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Sex

Junge Menschen erzählen, wie ihre Familien ihre Ehe arrangieren wollen

Wenn ein Heimaturlaub zu einem langgezogenen Blind Date wird.
Screenshot: YouTube, Illustrationen: Noel Ransome

Wenn man zwei Dinge nicht kombinieren sollte, dann sind das die eigenen Eltern und Tinder. Bei arrangierten Ehen kommt jedoch quasi genau das zusammen: Deine Eltern schlagen dir vor, mit wem du etwas anfangen solltest.

Um das klarzustellen: Arrangierte Ehen sind nicht immer Zwangsehen. Und um noch mal den Tinder-Vergleich zu bemühen: Bei arrangierten Ehen ist es so, als ob die Eltern deine Hand führen, wenn du nach links oder rechts wischen willst – und manche packen dabei etwas fester zu als andere. Bei einer Zwangsheirat ist es hingegen so, als ob sie dir dein Handy aus der Hand reißen, direkt für dich swipen und nur einmal nach rechts wischen. Zum Glück sind erzwungene Ehen in vielen Ländern dieser Welt verboten, unter anderem auch in Deutschland. Dennoch schätzt das Bundesfamilienministerium, dass hier jedes Jahr um die 3.000 Mädchen zwangsverheiratet werden sollen. Und die Dunkelziffer liegt wohl noch viel höher.

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Genaue Statistiken zu arrangierten Ehen gibt es in Kanada nicht, aber wenn man sich dort an genügend Universitäten umsieht, dann findet man schnell einige Studenten, deren Eltern versuchen, sie zu verheiraten. Wir haben uns mit vier solchen Studenten unterhalten, um herauszufinden, wie sie damit umgehen.


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"Meinem Vater geht es eigentlich nur darum, dass er mit meiner zukünftigen Frau und seinen zukünftigen Enkeln in seiner Muttersprache reden kann. Meine Mutter ist da spezifischer."

Sokalan*, 20

VICE: Wie wollen deine Eltern deine Ehe arrangieren?
Sokalan: Als ich noch klein war, wollten sie von mir wissen, ob ich Mädchen möge, und ich sagte natürlich: "Ieh, nein". Also fragten sie mich, ob sie meine Ehefrau aussuchen dürften, was ich ganz naiv bejahte. Zehn Jahre später wurde das dann zu einem: "Du hast damals zugestimmt, jetzt musst du das auch durchziehen." Deshalb wollen meine Eltern jetzt, dass ich im kommenden Sommer in meine Heimat Sri Lanka reise und dort einige Frauen kennenlerne.

Hast du dich jemals dagegen gewehrt?
Da gab es verschiedene Phasen. Als Kind war mir das alles egal, als rebellischer Teenager war ich entschieden dagegen und inzwischen habe ich das Ganze so oft gehört, dass ich nur noch "Mal sehen…" sage. So beende ich jede Konversation über meine zukünftige Ehe nämlich am schnellsten.

Und was willst du eigentlich sagen?
Niemals!

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Warum ist deinen Eltern die arrangierte Ehe so wichtig?
Meinem Vater geht es eigentlich nur darum, dass er mit meiner zukünftigen Frau und seinen zukünftigen Enkeln in seiner Muttersprache reden kann. Meine Mutter ist da schon spezifischer: Sie will, dass meine Ehefrau Tamil spricht, aus Sri Lanka kommt und dem hinduistischen Glauben angehört. Die Kaste ist ihr auch sehr wichtig. Ich weiß jedoch nicht mal, welcher Kaste ich selbst angehöre.

Denkst du auch über die Frauen nach, denen du als Ehemann vorgeschlagen wirst?
Manchmal sagt mein Vater, dass diese Frauen arm seien und einen Bürgerkrieg durchgemacht hätten. Deswegen wäre es doch nicht zu viel von mir verlangt, eine von ihnen zu heiraten und nach Kanada zu holen. Meine Freundinnen aus Sri Lanka erzählen mir jedoch immer, wie die Frauen dort von klein auf nur darauf getrimmt werden, sich unterzuordnen und als Ehefrau zu dienen.

Was machst du, wenn du nächstes Jahr wirklich nach Sri Lanka fliegen musst?
Ich habe schon scherzhaft gesagt, dass ich mir einfach beide Beine brechen werde. Ich habe bei meinen Eltern auch schon oft das Studium als Argument gebracht, so nach dem Motto: "Ich denke erst über eine Hochzeit nach, wenn ich mit dem Studieren fertig bin."

