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10 Fragen

10 Fragen an eine 'Albina', die du immer schon stellen wolltest

Wieso sieht man dir nicht an, dass du Albino bist? Hast du eigentlich rote Augen und trägst nur Kontaktlinsen? Ist man als Albino körperlich in irgendwas eingeschränkt?
Foto: Privat

Weltweit gesehen liegt die Häufigkeit für Albinismus etwa bei 1 zu 20.000. Jeder hat schon einmal davon gehört, aber was das wirklich für das Leben von Betroffenen bedeutet – oder eben nicht – darüber gibt es viel Unwissenheit und Vorurteile.

Zum Beispiel, dass der Begriff "Albino" eigentlich nur für Tiere üblich ist. Was auch kaum jemand weiß: Alle Betroffenen haben eine Sehschwäche und in Afrika ist Albinismus mit einer Prävalenz von 1 zu 10.000 und mehr doppelt so häufig als im Rest der Welt. In einigen Ländern werden Betroffene sogar verfolgt und ermordet, weil der Aberglaube verbreitet ist, sie seien "vom Bösen besessen". In anderen Ländern werden aus ihren Knochen Zaubertränke zubereitet.

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Glücklicherweise sind die Fehlinformationen, die bei uns über Albinismus verbreitet sind, deutlich weniger lebensgefährlich. Einige scheinen trotzdem noch sehr üblich zu sein. Um zu erfahren, wie das Leben mit Albinismus wirklich ist, und was man sonst noch alles darüber wissen sollte, haben wir Ally interviewt, von der wir – ganz Beladen von Vorurteilen – gar nicht gedacht hätten, dass sie Albinismus hat.

VICE: Sehen Menschen überhaupt, dass du Albino bist?
Ally: Nein, das merkt selten jemand. Das ist für mich Fluch und Segen zugleich – einerseits muss ich mich nicht dauernd erklären, andererseits gibt's dann oft Unverständnis, weil die Leute eben keine Anzeichen dafür sehen, dass ich doch ein paar "besondere Bedürfnisse" habe. Zum Beispiel mag ich in hellen Räumen nicht Richtung Fenster schauen, das tut weh und meine Augen tränen.

Am Esstisch meiner Eltern hab ich deshalb einen fixen Platz, aber in Meetings, bei Kundenterminen oder Prüfungen braucht es dann schon ein bisschen Chuzpe, den Chef oder den Prüfer zu bitten, mich an einen anderen setzen zu können.

Darfst du in die Sonne?
Ja, aber ich muss halt aufpassen. Von April bis September hab ich zumindest immer eine Sonnencreme dabei. Im Hochsommer um die Mittagszeit habe ich eine Eigenschutzzeit von vielleicht 15 Minuten.

Ich fahr auch ganz normal auf Urlaub nach Griechenland oder Italien, brauche dann halt eine Flasche Sonnencreme pro Woche.

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Ganz wichtig ist auch, dass ich meine Sonnenbrille mithabe, weil auch die Augen sehr empfindlich sind. Wenn ich länger draußen bin, am liebsten mit Sonnenbrille und Hut.

Hast du eigentlich rote Augen und trägst nur Kontaktlinsen?
Nein, meine sind blau. Die wenigsten Menschen mit Albinismus haben rote Augen, das wirkt nur bei einem bestimmten Einfallwinkel des Lichts so. Wie die roten Augen auf Fotos, nur extremer. Da ist dann auch nicht die Iris (Regenbogenhaut) rot, sondern es scheinen halt die Blutgefäße durch.

Was alle von Albinismus betroffenen gemeinsam haben, was viele Leute nicht wissen, ist eine Sehbehinderung. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich diese Sehbehinderung äußert. Vielleicht so: Ich sehe wie eine Kamera mit zu wenig Megapixeln, also nicht unscharf, sondern detailärmer. Das heißt bei mir konkret, ich kann selbstständig leben und arbeiten, aber z.B. nicht Auto fahren. Es gibt aber keine wirksame Korrektur und nur wenige Ansätze zur Therapie.

Seit ich ein Handy hab, kann ich mir alles abfotografieren und reinzoomen, falls nötig. Das ist schon super, weil davor hatte ich einen Stadtplan in Großdruck und selbst für den hätte ich eigentlich eine Lupe gebraucht. Ich hab bei Konzerten und den spärlichen Opern-Besuchen immer ein Fernglas dabei – da muss man halt drüberstehen, wenn das jemand komisch findet.

Gibt es noch mehr Tricks?
Ich kenne ÄrztInnen, GrafikerInnen und einen Kameramann mit Albinismus – also wenn man es wirklich will, dann geht es auch irgendwie. Man entwickelt Tricks, um das schlechte Sehen zu kompensieren. Zum Beispiel ein fotografisches Gedächtnis, das extrem gut Muster wieder erkennen kann, oder ein gutes Richtungshören.

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Hattest du Probleme als Kind, weil du anders aussahst?
Ja, das war nicht lustig. Als Kind ist es oft eh wurscht, was genau anders ist – ob man jetzt Sommersprossen hat, lispelt oder größer ist als die anderen. Bei mir wars halt die Kombi aus blass, grottenschlecht bei Völkerball (und später Volleyball) und durchaus vorhandenem Interesse am Unterricht, die mich früh zur Außenseiterin werden ließ.

