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Dschihadismus

Die verstörenden Telegram-Kontakte des Wiener Terrorverdächtigen Lorenz K.

Der 18-Jährige soll mit IS-Leuten in Syrien, sowie dem Islamisten Mohamed A. gechattet haben, der sich zu dieser Zeit eigentlich in Berlin in Haft befand. Das geht aus der nun fertigen Anklage gegen K. hervor.
Der Angeklagte Lorenz K. | Foto via Facebook

Es war die bisher wohl aufsehenerregendste Verhaftung eines IS-Terrorverdächtigen in Österreich. Am 20. Jänner 2017 nahmen Ermittler den damals 17-jährigen Lorenz K. in Favoriten fest. Ihnen zufolge sei die österreichische Hauptstadt damals knapp einem geplanten Anschlag entgangen – durchgeführt von einem österreichischen Jugendlichen, motiviert durch die Terrormiliz IS.

Nun erhebt die Staatsanwaltschaft Wien gegen den heute 18-jährigen K. Anklage. Hatte der damalige Innenminister Sobotka nach der Verhaftung noch von einem potenziellen Bombenattentat – etwa auf den Wiener Westbahnhof – gesprochen, sind die zentralen Vorwürfe der Behörde mittlerweile andere, wiegen aber dennoch schwer: So soll K. einen 12-jährigen Deutschen über WhatsApp dazu angestiftet haben, einen Selbstmordanschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen zu verüben. Dieser 12-Jährige deponierte dort am 26. November 2016 tatsächlich einen selbstgebastelten Sprengsatz, scheiterte jedoch an der Zündung.

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Auf die Anstiftung zum versuchten Mord drohen K. bis zu fünfzehn Jahre Haft, er selbst bekennt sich bis heute jedoch nur zur bloßen IS-Mitgliedschaft, lässt sein Verteidiger Wolfgang Blaschitz wissen. Über K.s Radikalisierung haben wir bereits hier ausführlich berichtet.

Die 55-seitige Anklageschrift, die VICE vorliegt, gibt jetzt einen neuen, verstörenden Einblick in die Unterhaltungen, die K. mit anderen gleichgesinnten Kindern und Jugendlichen geführt haben soll. Laut Anklage wurden die Teenager dabei auch von offiziellen IS-Kontakten in Syrien angestachelt. Lorenz K. und der 12-jährige Deutsche sollen sogar mit einem in Berlin inhaftierten Islamisten gechattet haben, der ihnen offenbar aus der Haft heraus Kontakte nach Syrien übermitteln konnte.

"Ich gehe in paar Stunden aus dem haus und guck den guertel…Ob alles richtig ist…Dann zie ich an und gehe weinachtsmarkt" - Yad A., 12 Jahre, vor seinem versuchten Attentat in Deutschland*

Ein wirres Video zeigt Yad A. auf YouTube. Screenshot via YouTube.

Der für die Anklage wohl relevanteste Chatpartner von Lorenz K. ist der zum Tatzeitpunkt erst 12-jährige Yad A. aus dem deutschen Ludwigshafen. Die beiden sollen sich im Sommer 2016 über Telegram kennengelernt haben. A. habe sich zu diesem Zeitpunkt bereits stark radikalisiert gezeigt und soll K. laut Anklage erzählt haben, dass er auch über einen Selbstmordanschlag nachdenke. Die beiden bekamen über Telegram offenbar auch Zugriff zu einer Anleitung für den Bau eines Sprengsatzes namens "Bau eine Bombe in Mamas Küche". Der zynische Name zeigt, wie sehr es die IS-Terroristen gerade auf labile und hörige Jugendliche abgesehen hatten.

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Im November 2016 sollen sich die Anschlagspläne des 12-Jährigen dann konkretisiert haben. Welchen Einfluss K. auf ihn hatte, wird wohl der zentrale Punkt in seinem bevorstehenden Prozess sein. Laut Anklage steht fest, dass der Bub ihn immer wieder um Rat fragte und seinen gebastelten Sprengsatz ursprünglich in einer Kirche zünden wollte, wovon ihm K. abriet. Stattdessen empfahl er den örtlichen Weihnachtsmarkt.

Bereits am 25.11. habe der Bub dann zur Tat schreiten wollen, sein Vater habe ihn jedoch am Verlassen des Hauses gehindert, heißt es in der Anklage. Daraufhin erklärte der 12-Jährige auch offene Zweifel gegenüber Lorenz K.:

"Ich habe gerade echt Probleme mit der nyya (Anm.: Absicht)…meine nyya ist jannah (Anm.: Paradies)…Ich will dunya (Anm.: Diesseits) net mehr…Nur um dunya loszuwerden is5…Nur str3ss."

