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vor Gericht

Ich verklage die österreichische Polizei wegen Ausweiskontrollen

Die Polizei darf in Österreich nicht ohne Grund Ausweise kontrollieren. Sehr oft tut sie es trotzdem. Unser Autor geht deshalb jetzt dagegen vor Gericht.
Zwei Polizisten: Was darf die Polizei in Österreich?
Foto: imago | SKATA

"Ausweis und Fahrzeugpapiere bitte!" Es ist bereits die vierte Ausweiskontrolle innerhalb von nicht einmal zwei Stunden. Diesmal wird sogar das Auto durchsucht und auf Fahrtüchtigkeit getestet. "Und jetzt überprüfen wir noch die Lichtanlage", fordert der Polizist.

Es ist der 9. September 2017, wir befinden uns am Wiener Kahlenberg. Die neofaschistische Gruppe "Identitäre Bewegung" möchte auf diesem beliebten Ausflugsziel einen Aufmarsch durchführen. In den Jahren zuvor war die Gruppe mitten in Wien marschiert, doch nach massiven Protesten im Jahr 2016 ziehen es die Kameraden nun offenbar vor, die Ausläufer von Wien zu erkunden.

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Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich mich auf den Weg gemacht, um diesen Aufmarsch zu dokumentieren. Um uns einfacher bewegen zu können, sind wir mit einem Auto unterwegs. Doch bereits am Weg zum Kahlenberg werden unsere Dokumente zwei Mal von der Polizei überprüft.


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Danach folgen zwei weitere langwierige Identitätsfeststellungen, einmal begleitet von einer Überprüfung des Fahrzeugs. Insgesamt kosten uns die Kontrollen rund 45 Minuten – Zeit, in der wir den Marsch und die Gegenproteste nicht verfolgen und dokumentieren können. Eigentlich sind solche anlasslosen Ausweiskontrollen in Österreich allerdings rechtswidrig. Die Polizei darf nicht "einfach so" die Ausweise von Menschen kontrollieren – auch wenn viele das Gegenteil glauben. Das habe ich auch den Beamten vor Ort gesagt, und sogar gefragt, ob sie Zwangsmaßnahmen gegen mich anwenden würden.

Nachdem ein Polizist mir erklärte, dass sie bereit wären, mich zur Ausweiskontrolle zu zwingen, haben sie den Ausweis bekommen. Jetzt gehe ich deswegen gegen die Polizei vor Gericht. Am 31. Juli findet vor dem Verwaltungsgericht Wien der Prozess statt. Immerhin ist in Österreich sehr genau festgelegt, wann die Polizei einen Ausweis kontrollieren darf und wann nicht. Möglich sind solche Kontrollen laut Paragraf 35 des Sicherheitspolizeigesetzes beispielsweise

  • wenn jemand an einem "gefährlichen Angriff" beteiligt ist oder darüber Auskunft geben könnte
  • wenn sich am Aufenthaltsort eines Menschen strafbare Handlungen ereignen
  • wenn vermutet wird, dass jemand ohne Erlaubnis die Grenze überschritten hat
  • wenn eine Person offensichtlich hilflos ist und Identitätsfeststellung für die Hilfeleistung erforderlich scheint oder
  • wenn es sich um einen abgängigen Minderjährigen oder eine Minderjährige handeln könnte.

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Die gesamte Liste könnt ihr unter diesem Link nachlesen. Am umfangreichsten ist dabei die Bestimmung des "gefährlichen Angriffs". Ebenfalls erlaubt sind Kontrollen gegen eine Person, wenn „aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie wäre als Fremder rechtswidrig in das Bundesgebiet eingereist oder hielte sich im Bundesgebiet rechtswidrig auf“. Geregelt ist das im sogenannten Fremdengesetz. Mit diesem Paragrafen rechtfertigte die Polizei beispielsweise, dass sie im November 2017 Menschen offenbar auf Basis ihres Aussehens am Wiener Praterstern zusammentrieb.

Doch nichts davon trifft an diesem Samstag am Kahlenberg zu. Und ich und meine Kollegin sind nicht die einzigen, denen es so geht. "Bereits am Bahnhof Heiligenstadt hatten wir die erste Identitätsfeststellung", erzählt mir eine antifaschistische Aktivistin. Weiter ging es mit den vermutlich illegalen Kontrollen im Heurigenort Grinzing, am Fuß des Kahlenbergs. Auf einmal wurden hier alle Linienbusse angehalten. Die Fahrgäste mussten aussteigen und die Busse fuhren leer weiter. Der gesamte Berg sollte offenbar für den rechtsextremistischen Aufmarsch abgeschirmt werden. Auch hier gab es Ausweiskontrollen bei einzelnen Fahrgästen.

