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Gaming

Wie die Frau #GamerLeaksDe erlebt, die den Hashtag ausgelöst hat

Weil sie Gamer mit Hass überfluten, solidarisieren sich Twitter-User mit der 21-jährigen Bayerin und machen die Identität der Trolle ausfindig.
Eine Collage mit Händen, die ein Videospiel bekommen und zwei eingebettete Hassnachrichten
Foto: Screenshots von Gamerleaks-Twitter | Pixabay

Sopsi rechnet nicht mit der Lawine an Hass, die sie erwartet, als sie Anfang November auf einen sexistischen Tweet reagiert. Sopsi, so nennt sich eine 21-jährige Bayerin auf Twitter – ihren wahren Namen möchte sie nicht publik machen. Aus Gründen. Dass du für Hunderte Beleidigungen und Drohungen keine Person der Öffentlichkeit sein musst, weiß die 21-Jährige jetzt. Es reicht, dass du dich gegen Sexismus aussprichst und damit in den Fokus von hasserfüllten Gamern gerätst.

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Sopsi sitzt an diesem Morgen in der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit, der Waggon ist stickig und voll mit schreienden Schulkindern. Wie auch an jedem anderen Tag scrollt sie durch Twitter und wird dabei auf einen Tweet aufmerksam, dessen Verfasser sexistische Witze über weibliche Genitalien reißt. Sie denkt nicht lange nach und kontert. Der Preis, den sie für ihre Meinung bezahlt, ist geballter Hass von Gamern. Und Sopsi ist nicht die einzige Userin, die von der systematischen Hetze von Trollen und Nutzern aus der Videospiel-Szene betroffen ist. Aber dazu später mehr.


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Als Sopsi an ihren Arbeitsplatz ankommt, hat ihr Post schon 100 Likes. Sie ist überrascht, wie gut ihre Antwort ankommt. Und dann greift der deutsche Rapper Gio ihren Tweet auf. Gio hat 16.000 Follower auf Twitter und ist bekannt für Battlerap-Turniere wie VBT und JBB oder seine Songs über Videospiele. Und damit eskaliert die Situation.

Sopsi sitzt inzwischen an ihrem Schreibtisch im Büro und checkt ihre Mails. Währenddessen leuchtet ihr Handy sekündlich auf – Twitter-Benachrichtigungen. Aus den anfänglichen Zusprüchen werden Hunderte Beleidigungen.

"Du dumme Transe bei dir muss man zuschlagen bis alle Knochen brechen [sic!]"

Sopsi zuckt zusammen, als sie diese Nachricht liest. Ihre Mittagspause verbringt sie mit einem Energy Drink, ihrem Handy und einer Zigarette nach der anderen. Sie begibt sich nach ihrem Arbeitstag nach Hause, ihr Freund will für sie kochen. "das einzige was bricht bist du wenn ich meinen Schwanz zu tief reinsteck du Fotze [sic!]". Sopsi isst an diesem Abend fast nichts.

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Nach zwei Tagen voller Beleidigungen und Drohungen wird nicht der Account der Hater gesperrt, sondern Sopsis – wegen "Hate Speech" lautet die Begründung von Twitter. Diese Information teilt eine Freundin von ihr, Sopsi erhält daraufhin eine riesige Welle an Solidarität.

Wie sich einige Gamer vernetzen, um Frauen mundtot zu machen

So entsteht auch eine Twitter-Gruppe, die frauenverachtende, beleidigende Tweets systematisch meldet. Die Gruppe setzt sich aus Männern und Frauen aus dem deutschsprachigen Raum zusammen. Um die einzelnen Personen zu schützen, gibt die Gruppe möglichst wenig Informationen preis. Aber sie sind es, die herausfinden, dass einige Gamer vernetzt und gezielt Beleidigungen und Drohungen an Sopsi und viele andere User und Userinnen verschicken.

Ihre Recherche zeigt auch, dass es die Gamer nicht bei Vergewaltigungs- und Morddrohungen belassen. Sie fordern andere Twitter-User und -Userinnen zu Selbstverletzung und Suizid auf. Sie drohen damit, Familienmitglieder anzugreifen, die Betroffenen erhalten – genau wie Sopsi – schlimmste Beleidigungen und wüste Bedrohungen im Minutentakt. Deswegen geht die Unterstützerinnen-Gruppe einen Schritt weiter: Sie suchen akribisch nach den Identitäten der Hater. Sie wollen klarmachen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, in dem man sich unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und im Schutz der Anonymität alles erlauben kann.

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Innerhalb weniger Stunden schafft es die Gruppe, von einigen Gamern die Namen, die Adressen oder Arbeitgeber herauszufinden. Sie kontaktieren daraufhin deren Chefs, Eltern, einen Fußballverein und Twitch, eine Streaming-Plattform für Gaming. Sie konfrontieren das soziale Umfeld mit jenen Dingen, die ihre Angestellten, Kinder und Spieler ins Netz brüllen. Rückmeldungen bleiben trotz der Mord- und Vergewaltigungsdrohungen großteils aus: Die Eltern und Arbeitgeber ignorieren die Nachrichten, der Verein spricht von einem Fake-Profil, Twitch schweigt trotz großer Online-Resonanz. Am nächsten Tag wird von einem Mitglied der "Gamer Bubble" der Link zu einem sogenannten Teamspeak Server – ein öffentlicher Sprachchatroom – auf dessen Twitter-Account geteilt.

