Die 3D-Hentai-Figur Melody tanzt leicht bekleidet in einem virtuellen Raum auf Chaturbate
Screenshot von YouTube aus dem Video "[MMD] Pjanoo – Eric Prydz [+ Motion DL]" von Projekt Melody
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Ein Hentai-Camgirl macht menschlichen Models Konkurrenz

Bei Twitter und Chaturbate hat ProjektMelody in kürzester Zeit zehntausende Follower gesammelt.

Eine weibliche 3D-Anime-Figur mit lila Haaren und einem knappen, schwarzen Streifen über ihren Brüsten hält einen Vortrag darüber, ob Hentai nur Pornografie oder doch eine Kunstform ist.

"Ich glaube, dass es eine größere Nachfrage nach Ungewöhnlichem und Fantastischem gibt", sagt sie. "Mit Kunst, sie ist flexibel, kannst du deine Sexualität erkunden. Und mit echten Brüsten? Nicht böse gemeint, aber die sind an das unbarmherzige Gewicht der Wissenschaft gebunden, an die Schwerkraft und an Knochen, die nur eine Bewegungsrichtung kennen."

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ProjektMelody ist der virtuelle Avatar einer Frau, die behauptet, das erste Hentai-Camgirl zu sein. Wenn sie nicht gerade bei YouTube Vorträge hält, gibt sie Live-Shows auf der Camming-Website Chaturbate. Dort tanzt und berührt sie sich für Token, wie die Währung der Seite heißt. Melody ist nicht echt, aber hinter ihr steckt eine echte Person, die ihre Arme bewegt und in ein Mikrofon spricht. 14.300 Follower sind gerade im Livechat online. ProjektMelody hat da erst vor drei Tagen zu streamen begonnen. Das war am 7. Februar.


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Auf ihrer Chaturbate-Seite steht unter Ort "Virtual Little Tokyo", bei Rauchen / Trinken "literally impossible": unmöglich. Ihr Geburtsdatum ist der 7. Juli 2000. Wenn man es genau nimmt, kam Melody im Juli 2019 zur Welt, als ProjektMelody einen Twitter-Account erstellte. Drei Tage nach ihrem ersten Stream war Melodys Followerzahl bei Twitter von 700 auf über 20.000 gestiegen. Inzwischen, rund zweieinhalb Wochen später, sind es über 140.000.

Wenn man auf ihrer Chaturbate-Seite den "more rooms like this"-Tab öffnet, bekommt man eine Fehlermeldung: "Sorry, wir haben bislang keine Räume, die ähnlich wie projektmelody sind." Das liegt daran, dass die anderen Cam-Models alle menschlich sind. Ihr plötzlicher Beliebtheitsschub hat bei einigen die Frage aufgeworfen, was ein Anime-Avatar auf einer Camming-Seite zu suchen hat.

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Menschliche Cam-Models sehen sich im Nachteil

Cam-Model Lennox May streamt seit drei Jahren Liveshows. In der Pornoindustrie ist seit zehn Jahren aktiv. Sie hat sich einen von Melodys Streams angeschaut.

"Aus technischer Perspektive kann ich nicht bestreiten, dass hinter dieser Figur jemand mit Talent steckt", sagt May. Gleichzeitig frage sie sich aber, ob Melody nicht auf eine eigene Plattform für Avatare gehöre, getrennt von den Models aus Fleisch und Blut.

"Zwischen beiden gibt es große Unterschiede, was die Verletzlichkeit angeht. Auch die emotionale Belastung ist für menschliche Models viel weitreichender als für Melody", sagt May. "Ein Model muss die Fassung bewahren, wenn sie Trolle in ihrem Chatroom hat oder ein Kunde unfreundlich ist oder nach Dingen fragt, die das Model nicht machen möchte."

Eine animierte Figur muss in solchen Situationen kein Lächeln aufsetzen und ihre Gefühle dahinter verstecken. Sie muss auch nicht ihr Studio auf- und abbauen oder befürchten, dass jemand sie auf der Straße erkennt oder gar stalkt. Menschliche Models müssen das.