Woraufhin K. seinen Chatpartner motiviert habe:

"Denk an Allah und die Sahaba (Anm.: Märtyrertum) (…) Denk an die Beleidigungen (…) An die Toten Muslimin (…) Kinder"

Am darauffolgenden Tag habe sich der 12-Jährige dann wiederum bereit für seine Pläne gefühlt:

"Ich gehe in paar Stunden aus dem haus und guck den guertel…Ob alles richtig ist…Dann zie ich an und gehe weinachtsmarkt."

Am Weihnachtsmarkt angelangt, scheiterte A. jedoch daran, den mit Nägeln bestückten Sprengsatz zu zünden, hinterließ die Vorrichtung und lief davon. Möglich ist auch, dass der Bub schließlich doch vor der Tat zurückschreckte. Erst über einen anderen Freund, dem A. davon erzählte, erfuhr auch die Polizei von der geplanten Tat und nahm ihn Tage später fest. Der strafunmündige A. wurde später in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht, was auch auf Antrag seiner Eltern geschah.

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Auf YouTube findet sich noch ein älteres, wirres Video, in dem A. mit vermummtem Gesicht über das Videospiel Minecraft spricht. Andere, einschlägigere Botschaften wurden mittlerweile entfernt.

"Wenn die Tür aufgeht gibts Action und Bewegung" - Mohamed A., 27, inhaftierter Islamist in Berlin, über Anschlagspläne nach seiner Haft*

Ein besonders brisanter Kontakt der beiden Jugendlichen war laut Anklage ein in Deutschland inhaftierter Mann namens Mohamed A. Der 27-Jährige war vor einigen Jahren wegen schweren Raubes verurteilt worden und radikalisierte sich während des Aufenthaltes in der Justizanstalt Berlin-Tegel. Tatsächlich schaffte es der Islamist auch, sich im Gefängnis ein geschmuggeltes Handy zu beschaffen und damit etwa auf Facebook IS-Propaganda zu verbreiten.

Bisher nicht bekannt war, dass Mohammed A. über sein Handy eben auch in direktem Kontakt mit dem 12-jährigen A., sowie dem Wiener Lorenz K. gestanden haben soll. Mohammed A. bemühte sich sogar darum, den Jugendlichen einen direkten Draht zu IS-Leuten in Syrien zu verschaffen, was schließlich auch gelang.

Die Ermittler waren womöglich überhaupt erst durch die Verhaftung der beiden Teenager auf den inhaftierten Gefährder gekommen. Im Juli 2017 sollte der 27-Jährige eigentlich aus der Haft entlassen werden, einen Monat zuvor erfolgte aber plötzlich eine Razzia in seiner Zelle, bei der das geschmuggelte Propaganda-Handy beschlagnahmt wurde. Seither bemüht man sich in Deutschland, den Islamisten in Haft zu behalten.

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Dafür gibt es offensichtlich auch gute Gründe: Bezüglich Anschlagsplänen schrieb Mohammed A. laut Anklage an Lorenz K., dass dieser doch noch neun Monate warten solle, bis A. aus seiner Haft entlassen sei, denn "Wenn die Tür aufgeht gibts Action und Bewegung", hieß es seitens Mohamed A.

Der damals 12-jährige A. soll den inhaftierten Chatpartner sogar noch länger gekannt haben. Der 27-Jährige wollte dem Buben laut Informationen der Anklage schon im Frühjahr 2016 bei einer Ausreise nach Syrien behilflich sein. Als A. dem 27-Jährigen von seinen Attentatsplänen erzählte, äußerte sich dieser jedoch skeptisch. Die Begehung von Anschlägen solle dieser lieber "uns erwachsene" überlassen.

"Ich habe einen Bruder wegen Österreich gefragt, den du selbst kennst, Abu Usama Al-Garib (Anm.: Mohammed Mahmoud). Und der hat mir gesagt, dass du das auf jeden Fall machen kannst." - "Mujahid", unbekannter IS-Kontakt in Syrien*

Mohammed Mahmoud habe Anschläge in Österreich persönlich legitimiert, schrieb der unbekannte IS-Kontakt in Syrien in den Chats an K. Screenshot: VICE Media

Die Jugendlichen sollen auch über einen deutschsprachigen IS-Kontakt in Syrien verfügt haben. Die bisher nicht identifizierte Person, die sich in den Chats als "Mujahid" ausgab, wirkte separat auf beide Teenager ein, motivierte sie laut Anklage zu Anschlägen und nahm Treueschwüre entgegen, die der IS im Falle eines gelungenen Attentates auch rausspielen hätte können.

