachfrage von VICE, ob denn Paragraph 19 des Polizeisicherheitsgesetz nicht auch in weniger akut lebensbedrohlichen Fällen gelte und die Beamten damit trotzdem zur Hilfeleistung verpflichtet gewesen wären, konkretisiert Peter Jedelsky, stellvertretender Leiter des Büros für Öffentlichkeitsarbeit gegenüber VICE: "Es ist so, dass uns reglose Personen, oder Personen, die im Park schlafen, sehr häufig gemeldet werden. Da schicken wir zuerst einmal überall einen Funkwagen hin und erst dann, wenn wir eine Lebensgefahr oder eine Verletzung feststellen, wird die Rettung verständigt."

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Der laut Falter-Recherchen 68-jährige Mann schlief jedoch nicht im Park, sondern lag unansprechbar und alkoholisiert in 20 Metern Entfernung zur Polizeistation am Boden, weshalb auch Jedelsky erklärt: "Wenn der natürlich da draußen zusammengebrochen ist, ist es keine Frage, dass der Beamte nach draußen laufen müsste und Erste Hilfe leisten müsste."

Jedelsky verweist im Gespräch mit VICE aber auch darauf, dass man "die Szene dort am Karlsplatz" bedenken müsse und die Beamten vermutlich deshalb anders reagiert hätten. "Da kann man natürlich diskutieren, ob das richtig ist", so Jedelsky. "Ich würde sagen, auch da hätte der Beamte hinauszugehen."

Im Paragraph 19 des Sicherheitspolizeigesetz ist jedenfalls keine Einschränkung der Hilfeleistungspflicht für Beamte zu finden, wenn es sich bei der hilfsbedürftigen Person um einen Obdachlosen handelt. Egal ob obdachlos, drogenabhängig, alkoholisiert, alt oder jung: Jeder und jede hat Anspruch auf Hilfe.

Ein brisantes Detail, das Lukas in der Polizeiinspektion Kärntnertor ebenfalls gefilmt hat, sind die Kugelschreiber mit Parteilogo, die dort aufliegen. Wir haben bereits darüber berichtet, warum FPÖ-Kugelschreiber auf Polizeidienststellen ein Problem sind. Nachdem es 2016 zahlreiche solcher Fälle gab, versicherte Johann Golob, Leiter der Pressestelle der Wiener Polizei, dass man in diesem Bereich verstärkt in den Dienststellen sensibilisieren werde.

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Collage via Twitter / VICE Media

Tatsächlich gibt es für Kugelschreiber von Parteien in Polizeiinspektionen auch eine eigene Weisung im Verhaltenskodex des Innenministeriums. Dort heißt es: "Mag beispielsweise auch die Entgegennahme eines Billigkugelschreibers unter dem Gesichtspunkt der Geschenkannahme unproblematisch sein, könnte eine Beeinträchtigung der Amtsführung darin gesehen werden, dass dieser Kugelschreiber den Aufdruck einer politischen Organisation […] trägt."

Im konkreten Fall wurden die Kugelschreiber der FPÖ nun entfernt: "Die Entfernung des Parteikugelschreibers mit dem Aufdruck einer politischen Partei wurde veranlasst", versichert Jedelsky gegenüber VICE. "Eine Belehrung ist erfolgt." Wieder einmal.

Paul auf Twitter: @gewitterland

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*Name von der Redaktion geändert.