Wir waren bei einer Wiener Radfahrer-Demo gegen die Prohibition von LSD
Foto von der "Psychedelic Society Vienna", Collage von VICE Media

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PROHIBITION

Wir waren bei einer Wiener Radfahrer-Demo gegen die Prohibition von LSD

"Der Unterschied zu den Kiffern ist, dass wir halt was weiterkriegen. Wir haben nicht nur geile Ideen – sie sind quasi schon umgesetzt, bevor wir überhaupt daran denken."

Am 16. April 1943 musste der Schweizer Chemiker Albert Hofmann seine Arbeit im Labor unterbrechen, weil er kurz zuvor versehentlich LSD zu sich genommen hatte. Versehentlich deshalb, weil er die Droge zuvor auch erfunden beziehungsweise entdeckt hatte – genau genommen bereits 1938, bei der Forschung zu Medikamenten gegen Geburtswehen – und sie zu dem Zeitpunkt sein Labor noch nicht verlassen hatte.

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Ganz der Wissenschaftler und Entdecker, studierte er die Effekte dieser hochwirksamen Substanz tapfer im Selbstversuch, verabreichte er sich am nächsten Tag eine mit 250 Mikrogramm extrem starke Dosis LSD und setzte sich auf sein Fahrrad. Es wurde ein Trip der etwas anderen Art, der für seinen Pioniergeist und seine Intensität bis heute berühmt ist. Hier ein kurzer Auszug aus seinem Trip-Tagebuch, nur falls ihr selbst noch auf der Suche nach Entscheidungshilfen seid:

16:20 Uhr: Einnahme der Substanz
17:00 Uhr: Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz.
18:00 bis ca. 20:00 Uhr: Schwerste Krise.

Hofmann beschreibt weiter, dass die vertrautesten Gegenstände "groteske, meist bedrohliche Formen" annahmen und sich seine Nachbarin plötzlich in "eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze" verwandelte. Was er mit seinem beiläufigen "Etc. etc." im Protokoll meint, wollten wir zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon gar nicht mehr wissen.

Für den Wissenschaftler war es aber nicht nur ein beängstigender Trip mit Überdosis, sondern auch der Ausgangspunkt für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Potential dieser bewusstseinsverändernden Substanz für die Psychiatrie. Und es war der Anfang einer jahrzehntelangen Debatte über die Gefahren und Potenziale von LSD, zwischen therapeutischer Verwendung und unvorsichtig eingesetzter Straßendroge.

In Wien wurde vor kurzem das Jubiläum dieser folgenschweren Trips zelebriert und im gleichen Zug die Prohibition von psychedelischen Substanzen in Frage gestellt. Dafür rief die “Psychedelic Society Vienna“, einer globalen Grass-Roots-Bewegung für mehr Psychedelika-Awareness, zu einer Radfahr-Aktion entlang des Wiener Rings auf. Wir waren für euch dabei.

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Foto vom Autor

Der Demonstrationszug des "Bicycle Days" ist auf Anhieb nicht so einfach zu finden. Wahrscheinlich hatte ich bei der Suche den "Hanfwandertag" im Kopf und dabei außer Acht gelassen, dass Cannabis wohl eine Spur populärer ist als das gute alte Acid. Dann sehe ich vor dem Burggarten ein paar rosarote Feenflügel aus einer Gruppe von Radlern hervorstechen. Wie sich herausstellt, bin ich hier richtig. Hie und da haben einige Leute etwas Glitzer im Gesicht. Insgesamt wirken sie alle wie ziemlich normale Menschen.

Erst, als wir den Ring entlang fahren, fällt mir auf, wie nett und fürsorglich und offen alle miteinander umgehen und mir wird klar: Diese Leute sind komplett im Eck. So freundlich kann ein Mensch in Wien nüchtern gar nicht sein. Als ich mit den ersten zu reden beginne, wird klar, dass die meisten überraschenderweise gar nicht drauf sind – oder zumindest nicht in dem Ausmaß, wie ich ursprünglich dachte.

"Heute hab ich mir nur eine Mikrodosis eingebaut. Ich hatte irgendwie Bock, nüchtern dabei zu sein."

"Heute hab ich mir nur eine Mikrodosis eingebaut“, erzählt mir ein Teilnehmer namens Martin. "Ich hatte irgendwie Bock, nüchtern dabei zu sein.“ Ein anderer erzählt mir, während er mit seinem Raiffeisen-Citybike keuchend den Ring hochspurt, dass es ihn "gar nicht stressen würde", auf LSD durch Wien zu fahren. "Ich würde auch auf 300 Mikrogramm durch Wien fetzen. Stell ich mir schon leiwand vor."

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Keiner der Menschen wirkt wie ein Junkie mit Sozialphobie, der seinen Konsum nicht unter Kontrolle hat. Aber viele erzählen, dass sie "halt hie und da gern einen Trip" nehmen – viele gerade wegen der positiven Effekte, die sie den psychoaktiven Substanzen für ihr Alltags- und Sozialleben zuschreiben.


