Mission Baikonur: Ich habe heimlich russische Space Shuttles fotografiert
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung des Fotografen

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urban exploration

Mission Baikonur: Ich habe heimlich russische Space Shuttles fotografiert

Ein Mann erzählt die abenteuerliche Geschichte seines Einbruchs ins Kosmodrom Baikonur – und wie er danach mutmaßlich zur Zielscheibe von Agenten wurde.
Julian Morgans
aufgeschrieben von Julian Morgans

Als die Sowjetunion kollabierte, war das auch das Ende des Raumfahrtprogramms Buran, die Space Shuttles blieben halbfertig liegen. 2002 brachte ein Sturm einen Hangar zum Einsturz, eins der Shuttle wurde zerstört. Ein weiteres steht in einem Museum in Speyer. Vermutlich sind von dem Programm heute nur noch zwei Shuttles übrig, beide im Kosmodrom Baikonur im Südwesten Kasachstans.

In diesen berühmten Weltraumbahnhof sind bisher nur wenige Menschen eingebrochen und mit ihren Speicherkarten davongekommen. Mit einem dieser Menschen hat VICE gesprochen. Der Fotograf stammt aus Europa und ist auf Urban Exploration spezialisiert. Mehr möchte er nicht über sich verraten, denn natürlich könnte er für sein Abenteuer Einreiseverbote und anderen Ärger bekommen.

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Uns hat er erzählt, wie er es schaffte, ins Kosmodrom Baikonur einzubrechen, wie er entkam, und wie ihn seitdem womöglich russische Agenten verfolgen.

Als ich online vom Buran-Programm las, wusste ich sofort: Das muss auf meine Liste. Es wirkte einfach wie der ultimative Job für einen Urban Explorer – und zwar für einen verdammt guten. Also reiste ich im Oktober 2015 nach Kasachstan.

Der Weltraumbahnhof ist riesig. Etwa 7.700 Quadratkilometer Wüste, gespickt mit Hunderten Startrampen aus dem Kalten Krieg. Ein paar davon sind noch aktiv, von dort schickt Russland seine Kosmonauten zur internationalen Raumstation ISS. Dabei ist für einen Eindringling wie mich die größte Herausforderung, dass der Hangar etwa 40 Kilometer von der Hauptstraße entfernt steht. In der Wüste kann man nirgends ein Auto verstecken, also kann ich nicht zum Hangar fahren. Außerdem patrouillieren ständig Sicherheitsleute in Jeeps.


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Bei meiner Reise 2015 kundschafte ich alles mit einem Fernglas aus, ohne einzubrechen. Ich will erst mal herausfinden, wann die Patrouillen welche Strecke abfahren, Daten sammeln und so einen Weg finden, beim nächsten Mal ohne Auto die Wüste zu durchqueren. Dann kommt mir die Idee: ein Fahrrad! Wenn ich erst mal auf dem Gelände bin, kann ich dort auf den Asphaltstraßen fahren. Ich muss nur noch irgendwie die 20 Kilometer von der Hauptstraße zum eigentlichen Gelände zurücklegen.

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Wieder zu Hause schmiede ich einen Plan. Ich bestelle mir ein Klapprad und checke online den Zeitplan für die Raketenstarts aus Baikonur. Im August 2016 soll es keine Starts geben – der perfekte Zeitpunkt für meinen Einbruch. Mitten im Monat gibt es einen Vollmond, so werde ich mich nachts leichter fortbewegen können.

Der erste Ort, an dem der Fotograf versuchte zu parken. Das Klapprad steht rechts

Ich lande an einem Freitagabend in Baikonur. Anfangs ist alles noch einfach. Ich finde ein Versteck für mein Auto: einen Haufen alter Reifen, Teppiche und Müll in der Wüste. Gerade als ich mein Auto mit Reifen und Teppichen bedecke, fährt eine Patrouille direkt an mir vorbei. Ich mache mir schon ins Hemd, aber sie ignorieren mich. Vermutlich halten sie mich für einen der Einheimischen, die hier ihren Müll abladen.

Trotzdem weiß ich jetzt: Sie haben ihre Route geändert, um mich in Augenschein zu nehmen. Ich brauche einen neuen Plan. Am folgenden Abend versuche ich es sieben Kilometer weiter östlich. Dort finde ich einen Friedhof – vermutlich kann ich hier mein Auto parken, ohne dass es allzu verdächtig wirkt.