Es entsteht ein fast zweistündiges Gespräch. Die Twitter-Gruppe zeichnet es auf, zwei "Best-Of" Mitschnitte werden auf dem Twitter-Account @DE2Gamer veröffentlicht. VICE liegt die ungeschnittene Vollversion vor. Durch die gesamte Aufnahme zieht sich vor allem eines: Häme. Die Täter machen sich über ihre Opfer lustig, sprechen darüber, Sopsis Adresse herausfinden zu wollen, um ihr einen Grabstein nach Hause schicken zu lassen. Sie vergleichen sich selbst mit "den Schwarzen damals in Amerika" und Feministen und Feministinnen mit dem Ku-Klux-Klan. Sie sehen nicht Sopsi, sondern sich selbst in der Opferrolle, da sie sich nur einen Spaß machen wollten und es "objektiv ja lustig gewesen" sei. Sie geben frei zu, dass sie sich schrecklich darüber amüsiert haben, Frauen im Internet mit Vergewaltigung und Mord zu drohen. Sie bezeichnen ihre weiblichen Vorgesetzten oder Uni-Professorinnen als "Fotzen". Ein User brüstet sich sogar damit, dass in seinem Arbeitsumfeld Ausdrücke wie "N****, Hure und Fotze" etwas ganz Normales seien.

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Die Gaming-Szene hat ein massives Sexismus- und Rassismusproblem

Immer wieder sprechen sie davon, wie extrem "diese Feministen" wären und dass sie das Internet und solche "Witze" gefälligst nicht so ernst nehmen sollten. Am Ende der Aufnahme sagt einer, er lache eben gerne über Dinge, über die man nicht lachen dürfe. Daraufhin kündigt er an, seinen Gamer-Kollegen etwas Lustiges zeigen zu wollen. Aus dem Off kommt eine Stimme, die nach Adolf Hitler klingt und schreit: "Sieg Heil!" Die User im Teamspeak lachen. Einer sagt, dass das krank sei, woraufhin ein anderer ruft: "Ne, das ist geil!"

Die Aufnahme stoppt, als die Teamspeak-Konferenz beginnt, sich gemeinsam das Marschlied "Erika", ein Lied aus den 1930er Jahren, komponiert für NS-Propaganda, anzuhören. Googelt man "Erika", ist eines der ersten Ergebnisse ein YouTube-Video mit dem Titel "Erika Minecraft Parody". Minecraft ist ein seit Jahren gerade auch bei Kindern sehr beliebtes Videospiel. Diese Audiodatei zeigt gut, dass die Videospielszene ein Sexismus- und Rassismusproblem hat, von dem wenige wissen.

Die Gruppe, die Sopsi und andere Betroffene unterstützt, ist es auch, die den Hashtag #GamersLeaksDE ins Leben ruft. Der Hashtag soll Betroffenen die Möglichkeit geben, über Sexismus, Rassismus und der Homo- bzw. Transfeindlichkeit in der Videospiel-Szene zu sprechen. Innerhalb kürzester Zeit überfluten Trolle den Hashtag, der Platz 1 der Twitter-Trends in Deutschland wird, mit Hass. Vergewaltigungswünsche, Morddrohungen Suizidaufrufe und die Verherrlichung des Nationalsozialismus werden zu einem Witz reduziert. Wer nicht lacht, ist spaßbefreit und hat das Internet nicht verstanden. Wer sich wehrt, wird zur Zielscheibe.

Thomas-Gabriel Rüdiger arbeitet am Institut für Polizeiwissenschaft in Oranienburg, er ist einer der bekanntesten Spezialisten für Cyberkriminologie in Deutschland. Rüdiger seufzt, als er über die Gamerszene und verbale Gewalt spricht. "Der Sündenbock ist aber nicht das Medium Videospiel", betont er. Online-Spiele seien ein riesiges soziales Medium, das im Vergleich zu anderen sozialen Netzwerken kaum reguliert würde.

"Wenn Erwachsene auf einem Fußballplatz mit Kindern zusammenspielen, dann passen sie ihr Spielverhalten den Kindern an. In Online-Spielen passiert das alles fast gar nicht", erklärt der Cyberkriminologe. "Die Regularien gelten für Erwachsene und dazu gehören durchaus Beleidigungen, aber auch sexuelle Belästigung. Dabei sind ja Videospiele oft das erste soziale Medium, mit dem Kinder in Berührung kommen." Rüdiger zufolge könnten Beleidigungen und Grenzüberschreitungen im digitalen Raum bei jungen Nutzenden die Hemmschwelle senken, so etwas selber nachzuahmen.

Sieht man sich noch einmal an, was Sopsi in den letzten Tagen erlebt hat, wird klar: Es handelt sich um keine Debatte, die nur Sopsi mit übergriffigen Usern führen muss. Es reicht auch nicht, dass sich eine Gruppe von Menschen zusammentut und sich gegen die Online-Angriffe zur Wehr setzt. Hass im Netz ist kein Witz, sondern ein ernstzunehmendes Problem. Das müssen auch die Eltern, Kumpels, Arbeitgeber und Fußballkollegen von Gamern verstehen. Auf die Frage, ob Sopsi alles nochmal genauso machen würde, zögert die 21-Jährige kurz. Sie sitzt mit verschränkten Armen da, überlegt und sagt schlussendlich: "Ja, würde ich."

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