Auch auf VICE: Im Gespräch mit LSD-Guru Michael Randall


So schwört ein Sozialpädagoge, mit dem ich vor Ort spreche, auf den konstruktiven Effekt, den Microdosing auf die Beziehungen zwischen ihm und seinen Klienten habe. “Ich bin da einfach viel offener und kann besser in die Tiefe gehen“, meint er. Als er erzählt, dass er ausgerechnet mit suchtkranken Klienten arbeitet, finde ich das im ersten Moment etwas ironisch. Auf meine sarkastische Nachfrage meint er, dass man halt zwischen pathologischem und “medikamentösem“ Konsum differenzieren müsste.

Etwas verplant setzen wir die Route bis zum Schwedenplatz fort. Dort kommt uns plötzlich die "Demozug-Führung" abhanden, aber das scheint außer mir niemand zu bemerken. Oder aber, es verursacht einfach nur keinen Stress, weil ohnehin jeder in Gespräche versunken ist.

Kurz darauf sehe ich die Frau mit den Feenflügeln wieder. Sie erzählt, dass sie Lili heißt und eine der Organisatorinnen des Ganzen ist. Auf ihre Initiative hin düsen wir mit Vollgas und zu Psy-Chillout-Musik ins Lieblingslokal der Psychedelic Society.

Neben Drogen-AktivistInnen treffe ich hier auch einen Therapeuten, der für Psychedelika-basierte Untergrund-Praktiken wirbt.

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Dort trifft die sportliche Fahrradgruppe mit den etwas entspannteren Beisl-Besuchern zusammen und man tauscht sich bei Joint – selbstverständlich gefüllt mit reinem CBD-Gras – und Kuchen über die jüngsten psychedelischen Ausflüge mit und ohne Rad aus. Neben Drogen-AktivistInnen und neugierigen Passanten treffe ich hier auch den ein oder anderen Therapeuten, der für Psychedelika-basierte Untergrund-Praktiken wirbt.

Das passiert jedoch erst über einen langen Umweg. Mich streng beäugend lenkt einer davon das Thema langsam auf den therapeutischen Wert von bewusstseinsveränderten Zuständen. Er sieht in psychedelischen Drogen wie LSD und Psilocybin ein größeres medizinisches Potential als in Cannabis und erklärt lässig: “Der Unterschied zu den Kiffern ist, dass wir halt was weiterkriegen. Wir haben nicht nur geile Ideen – sie sind quasi schon umgesetzt, bevor wir überhaupt daran denken. Bei den Kiffern passiert gar nichts.“

Er selbst habe mehrere therapeutisch-psychologische Ausbildungen absolviert, würde aber öffentlich als Energetiker auftreten, um Probleme zu vermeiden. Ich frage mit ein bisschen zu offensichtlicher Neugier, wie er diese bewusstseinsveränderten Zustände einleiten würde und ob er sich dabei selbst auch in diese andersartigen geistigen Gefilde begebe. Er wirkt plötzlich nervös, sieht um sich und unternimmt ein rhetorisches Ausweichmanöver. Mit eindringlichem Blick bittet er mich, zuerst mal zu einer seiner “herkömmlichen Gruppentherapien” zu kommen, um sich davon zu überzeugen, ob ich ein geeigneter Kandidat bin.

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Obwohl die konstruktive Wirkung von Psychedelika für die psychische Gesundheit in diesem Umfeld auf theoretischer und akademischer Ebene laufend Thema ist, ist man auch hier vorsichtig mit konkreten Angeboten zu Trips unter professioneller Leitung. Substanzbasierte, sogenannte psycholytische Psychotherapie fand in den 80er-Jahren ein jähes Ende und steht heute unter hohen Strafen.

Dass sich immer wieder Therapeuten finden, die trotzdem psycholytische Sessions anbieten, zeugt einerseits von viel Mut aus Überzeugung zu dieser Methode und andererseits von gefährlichem Leichtsinn. Mit dem Verbot einher geht auch eine fehlende Kontrolle, Ausbildung und Supervision. Besonders in der Esoterik-Szene trägt diese Art von Prohibition gefährliche Früchte.

Zu späterer Stunde wird ein Vortrag mit dem Titel “How to ride a bicycle“ gehalten, bei dem es sich um eine Anleitung für einen gemütlichen Fahrradausflug ohne ÖAMTC-Stop handeln soll. Die Vergleiche werden von hier an nicht subtiler. Ein junger Mann springt auf die Bühne und fragt in die Runde: “Wer hier ist denn schon mal Fahrrad gefahren?“ Abgesehen von vier Personen heben alle die Hand.

Mit verschmitztem Lächeln erzählt uns der “Verkehrsbeauftragte“, wie wichtig es sei, bei seinem ersten Fahrradausflug ein paar erfahrene Radler mit kräftigen Wadeln mitzunehmen. “Die könnten euch dann am Gepäckträger mitnehmen, falls euch die Puste mal ausgeht.“

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Auf der anderen Seite wüssten erfahrene Biker auch, dass man nicht gleich “kräftiger in die Pedale treten" sollte, wenn man in der ersten Stunde nicht vom Fleck kommt und immer noch am Anfang des Donauradweges chillt, während sich die anderen schon in Bratislava die Kante geben, erklärt er weiter.