Von dort fahre ich mit dem Rad, bis ich die erste Straße auf dem Gelände sehe. Und damit auch gleich das erste Problem: Ich dachte, die Straßen wären versiegelt, aber sie bestehen nur aus losem Sand und Kies. Ich habe keine andere Wahl, als mich abzustrampeln.

"Eigentlich soll der Hangar nicht abgesperrt sein, aber das ist er."

Eigentlich hatte ich fünf Stunden eingeplant, aber der Weg zum Hangar kostet mich beinahe neun. Als ich ankomme, geht die Sonne schon auf, ich bin fix und fertig. Und dann stehe ich vor dem nächsten Problem.

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Eigentlich soll der Hangar nicht abgesperrt sein, aber das ist er. Ich denke: "Oh Gott, ich bin den ganzen Weg hierher gekommen und jetzt komme ich nicht rein." Doch dann sehe ich ein paar Ölfässer, die ich aufeinanderstapeln kann. So erreiche ich die Feuerleiter und gelange in den ersten Stock, der nicht abgesperrt ist. Es ist etwa 6:30 Uhr, im Gebäude ist es dunkel. Eine einzelne Reihe Fenster lässt ein fahles Leuchten in den Raum, ich fühle mich wie in einer riesigen Kathedrale. Und dann sehe ich die beiden Space Shuttles unter mir. Mir stockt der Atem.

Es ist wie ein Mausoleum für das Zeitalter der Raumfahrt. Ich sitze zwei Stunden lang einfach nur da und schaue die Shuttles an. Ich versuche zu schlafen, aber das viele Adrenalin lässt mich nicht. Gegen 10 Uhr ist es endlich hell genug, um Fotos zu schießen.

Es ist Sonntag und ich habe alle Zeit der Welt. Ich klettere durch den Hangar und suche nach den besten Winkeln. Die Shuttles rotten hier offensichtlich seit 25 Jahren vor sich hin, sie sind voller Vogeldreck. Unter einem Shuttle gibt es eine Leiter, über die man ins Innere gelangt, aber dort ist nicht viel zu sehen. Die Shuttles sind im Grunde zerstört, der Hangar selbst in einem üblen Zustand. Ein ganzes Jahrzehnt wussten die Kasachen nämlich nicht, was aus Baikonur werden würde. In dieser Zeit plünderten sie die Materialien aus dem Kosmodrom. Alles, was einen Wert hatte, ist längst weg. Ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Hangar einstürzt.

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Die Trägerrakete Energija, mit der die sowjetische Raumfähre Buran in die Umlaufbahn gelangen sollte

Nachdem ich den ganzen Tag fotografiert habe, krieche ich zu einem weiteren Hangar, der etwa 400 Meter entfernt steht. Dort lagert die Trägerrakete Energija. Ich schieße ein paar Fotos und will gerade wieder gehen, als drei Schäferhunde auftauchen. Sie machen ordentlich Lärm, einer der Hunde kommt auf mich zu. Ich greife mir ein Stahlrohr und hole mein Pfefferspray raus – das habe ich für so einen Fall eingepackt. Der Hund schnappt nach mir, also ziehe ich ihm das Rohr einmal über die Schnauze und sprühe ihn an. Eingeschüchtert verziehen sich alle drei Hunde und ich bin wieder allein.

"Plötzlich bemerke ich die Scheinwerfer eines Jeeps hinter mir."

Inzwischen ist es dunkel. Am Montagmorgen will ich nicht mehr da sein, also muss ich es vor Tagesanbruch zu meinem Auto zurückschaffen. Ich gehe die etwa acht Kilometer zu meinem Fahrrad und steige in die Pedale. Plötzlich bemerke ich die Scheinwerfer eines Jeeps hinter mir. Ich werfe mein Fahrrad zu Boden und sprinte etwa 50 Meter in die Wüste, weg von der Straße.

Der Jeep schlingert nach links und rechts, verlässt kurz die Straße und findet sie wieder. Ich weiß nicht, ob sie nach mir suchen, oder was da vor sich geht – aber es ist Wochenende, vielleicht haben die Wachen auch einfach ein paar Wodkas gekippt. Ich bete innerlich, dass sie mein Fahrrad nicht überfahren. Ich habe Glück, die Reifen des Jeeps verfehlen mein Rad. Ich warte ab und radle dann weiter.