Außerdem gibt es natürlich auch zwischenmenschliche Missverständnisse, wenn man nicht alle nonverbalen Signale mitbekommt. Zum Beispiel passiert es manchmal immer noch, dass jemand sauer auf mich ist, weil man mir irgendwo im Vorbeigehen zugewunken hat, und ich nicht reagiert hab. Aber eben nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil ich es schlicht und einfach nicht mitgekriegt hab.

Was sind die dümmsten Reaktionen, wenn du sagst, dass du Albino bist?
Da gibt es leider ganz viele, aber inzwischen lache ich meistens drüber. Oder stelle einfach die Fakten richtig.

  • "Sind Deine Eltern Geschwister?"
  • "Ich glaube, Du bist einfach nur blond."
  • "Lebst Du im Keller?"
  • "Du brauchst eine Brille!"
  • "Geh doch einfach mehr in die Sonne!"

Am Ärgerlichsten ist es, dass mir als "Betroffene" die Kompetenz abgesprochen wird, zu wissen, was ich habe und darüber Auskunft geben zu können. Als würde man zu einem Menschen im Rollstuhl sagen "Ich glaub Du bist einfach nur faul. Steh doch auf."

Übrigens kommen Menschen mit Albinismus relativ oft in Filmen als Bösewichte vor, etwa im Da Vinci Code. Was total absurd ist, weil die meisten von uns weder Auto fahren können noch als AttentäterInnen geeignet wären – zu auffällig und zu viel "schasaugert" zum Schießen

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Sind alle Haare an deinem Körper weiß?
Eh klar, dass von Vice so eine Frage kommt. Sie sind hellblond. Die am Kopf sind in der Pubertät etwas nachgedunkelt – woran das liegt, weiß ich nicht. Eigentlich sollten meine Zellen ja nicht in der Lage dazu sein, Pigment zu bilden.

Tust du etwas, um weniger so auszusehen wie ein Albino?
Ich färbe meine Augenbrauen damit sie dieselbe Farbe wie meine Haare haben und die Wimpern schwarz. Meine Brauen sieht man sonst nämlich gar nicht und da schaut ein Gesicht einfach seltsam und zweidimensional aus.

Ich versuche es nicht zu verbergen, es ist ja nichts wofür ich mich schämen muss. Ich merke auch, dass andere viel besser damit umgehen können, wenn ich es offen anspreche. Und es gibt ein paar Leute, die ganz selbstverständlich Dinge tun, um mir den Alltag zu erleichtern. Eine Kollegin druckt die Unterlagen für mich größer aus und mein Freund hält mir die Hand hin, wenn wir eine stark befahrene Straße ohne Ampel überqueren. Wenn ich meine Behinderung verschweige, nehme ich allen die Chance darauf Rücksicht zu nehmen – und auch zu begreifen, dass Menschen mit Behinderung wertvolle und auch "vollwertige" Arbeit leisten können.

Wie wird man Albino?
Beide Eltern müssen das Gen dafür haben, aber weil sie ein "gesundes" Gegenstück haben, funktioniert bei ihnen alles wie es soll. Wenn jetzt beide Eltern genau dieses vererben, dann gibt es keine funktionierende Bauanleitung. Daraus ergibt sich eine Chance von 1:4, dass Eltern mit dem Gen ein Kind mit Albinismus bekommen, wodurch Albinismus auch viele Generationen überspringen kann. Außer durch einen Gentest beider Eltern kann man das vorher also auch gar nicht abschätzen, wie die Wahrscheinlichkeit ist.

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Als Teenager war das sehr schwer für mich zu akzeptieren, dass ich es vielleicht an meine Kinder weitergeben werde. Seit ich erwachsen bin, find ich mein Leben als Albina doch so gut, dass ich nicht deswegen auf Kinder verzichten würde. Die Chance, dass sie Albinismus bekommen, ist ja auch total klein – ich weiß nur von einem einzigen Fall, wo Albinismus in zwei aufeinanderfolgenden Generationen aufgetreten ist.

Übrigens – manche mögen es nicht, Albino genannt zu werden, sondern man solle den Mensch in den Vordergrund rücken, so wie man nicht "Behinderte", sondern "Menschen mit Behinderung" sagt. Ich selbst über mich darf aber natürlich.

Gibt es eine Community von Menschen mit Albinismus?
In Österreich gibt es eine mir bekannte Selbsthilfegruppe, mit der ich aber keinen Kontakt habe. In den USA gibt es eine größere, da war ich mal auf einer Konferenz. Was echt lustig war: Man ist zum ersten Mal Teil der Mehrheit und nicht der Sonderfall. Zum Beispiel im Restaurant, als alle die Nasen tief in die Speisekarten steckten und die Begleitpersonen (liebevoll "Pigmentos" genannt) fast seltsam aussahen, weil sie das nicht gemacht haben. Oder wenn man jemanden nach dem Weg gefragt hat und als gespielt genervte Antwort kam "Hallooooo, ich kann es auch nicht lesen!" Das war schon sehr spannend.

Ally wird (konstruktive) Fragen auch gerne in den Kommentaren auf Facebook beantworten.

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