Nachdem der “Freund des gepflegten Radsports“ seinen Vortrag beendet hat, betritt der “Bewusstseinszauberer“ des heutigen Abends den Raum: ein diffus dreinblickender Mann mit langen Dreadlocks vom Typus Goa-DJ, der allerdings eine andere Mission zu haben scheint als Platten zu scratchen. Er stellt einen Aroma-Luftbefeuchter in die Mitte des Raums und transportiert damit mehrere gefühlte Kubikmeter Dampf mit ätherischen Ölen in die Atmosphäre.

Die Menschen um mich herum wirken so, als würden sie durch diese geballte Stimulation aller möglichen Sinne in eine Art Trance fallen. Auch meine Wahrnehmung wird immer vernebelter und ich vergesse die Welt da draußen völlig. Und das, obwohl im Luftbefeuchter kein LSD war – glaube ich.

Die “Psychedelic Society Vienna“ sieht sich in Sachen Drogen als Vermittler zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Ihre Motivation beschreiben sie so: “Wir wollen einen offenen Diskurs zu nicht-alltäglichen Zuständen des Bewusstseins führen und auf das Heilungspotential aufmerksam machen, das mit diesen verbunden ist.“

Neben Radfahrausflügen organisieren sie auch Integrationsworkshops, in denen man mit Gleichgesinnten über schlechte Erfahrungen und Horrortrips reden kann. “Psychotherapeuten und Psychologen schicken einen ja gleich wieder nach Hause, wenn man sich weigert seinen Drogenkonsum einzustellen. Das ist meistens die Voraussetzung für eine Behandlung“, meint ein Mitglied der Gruppe.

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Auch bei diesem Event treffe ich einige Menschen, die mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten, und es teilweise immer noch tun. Einige haben für sich selbst beschlossen, sich auf psychedelische Substanzen anstelle von anerkannten Therapien zu verlassen. Antidepressiva lehnen die meisten ab: „Das tötet einfach nur die Symptome ab und du musst dich nicht mehr damit auseinandersetzen, woher die Depression kommt“, erzählt mir Maria, die aus eigener Erfahrung spricht.

Fälle wie dieser zeigen sowohl die Möglichkeiten, als auch die Probleme im Umgang mit psychedelischen Substanzen auf. Natürlich ist Selbstmedikamentierung ohne jede Supervision keineswegs ratsam; bei Schwierigkeiten mit der Therapiemethode oder der Medikamentierung empfiehlt es sich immer, zuerst das Gespräch mit dem Therapierenden zu suchen und notfalls einen Wechsel des Therapierenden in Betracht zu ziehen, bevor man zur psychedelischen Selbstbehandlung greift.

Ach ja: Und bitte fahrt nicht im wortwörtlichen Sinne Rad, wenn ihr gerade auf 300 Mikrogramm LSD seid. Im Sinne aller Beteiligten.

Auch Radfahren auf LSD macht einen mit ziemlicher Sicherheit nicht zu einem gesünderen Menschen – ganz zu schweigen von der Einnahme einer psychedelischen Substanz ohne professionelle therapeutische Begleitung. Vielmehr bieten bewusstseinsveränderte Zustände eine Chance für Therapeuten mit entsprechender Erfahrung, um so einen einfacheren Zugang zu unterbewussten Blockaden und Traumata zu bekommen. Das positive Ergebnis einer psycholytischen Session hängt dabei weniger mit der Droge selbst zusammen, als mit dem Set, dem Setting und der Erfahrung des Therapeuten.

Vor allem der nichttherapeutische Konsum sollte genauso kritisch hinterfragt werden wie die völlige Prohibition der Substanzen. So lange es die Möglichkeit einer psycholytischen Therapie auf legalem Wege aber nicht gibt, und Menschen aus unterschiedlichsten Gründen weiterhin LSD auf dem Schwarzmarkt kaufen, ist ein Setting wie es die Psychedelic Society Menschen in Lokalen und bei Events anbietet, auf jeden Fall besser als völlig unkontrollierter Konsum ohne Begleitung erfahrener “Radfahrer”.

Falls ihr demnächst also einen "Radausflug" plant, denkt daran, nicht übereifrig und ohne Vorbereitung "loszuradeln". Informiert euch vorher über die richtige Route, stellt sicher, dass es dort auch befestigte “Radwege” gibt – und überlegt euch, ob das Rad wirklich das beste Verkehrsmittel für eure Reise ist (was zu einem Großteil mit dem Ziel und der Entfernung zu tun hat). Ach ja: Und bitte fahrt nicht im wortwörtlichen Sinne Rad, wenn ihr gerade auf 300 Mikrogramm LSD seid. Im Sinne aller Beteiligten.

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