Wir werden zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zum ersten Mal kontrolliert. Kurz danach, auf der Höhenstraße, folgt schon die zweite Kontrolle. Beide Male können wir erst weiterfahren, nachdem wir unsere Presseausweise gezeigt haben. Am Parkplatz vor der Aussichtsplattform dann das erste Grüppchen von Anhängerinnen und Anhängern der "Identitären". Ebenfalls präsent: enorm viel Polizei und ein privater Kleinbus, dessen Design einem Polizeiauto sehr ähnlichsieht. Darauf die Aufschrift: "Freie Exekutiv Gewerkschaft".

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Das Auto gehört der FPÖ-Gewerkschaft in der Polizei. Deutlich sichtbar ist, dass aus dem Bus heraus Getränke an die umstehenden Polizistinnen und Polizisten verteilt werden. Dazu gibt es freundliches Geplauder zwischen den FPÖ-Funktionären und der Polizei. Wir nehmen die Szene auf.

Als wir kurz danach weiterfahren wollen, versperrt uns die Polizei den Weg – darunter die gleichen Personen, die wir vorher dokumentiert hatten. Sie wollen unsere Ausweise sehen. Ich frage nach der Rechtsgrundlage. "Paragraf 35 Sicherheitspolizeigesetz, Absatz eins, Ziffer eins", entgegnet der Polizist. Nachdem ich allerdings weiß, dass dieser Paragraf – wie oben erklärt – eben keine anlasslosen Kontrollen erlaubt, nehme ich mein Handy zur Hand und suche mir den Paragrafen heraus.

"Die Sache ist eigentlich klar: Ohne guten Grund darf die Polizei keine Identitätsfeststellung anordnen."

Wir haben nun den Gesetzestext online vor uns liegen. Der Polizist behauptet also, dass ich in Zusammenhang mit einem "gefährlichen Angriff" stehen würde oder darüber Auskunft erteilen könne. Eine strafbare Handlung hatte es aber weit und breit nicht gegeben. Meine Frage, woraus er in diesem Paragraf das Recht auf eine Kontrolle ableitet, beantwortet er nochmals mit "Paragraf 35 Sicherheitspolizeigesetz, Absatz eins, Ziffer eins". Meinen Hinweis, dass dieser Paragraf die Kontrolle nicht erlaubt, bringt als Reaktion: "Ich habe es Ihnen schon gesagt, Paragraf 35 Sicherheitspolizeigesetz, Absatz eins, Ziffer eins."

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Sachdienliche Hinweise sind von diesem Polizisten offenbar nicht zu erwarten. Ein Anruf bei der Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien bringt ebenfalls keine Klärung. Die verweist einfach auf die Polizei vor Ort. Der Polizist hatte einfach den klassischen Paragrafen genannt, um eine Ausweiskontrolle durchzuführen. Die meisten Menschen geben sich spätestens mit der Nennung des Gesetzes auch zufrieden. Rechtsanwalt Clemens Lahner, der mich nun auch vor Gericht vertritt, erklärt, dass es sich die Polizei da allerdings deutlich zu einfach macht. "Die Sache ist eigentlich klar: Ohne guten Grund darf die Polizei keine Identitätsfeststellung anordnen", so Lahner im Gespräch.

Laut dem Rechtsanwalt, der bereits Josef S. bei seinem Verfahren wegen Landfriedensbruch unterstützt hat, hätte der Polizist zwar das richtige Gesetz genannt. Aber es "braucht klarerweise immer auch einen Sachverhalt, der zum jeweiligen Gesetz passt", erklärt er. Das Fazit des Rechtsanwalts: "Wenn weit und breit kein gefährlicher Angriff stattgefunden hat, gibt es logischerweise auch keinen Grund, wegen eines gefährlichen Angriffs eine Identitätsfeststellung durchzuführen."

"Reden Sie mit meinem Vorgesetzten … der nicht da ist."

Zurück vor Ort, hat mein Anruf bei der Pressestelle der Polizei offenbar dazu geführt, dass sie sich nun ebenfalls absichern wollen. Einer greift zum Funkgerät und gibt durch, welche Amtshandlung sie gerade durchführen. Schließlich will ich die Dienstnummer des Beamten. Grundsätzlich hat jemand bei der Polizei immer eine Visitenkarte dabei, aus der die Dienstnummer hervorgeht. Diese Visitenkarte muss auf Anfrage auch übergeben werden.