Lorenz K. soll den Kontakt von seinem jüngeren Chatpartner A. bekommen haben, der schon längere Zeit mit dieser Person kommunizierte. Seine letzten Nachrichten vor der versuchten Tat am Weihnachtsmarkt schickte A. laut Anklage beispielsweise an "Mujahid":

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"Es ist nur ein Feuerzeug was mich jetzt nach janna (Anm.: Paradies) führen wird…Inshaallah“ (…) Okay sqpqmualeykum in halbe Stunde oder eine"

Als der Plan des damals 12-Jährigen scheiterte, soll "Mujahid" Lorenz K. deshalb eine Warnung ausgesprochen haben:

"Ich wollt dir einen Ratschlag geben Achi. Äh, jetzt mit dem Bruder, der kurdische Bruder, wir haben sehr viele Mal verschoben. Viele Male ist es schief gegangen. Jetzt wieder schief gegangen, heute…Und keinen Kontakt mit ihm Achi am besten, weil ich hab kein gutes Gefühl bei dieser Sache."

K. wiederum machte Anfang Dezember 2016 einen Ausflug ins deutsche Neuss, wo er bei einem anderen jungen Salafisten unterkam, heißt es in der Anklage. Auch traf er dort auf seine 16-jährige Internet-Freundin, die laut Anklage ebenfalls von K. radikalisiert wurde. Die beiden sollen in Neuss schließlich von einem Imam "geehelicht" worden sein.

Lorenz K. habe dann ebenfalls geplant, in Deutschland einen Sprengstoffanschlag zu verüben und stand dazu mit "Mujahid" in engem Kontakt. Mit seinem Bekannten in Neuss soll er eine Testbombe gebastelt haben. Angeblich verließ ihn danach jedoch der Mut und er kehrte aus Geldmangel nach Österreich zurück, heißt es in der Anklage. Zuvor wurde er aber sogar von deutschen Beamten kurzzeitig festgenommen. Der Vater des 16-jährigen Mädchens hatte die Polizei laut Anklage auf den jungen, potenziell gefährlichen Österreicher bereits aufmerksam gemacht. Die Beamten sahen sich in der Folge auch das Foto der Testbombe auf K.s Telefon an, er konnte sie jedoch überzeugen, dass es sich dabei nur um eine harmlose Rauchbombe handeln würde und kam frei.

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In den der Anklage vorliegenden Nachrichten gegenüber "Mujahid" zeigt sich K. dann merklich verlegen, über seine Rückreise nach Österreich gab sich der Kontakt wiederum nicht erfreut. K. meinte, dass er ja auch in Österreich einen Anschlag machen könnte. In seinen Vernehmungen beteuert K. jedoch, dass er mit der Rückkehr seine Anschlagspläne endgültig verworfen habe. "Mujahid" wurde offenbar nicht müde, den Jugendlichen weiter zu Taten anzustacheln. So schrieb dieser laut Anklage:

"Achi, ähm, ich hab gefragt, ähm wegen 'Operation Österreich' ähm, ich hab einen Bruder gefragt, den du selbst kennst, Abu Usama Al-Garib. (Anm.: Mohammed Mahmoud) Und der hat mir gesagt, dass du das auf jeden Fall machen kannst."

Und wiederholte dies wenige Tage später:

"Wie ich dir schon gesagt habe, Österreich kannst du auch machen."

In dem Monat vor seiner Verhaftung habe sich K. mit anderen Freunden in Wien weiterhin über extremistische Ideen ausgetauscht, meint die Anklage. Man sinnierte, wie man etwa die Freilassung des inhaftierten, islamistischen Predigers Mirsad O. erpressen könnte. Wie ernstzunehmend diese Gespräche waren, wird man im bevorstehenden Prozess feststellen müssen, der Verteidiger Blaschitz widerspricht jedenfalls sämtlichen versuchten Mordplänen. Aus seinen, zumindest früheren Sympathien für die IS-Terrormiliz macht K., der Anklage lautend, keinen Hehl. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass er auf sein befreundetes Umfeld eine gefährlichen Einfluss ausübte.

Verstörend bleibt jedenfalls der Eindruck, wie kindliche Fanatiker über ein örtlich verstreutes Netz zwischen Syrien, Deutschland und sogar aus einer Berliner Haftanstalt heraus, von älteren Rattenfängern beeinflusst werden konnten.

Thomas auf Twitter: @t_moonshine

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*Zitate entstammen der Anklageschrift