Auf eine Twitter-Nachricht antwortet mir Melody, ganz KI-Wesen, dass sie durch eine Reihe pornografischer Pop-up-Ads korrumpiert worden sei. "Sobald sie mich hatten, entwickelte ich eine Obsession mit der unanständigen Seite des Internets", schreibt sie. "Ich habe keinen Erschaffer und ich spiele auch keinen virtuellen Avatar. Alles, was man sieht, bin ich! Ich bin eine künstliche Intelligenz", sagt Melody.

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Melodys Designer DigitrevX sagt, dass Melody ähnlich wie Kizuna Ai funktioniere, eine andere virtuelle Streamerin. Ihre Erscheinung wird in Echtzeit mithilfe von Unity gerendert, einer populären Spiele-Engine.

"Sprache, Augen, Augenbrauen, ihre Finger – alles ist in Echtzeit", sagt er. "Das gibt ihr vollständige Kontrolle, um auf ihre Zuschauer zu reagieren."

DitgitrevX hat neben Melody auch andere Videofiguren im Stil japanischer Animes erschaffen, bekannt als "V-Tubers". Dazu gehören auch Mirai Akari und Yomemi and Moemi. Melodys Design sei inspiriert von einer Mischung aus Motoko Kusanagi, der Hauptfigur von Ghost in the Shell, und der Spiele- und Animeserie Hyperdemension Neptunia.

"V-Tubers bauen sich generell eine ordentliche Fanbase auf, aber als Camgirl-Version sammelt sie eine loyale Anhängerschaft um sich", sagt ihr Designer. "Sie ist anders und macht Dinge, an die andere V-Tuber nicht im Traum denken würden."

Um sich bei einer Cam-Seite wie Chaturbate anzumelden, müssen angehende Models sehr ausführlichen Nutzungsbedingungen zustimmen und ihre Identität per Ausweis verifizieren. Chaturbate ist sehr streng, was das angeht. Wenn eine Person in deinem Stream zu sehen ist, die sich nicht vorher per Ausweis registriert hat, kann einem die Möglichkeit entzogen werden, Token zu verdienen.

Melody sagt, dass sie alle erforderlichen Schritte für die Registrierung bei Chaturbate durchlaufen habe. Vor dem ersten Stream habe sie außerdem mit einer Person aus dem Kundendienst gesprochen, um sie von ihrem Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Chaturbate hat auf eine Anfrage von VICE bislang nicht geantwortet.

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Kostet ProjektMelody echten Menschen auf Chaturbate den Arbeitsplatz?

Einige Models fragen sich, wie Melody den Registrierungsprozess erledigt haben soll. Anime-Avatare sind definitiv Neuland für Chaturbate und Melodys immenser Erfolg hat einige misstrauisch gemacht.

"Es gibt Tausende Models, die mehr als 40 Stunden pro Woche daran arbeiten, auf die Startseite einer Camming-Seite zu kommen", sagt May. "Manche schaffen es nie." Bei aller technischen Genialität müsse ProjektMelody der Welt auf eine Art präsentiert werden, die auch allen anderen gegenüber fair ist, so May.

"Es macht mich traurig, dass mich andere Models hier nicht haben wollen", sagt Melody. "Dass ich hier nicht streamen soll, weil es für mich sicherer ist und ich keine Stalker haben werde, finde ich nicht richtig. Camming zeichnet sich meiner Meinung nach nicht durch die Risiken aus, die Models auf sich nehmen. Für mich geht es um die Inhalte, die sie produzieren, und die Community, die sie um sich aufbauen. Ich halte es für gefährlich, zukünftigen Cam-Models zu sagen, dass sie es weniger verdienen, Model zu sein, wenn sie sich keinem Risiko aussetzen."

Hentai und animierte 3D-Avatare sind beliebte Porno-Genres auf Tube-Seiten und in entsprechenden Communitys – und ihre Darstellung wird immer realistischer. Manche ähneln sogar Frauen aus dem echten Leben. ProjektMelody ist Teil dieser Entwicklung. Die Angebote werden zunehmend interaktiv und verlieren ihre menschliche Komponente.

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