Geregelt ist das im Paragraf 31 des Sicherheitspolizeigesetzes. Dort steht, dass "die Bekanntgabe der Dienstnummern (…) durch Aushändigung einer mit der Dienstnummer, der Bezeichnung der Dienststelle und deren Telefonnummer versehenen Karte zu erfolgen hat". Es ist sehr nützlich, diese Karte zu bekommen, um später rechtlich gegen die Polizei vorgehen zu können.

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Bei Demonstrationen gibt es für die Polizei allerdings einen Ausweg. Wenn die Polizei als "geschlossene Einheit" auftritt, können einzelne Polizistinnen und Polizisten an ihre Vorgesetzten verweisen. Und genau das tut der Polizist in meinem Fall. Als ich allerdings frage, wo denn seine Vorgesetzten seien, lautet die Antwort einfach "nicht da".

Gerade bei solchen mutmaßlich illegalen Amtshandlungen wäre es sehr wichtig, die Polizistinnen und Polizisten später auch identifizieren zu können. Naturgemäß ist es schwierig, gegen die Polizei vorzugehen, wenn sie gerade selbst ungesetzlich handelt. Wichtig sind also Bilder und Videos von solchen Situationen.

Egal, was euch die Polizei erzählt: Amtshandlungen filmen ist erlaubt

Polizistinnen und Polizisten behaupten zwar gern, dass es nicht legal wäre, ihre Amtshandlungen mit zu filmen. Aber das stimmt nicht. Sogar das österreichische Innenministerium bestätigt in seinen Schulungsunterlagen für die Polizei, dass es erlaubt ist, Polizistinnen und Polizisten zu filmen und zu fotografieren. "Tatsache ist: Das bloße Herstellen von Personenbildnissen und Videoaufnahmen ist generell erlaubt und nicht strafbar – das gilt auch für das Filmen oder Fotografieren von Amtshandlungen", heißt es auf der Seite des Ministeriums.

Weiter steht auf der Seite des Ministeriums sehr eindeutig: "Bei Bild-, Video- oder Tonaufzeichnungen bestehen für Exekutivbedienstete grundsätzlich keine aktiven Verhinderungsmöglichkeiten während der Amtshandlung." Einzig die Veröffentlichung von Bildern einzelner Polizistinnen und Polizisten in Großaufnahme könnte in bestimmten Situationen problematisch sein; hier ist die rechtliche Lage etwas unklar.

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Wir wissen, dass wir das Recht haben, solche Bilder zu machen und fotografieren – rückblickend betrachtet wäre es allerdings noch besser gewesen, Videos zu machen, die auch Tonaufzeichnungen enthalten. Nach 15 Minuten ist die Amtshandlung endlich beendet. Wir beschließen, in Richtung der antifaschistischen Protestkundgebung zu fahren, damit wir ein komplettes Bild der Situation bekommen. Weit kommen wir allerdings nicht.

Nach wenigen hundert Metern erfolgt die nächste Kontrolle. Zahlreiche Polizistinnen und Polizisten bilden ein Spalier auf der Straße; es wirkt, als wären wir nach der Durchsage per Funk bereits erwartet worden. Diesmal bleibt es nicht bei einer Ausweiskontrolle, auch unser Auto wird geöffnet und auf Fahrtauglichkeit überprüft. Damit dauert die Kontrolle dieses Mal noch länger.

Bilder können nur im Rücken des Marsches und hinter der Polizei gemacht werden. "Die Veranstalter wollen das so", erklärt eine Polizistin.

Ein weiterer Anruf meinerseits bei der Presseabteilung der Wiener Polizei sowie eine Kommunikation über Twitter mit dem Account der Landespolizeidirektion verlaufen ergebnislos. Wieder vergeht wertvolle Zeit, die nötig wäre, um ein vollständiges Bild vom Aufmarsch und den Protesten zu bekommen. Die antifaschistischen Proteste können wir nun nicht mehr dokumentieren – die Zeit ist zu knapp geworden. Zurück also zum rechtsextremen Aufmarsch. Viele sind es nicht geworden; bestenfalls 140 Personen haben sich für die Abendland-Rettung eingefunden – andere kommen bei ihrer Zählung sogar auf nur 120 ("inklusive Journalistinnen").