Gibt es eine Möglichkeit, ganz aus der Sache rauszukommen?
Ich glaube, wenn ich selbst eine Frau nach Hause bringe, die ungefähr den Erwartungen meiner Eltern entspricht, dann geht das schon irgendwie.

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Wie denken deine Freunde über das Thema?
Vor fünf Jahren machten sie noch Witze darüber, aber jetzt sagen sie: "Scheiße, nächsten Sommer triffst du vielleicht deine zukünftige Frau." Das Ganze ist sehr schnell sehr real geworden.

Wie läuft es bei dir in Sachen Dating?
Da halte ich mich sehr bedeckt. Meine letzte Freundin hat unsere Beziehung auch beendet, weil sie sich quasi in der gleichen Situation befand. Ihre Eltern hatten nämlich schon entschieden, wer ihr Ehemann werden sollte. Deswegen wollte sie es ihren Eltern nicht "antun", einen anderen Typen zu daten. Irgendwie kann ich das auch verstehen. Ich weiß ja, wie meine Eltern all ihre Hoffnungen in mich legen. Und auf der anderen Seite der Welt wartet eine Frau wegen der kulturellen Umstände darauf, von mir geheiratet zu werden.

Schon verrückt, dass du dich deswegen schuldig fühlst.
Ja. Am Ende zieht so oder so irgendjemand den Kürzeren.

"Weil ich wusste, wie freudig meine Familie auf das Angebot reagiert hatte, und selbst nur Gutes über die Familie meines jetzigen Ehemanns dachte, stimmte ich zu."

Sarah, 21

VICE: Du befindest dich in einer arrangierten Ehe. Wie kam es dazu?
Sarah: Ein paar Wochen nach meinem 18. Geburtstag erhielten meine Eltern ein Heiratsangebot von einem Freund der Familie. Sie dachten lange darüber nach und holten sich auch Rat bei Verwandten. Als sie die Sache schließlich für gut befanden, sprachen sie auch mit mir darüber. Weil ich wusste, wie freudig meine Familie auf das Angebot reagiert hatte, und selbst nur Gutes über die Familie meines jetzigen Ehemanns dachte, stimmte ich zu.

Hast du schon immer damit gerechnet, in einer arrangierten Ehe zu landen?
Meine Eltern führen selbst eine arrangierte Ehe. Früher fand ich dieses Konzept jedoch komisch, weil ich durch mein kulturelles Umfeld hier in Kanada ja vor allem von Hochzeiten der Liebe wegen hörte. Weil ich aber jeden Tag sehen konnte, wie glücklich meine Eltern sind, wurde ich langsam mit der Vorstellung warm. Ganz ehrlich, meine Familie war der Hauptgrund, warum ich überhaupt mitmachte. Ich wusste ja auch, dass meine Eltern mir niemals so etwas vorgeschlagen hätten, wenn der Mann mich ihrer Meinung nach nicht richtig behandeln würde.

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Wie haben deine Freunde auf die arrangierte Hochzeit reagiert?
Viele Leute außerhalb meiner Familie freuten sich für mich und wünschten mir alles Gute. Das hat mich richtig überrascht! Ich hatte immer befürchtet, dass man mich wegen meiner Entscheidung entweder als Dummkopf oder als Opfer sehen würde, aber so war es überhaupt nicht. Ich glaube, dass viele Leute immer noch fälschlicherweise annehmen, dass arrangierte Ehen wegen herrischer Eltern stattfinden und Frauen unterdrücken. In Wahrheit sind solche Hochzeiten jedoch meistens das Ergebnis, wenn sich zwei Familien viel Zeit dafür nehmen, sich gegenseitig kennenzulernen, und dem Pärchen die Möglichkeit geben, eine eigene Entscheidung zu treffen.

"Ich habe dann sogar dem Vater des Mädchens ins Gesicht geschrien, dass ich schwul sei, um aus der Sache rauszukommen."

Doruk*, 19

VICE: Wie sieht es bei dir in Sachen arrangierter Ehe aus?
Doruk: Meine Eltern haben schon mal versucht, da etwas in die Wege zu leiten. Sie wissen, dass ich eigentlich keine Lust auf eine arrangierte Hochzeit habe, aber als wir in der Türkei waren, brachten sie mich dennoch zu Freunden von ihnen. Irgendwann während des Besuchs wurde mir wegen bestimmter Fragen klar, was eigentlich abging. Dann kam es zum Streit.