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Nach Stunden Radfahren auf der Sandstraße bin ich völlig erschöpft. Irgendwann merke ich, dass ich wahrscheinlich besser vorankomme, wenn ich mein Fahrrad loswerde und meine kugelsichere Weste ausziehe. Ich sehne mich so sehr danach, mich kurz hinzulegen, widerstehe dem Drang aber. Es ist gefährlich, nur mit einem kleinen Wasservorrat mittags in der Wüste aufzuwachen. Für 36 Stunden habe ich 6 Liter eingeplant, was durchaus reicht. Aber nicht, wenn es 37 Grad hat.

Gegen 6 Uhr morgens erreiche ich endlich das Auto. Ich fahre etwa 20 Kilometer, dann drehe ich die Klimaanlage auf und lege mich schlafen. Gegen Mittag fahre ich weiter und verlasse Baikonur endgültig.

Zu Hause mache ich eine große Ausstellung mit meinen Fotos. Die Location platzt aus allen Nähten, ich verkaufe viele Drucke an Geschäftsmänner. Für meine Reise musste ich etwa 1.000 Euro hinblättern, aber am Ende habe ich 20.000 Euro verdient.

Vier Tage später komme ich nach Hause, die Tür zu meiner Wohnung steht offen. Ich ahne sofort, dass jemand eingebrochen ist, aber das Chaos, das ich erwarte, finde ich nicht vor. Meine Nikon fehlt, in der Kamera war noch die Karte mit den Raketenfotos. Sonst haben sie nur meinen Laptop mitgenommen – ich schätze, da war jemand bei der Ausstellung und hat gesehen, wie ich die Baikonur-Fotos von dem Rechner projiziert habe. Es ist ein sehr seltsamer Einbruch: In der Kameratasche sind noch sechs Objektive und meine Zweitkamera, eine Sony A7. Das sind Gegenstände im Wert von mehreren Tausend Euro, die offen vor den Einbrechern lagen.

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Ich rufe die Polizei. Beamte kommen vorbei und ich mache meine Aussage. Später rufen sie mich zurück und sagen: "Wissen Sie, es ergibt keinen Sinn, dass diese Leute nur eine Kamera und ihren Laptop gestohlen haben. Wir denken, damit will Moskau ihnen vielleicht eine Botschaft senden."

Sie empfehlen mir, vorsichtig zu sein, mit solchen Typen wolle ich mich nicht anlegen. Die Beamten haben die Theorie, dass es hier um die russische Ehre geht, und ich fürchte das auch. Es ist eine Bloßstellung für das Land, wenn jemand auf einem Klapprad in einen streng geheimen Weltraumbahnhof einbricht. Am Ruf der Russen hängt auch eine Einkommensquelle: Die USA zahlen Russland jedes Mal viele Millionen Dollar, wenn sie Baikonur nutzen, um jemanden zur ISS zu schicken. Seither bemühe ich mich, meinen Namen aus den Medien zu halten.

"Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, gut vorbereitet zu sein. Ich hatte mein Pfefferspray und meine schusssichere Weste. Ich hatte gelernt, was 'Hände hoch!' auf Russisch heißt."

Aber Angst habe ich nicht. Ich blicke nicht ständig über meine Schulter. Ich bin ein sehr optimistischer Mensch – das muss man in diesem Job einfach sein. Außerdem kann ich ohnehin nicht komplett widerstehen, diese Geschichte meinen Freunden zu erzählen. Ich habe allerdings daraus gelernt, wie wichtig es ist, gut vorbereitet zu sein. Ich hatte mein Pfefferspray und meine schusssichere Weste. Ich hatte gelernt, was "Hände hoch!" auf Russisch heißt. Aber ich hatte keinen Plan B, als sie mich beim ersten Versuch, mein Auto zu parken, erwischten. Ich hätte mich auch auf so etwas vorbereiten müssen, stattdessen war ich gezwungen zu improvisieren.

Wenn du vorhaben solltest, es mir nachzumachen, kann ich nur empfehlen: Tu's nicht. Ein Fernsehsender hat mir sogar viel Geld geboten, um ein Team auf das Baikonur-Gelände zu führen. Aber ich bin kein Fremdenführer, und ich habe es nicht des Geldes wegen gemacht. Ich tue das alles für die Fotografie, nicht fürs Geld.

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