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Als der rechtsextreme Marsch schließlich losgeht, sind wir ebenfalls bereit. Aber als wir den Aufmarsch fotografieren wollen, hindert die Polizei uns und andere Pressefotografinnen und -fotografen daran, weiter nach vorne zu gehen. Die letzte Reihe der Polizei schirmt so die Teilnehmenden des Aufmarschs vor der Presse und vor Kameras ab. Bilder können nur im Rücken des Marsches und hinter der Polizei gemacht werden. "Die Veranstalter wollen das so", erklärt eine Polizistin meiner Kollegen. Seit wann es die Aufgabe der Polizei ist, faschistische Aufmärsche im Auftrag der Organisatoren von den Medien abzuschirmen, erklärt sie nicht.

Am Ende des Abends hatten wir also insgesamt vier Identitätsfeststellungen und zusätzlich noch die Behinderung beim Fotografieren. Doch diesmal habe ich beschlossen, mich gegen diese Kontrollen vor Gericht zur Wehr zu setzen. Gemäß Paragraf 88 Sicherheitspolizeigesetz mache ich vor dem Verwaltungsgericht Wien eine sogenannte "Maßnahmenbeschwerde" gegen die Polizei.

Innerhalb von sechs Wochen nach dem Vorgehen der Polizei muss eine solche Maßnahmenbeschwerde laut Gesetz eingebracht werden. Grundsätzlich ist es nicht notwendig, sich bei einer Maßnahmenbeschwerde von einem Anwalt oder einer Anwältin vertreten zu lassen, aber klarerweise ist eine anwaltliche Unterstützung immer von Vorteil.

Die Anzahl der Beschwerden macht eben doch den Unterschied

Falls ich verliere, müsste ich allerdings für die gesamten Anwaltskosten selbst aufkommen. Zusätzlich müsste ich rund 800 Euro an die Republik bezahlen – eine ziemlich absurde Regelung, die Beschwerden klarerweise schwieriger macht. Ich selbst habe Glück, der "Grün-Alternative Verein zur Unterstützung von BürgerInnen-Initiativen" (BIV) übernimmt das finanzielle Risiko durch eine Ausfallshaftung. Es ist also immer gut, wenn ihr euch rechtzeitig darum kümmert, ob es jemanden gibt, der euch bei solchen Verfahren finanziell unterstützen könnte.

Aber so groß die Hürden auch klingen: Es ist möglich, gegen die Polizei zu gewinnen. Im Jahr 2016 etwa wollte die Polizei auf einmal 140 Euro von mir, weil ich eine Identitätsfeststellung beobachtet hatte. Auch damit bin ich vor Gericht gegangen, auch damit habe ich gewonnen. Hier könnt ihr meinen Bericht dazu nachlesen.

Viele Menschen schrecken davor zurück, bei Polizei-Übergriffen den Weg zu Gericht zu gehen. Menschlich ist das auch verständlich – es kostet Zeit, Arbeit, Nerven und möglicherweise mindestens rund 800 Euro. Aber auf einer grundsätzlichen Ebene ist es trotzdem wichtig, sich gegen Polizeiübergriffe zur Wehr zu setzen.

"Wenn sich genug Einzelpersonen über Gesetzesverletzungen beschweren, dann sollte auch ein Lerneffekt bei der Polizei eintreten."

Mir ist auch bewusst, dass ich in einer privilegierten Situation bin. Ich habe einen Presseausweis, ich bin weiß und ich bin muttersprachlich Deutsch. Und schließlich kenne ich mich mit meinen Rechten im Umgang mit der Polizei ganz gut aus. Das bedeutet aber auch eine bestimmte Verpflichtung: Wenn die Polizei immer öfter mit Auslasskontrollen gegen Menschen vorgeht und auch die Berichterstattung zunehmend schwerer macht, dann sollten sich Betroffene dagegen zur Wehr setzen. Egal, ob sie im Journalismus arbeiten oder einfach nur als Privatperson gegen Willkür vorgehen wollen.

Denn die Anzahl der Leute, die dagegen aufstehen, macht tatsächlich den Unterschied. Das sieht auch Rechtsanwalt Lahner so: "Wenn sich genug Einzelpersonen über Gesetzesverletzungen beschweren, dann sollte auch ein Lerneffekt bei der Polizei eintreten." Für ihn sind Beschwerden nicht zuletzt dort besonders notwendig, wo die Pressefreiheit beeinträchtigt wird. "Funktionierende Medienarbeit ist in einem demokratischen Rechtsstaat unerlässlich", so Lahner. "Da darf es keine Abstriche geben."

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