Ein Vormittag am Wiener Praterstern
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Ein Vormittag am Wiener Praterstern

Bis zu 30 Polizeibeamte sind am Praterstern gleichzeitig im Einsatz. Trotzdem wird dort auch mit harten Drogen offen gedealt.

Seitdem die Polizei in den letzten Jahren massiv gegen die Drogenszene am Karlsplatz vorgegangen ist und man dort kaum noch auf Drogen- und Alkoholkranke trifft, gilt der Praterstern als akuteste Problemzone Wiens. Im Boulevard wird er oft als „Schandfleck Wiens" bezeichnet. Auch von der „Hölle Praterstern" ist die Rede.

In letzter Zeit ist der Praterstern aber zunehmend aus dem Fokus medialer Berichterstattung rund um Wiens Drogenszene gefallen, was vor allem an der Tatsache liegen dürfte, dass seit Anfang des Jahres der Drogenverkauf an der U6-Station Thaliastraße explodiert ist. Was dabei allerdings vergessen wird, ist, dass während an der U6 vor allem Gras verkauft wird, im Praterviertel auch harte Drogen zum Repertoire der Dealer gehören.

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Einer, der den Praterstern seit langem kennt, ist Robert. Der 42-Jährige wuchs als Kind polnischer Einwanderer in der Leopoldstadt auf. Heute bewohnt er eine kleine Wohnung im Stuwerviertel. Seit zwei Jahren ist Robert nach einem Arbeitsunfall in Frühpension. Seither kommt er fast täglich hier her.

„Der Praterstern ist mein Wohnzimmer", erzählt er mir. „Selbst im Winter, wenn's recht kalt ist, bin ich da. Weil da am Stern immer was los ist, da trifft man die Leut'." Zu hause wäre es ihm zu eng und langweilig, erklärt er mir. Getrunken hat der ehemalige Spengler schon immer ganz gern. „Da findest hier dann einfach die richtigen Leut'. Mit denen es dann auch eine Gaudi ist".

Bekommt man am Praterstern auch angeboten.

Während ich mit Robert spreche, kommen zweimal junge Männer zu uns und fragen, ob wir etwas brauchen. Die Dealer hier am Praterstern verkaufen nicht nur Gras. „Bei mir könnt ihr alles haben", bietet einer, der dem Aussehen nach aus Nordafrika stammenden Burschen, seine Ware im perfekten Wiener Dialekt an. Robert und ich lehnen dankend ab. „Das macht dich hin, das Zeug", zischt Robert verärgert, als sich die Dealer wieder verzogen haben.

Robert meint, wir sollten in die Hauptallee gehen. Dort sei es ruhiger. Also spazieren wir gemeinsam am Fluc vorbei, durch die Unterführung, in Richtung grünem Prater und lassen uns dort auf einer Bank nieder. Er müsse jetzt noch ein wenig schlafen, da er schon um 4:30 Uhr aufgewacht sei, sagt er. Alleine mache ich mich zurück auf den Weg zum Praterstern.

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Nach unserem Gespräch hat sich Robert zum Schlafen etwas hingelegt.

Dort angekommen ist die Polizei gemeinsam mit Streetworkern gerade dabei, sich um zwei nicht ansprechbare Personen zu kümmern. Nachdem die Frau und der Mann nicht auf die Weckversuche der Polizisten reagieren, wird die Rettung gerufen, die nach nicht einmal zwei Minuten da ist. Zuerst wollen die Sanitäter die Frau auf die Bare legen. Die wacht dann aber doch auf und verschwindet fluchend im Inneren des Bahnhofs.

Auch der Mann ist mittlerweile aufgewacht, kann aber nicht aufstehen. Die Polizisten helfen ihm auf die Trage. Er scheint froh über die Zuwendung der Sanitäter zu sein und bedankt sich bei ihnen. Obwohl die zwei Polizisten nur etwa 20 Meter von mir entfernt stehen, fragt mich erneut ein Dealer, ob ich etwas kaufen möchte und zeigt mit ein Sackerl mit einer handvoll Pillen darin.

Der Praterstern ist ein sozialer Brennpunkt. Während die einen um- und einsteigen, kommen die anderen her, um hier den Tag zu verbringen. Bis zu 30 Polizeibeamte sind gleichzeitig im Einsatz, um das Sicherheitsgefühl der Passanten aufrecht zu erhalten. Zu tatsächlichen Übergriffen auf die Reisenden würde es aber eher selten kommen, erzählt mir ein Angestellter eines Kebapstandes. Meist würde es eher zu Raufereien innerhalb der Community der Marginalisierten kommen.

Das bestätigt mir auch ein diensthabender Polizist, der anonym bleiben möchte. Es sei seit dem vergangenen Sommer zwar ein Anstieg der Drogendelikte zu bemerken und es gab einige brutale Einzelfälle von Gewalttaten. Grundsätzlich spiele am Praterstern aber mehr das subjektive Sicherheitsgefühl eine Rolle, als tatsächliche Straftaten. Um dieses subjektive Sicherheitsgefühl zu stärken, aber auch, um Straftaten vorzubeugen, fordert die Polizei vor Ort mehr Videoüberwachung.

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Einer, der den Praterstern auch sehr gut kennt, aber leider keine Zeit für ein Interview hatte.

Weil mich eine Dealergruppe seit einiger Zeit beobachtet und ich immer wieder von den selben Typen gefragt werde, ob ich was brauche, sinkt mein subjektives Sicherheitsgefühl irgendwie ein bisschen. Die Dealer wirken zwar nicht unbedingt so, als würden sie auf Stress aus sein, ihnen scheint meine Anwesenheit aber auch nicht ganz ins Konzept zu passen. Deshalb beschließe ich, mich für eine halbe Stunde in den Wurstelprater zu verziehen. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, die neue Achterbahn zu testen. Wie alles andere auch, ist sie um diese Uhrzeit aber noch nicht in Betrieb. Eine Attraktion ist sie aber trotzdem schon.

Zurück am Praterstern gehe ich durch den Durchgang, in dem der Blumenladen Leontina wie eine bunte Insel in der sonst grauen Tristesse des Areals erscheint, zum Bahnhofsvorplatz. Noch bevor ich das Ende des Tunnels erreicht habe, werde ich von einem in meine Richtung gezischtem „Pst-Pst" aufgehalten. Ob ich vielleicht jetzt etwas zum Rauchen kaufen möchte, fragen mich zwei schon bekannte Gesichter. Ich lehne erneut ab. „Dann verschwinde, du ruinierst uns das Geschäft", sagt einer der Dealer ganz ruhig.

Paul auf Twitter: @gewitterland