Streit?
Normalerweise bin ich ein ruhiger Mensch, aber in diesem Moment war ich richtig wütend, weil mich meine Eltern so hintergangen hatten. Ich habe dann sogar dem Vater des Mädchens ins Gesicht geschrien, dass ich schwul sei, um aus der Sache rauszukommen. Irgendwann klatschte mir mein Vater eine und seitdem haben meine Eltern mich damit auch in Ruhe gelassen.

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Aber sie erwarten, dass du in einem bestimmten Alter heiratest?
Sie wollen, dass ich jetzt heirate. Ich werde ja demnächst 20.

Würdest du dich jemals auf eine arrangierte Ehe einlassen?
Wahrscheinlich nicht. Früher dachte ich immer, dass ich eine arrangierte Hochzeit wollen würde. Ich ging aber auch auf religiöse Schulen und hatte mich ganz dem Glauben verschrieben. Nach meiner Schulzeit fing ich an, mich mehr an der westlichen Norm zu orientieren.

Hältst du trotz deiner Eltern nach anderen Frauen Ausschau?
Das Problem hier ist Folgendes: Wenn ich eine ernsthafte Beziehung hätte, dann könnte ich das nicht vor meinen Eltern geheim halten. Und das würde richtig Ärger mit sich bringen. Derzeit gibt es da aber zum Glück niemanden.

"Viele meiner Freunde dachten, dass die Ehen in Indien immer erzwungen sind und es sowas wie Hochzeiten der Liebe wegen dort gar nicht gibt."

Aditya, 20

VICE: Steht dir eine arrangierte Ehe bevor?
Aditya: Der Großteil meiner Familie befindet sich in arrangierten Ehen. Wenn alle Faktoren passen oder ich irgendwann mal eine Mid-Life-Crisis durchmache, aus der ich mich nicht anders befreien kann, dann würde auch ich da definitiv nicht nein sagen. Meine Eltern sind diesbezüglich jedoch sehr liberal. Sie haben mir die arrangierte Ehe nur als eine Art Notfallplan angeboten.

Was würden deine Freunde denken, wenn du so etwas wirklich durchziehen würdest?
Einige wären wohl ein wenig geschockt und würden sagen: "Oha, wir sind doch nicht im Mittelalter." Aber sie würden sich auch für mich freuen. Andere sind hingegen komplett gegen dieses Konzept.

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Wie würde deine arrangierte Hochzeit im Idealfall ablaufen?
Meine Eltern würden mir als erstes mehrere junge Frauen vorstellen und ich würde dann aufgrund der Fotos und der Beschreibungen entscheiden, welche ich tatsächlich kennenlernen wollen würde. Danach käme es zu Treffen mit der ganzen Familie. Bei einem privaten Gespräch würden meine potenzielle Ehefrau und ich dann entscheiden, ob wir das Ganze wirklich durchziehen wollen. Bei Problemen oder Meinungsverschiedenheiten könnten wir die Sache aber auch jederzeit abbrechen.

Es wäre also nichts erzwungen?
In meiner Familie gibt es sowas nicht, aber bei Bekannten habe ich so etwas wie Zwangsehen schon mitbekommen. Das passiert heute aber nur noch in den sehr konservativen Teilen der indischen Kultur.

Für dich ist die arrangierte Ehe eher eine Art Annehmlichkeit?
Im Grunde schon. Es kommt einfach darauf an, wie man erzogen wird. Ich habe die eine Hälfte meines Lebens in Indien und die andere in Nordamerika verbracht. Die Kinder in Indien sind viel behüteter, sie müssen sich abgesehen von der Schule um nichts kümmern. Sie wachsen mit der Vorstellung auf, dass die Familie auf sie aufpasst und alles organisiert – selbst die Hochzeit. Viele meiner Freunde dachten, dass die Ehen in Indien immer erzwungen sind und es sowas wie Hochzeiten der Liebe wegen dort gar nicht gibt. Diese Fehlvorstellung ist sehr weit verbreitet.

Wann werden deine Eltern anfangen, doch etwas vehementer auf eine Hochzeit zu drängen?
Wenn ich Ende 20 bin, werden sie das Konzept der arrangierten Ehe wohl etwas öfter erwähnen. Sie werden mir aber nie die Pistole auf die Brust setzen. Die Kultur der westlichen Welt beeinflusst die indische Kultur inzwischen so stark, dass sich auch dort die Ansichten der Leute ändern. Meine jüngeren Cousins und Cousinen haben ihre Ehefrauen und -männer zum Beispiel alle selbst gefunden.

*Name geändert

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