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was zur hölle

So verantwortungslos berichten österreichische Medien über Suizid

Die Frage ist nicht nur, ob man über Suizid berichten soll, sondern auch wie. Eine Frage, die sich Medien wie 'Österreich' im Fall von Avicii offenbar nicht gestellt haben.
Titelblatt der 'Österreich'-Ausgabe vom 2.Mai

Notrufnummern für Suizidgefährdete bieten Hilfe für Personen, die an Selbstmord denken – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen. Die Nummer der Telefonseelsorge in Österreich ist: 142. Hier gibt es auch einen Chat. Trauernde Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, finden bei Organisationen wie SUPRA Hilfe.


Am 20. April wurde bekannt, dass der weltberühmte DJ Avicii tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden wurde. Vorerst erfuhr man keine Details, abgesehen davon, dass die Todesursache zwar geklärt sei, jedoch nicht an die Öffentlichkeit kommuniziert werde. Die Familie bat um Privatsphäre, die ihr – wie nicht selten in solchen Fällen – jedoch seither konsequent verwehrt wurde.

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Mutmaßungen um Aviciis körperlichen wie seinen seelischen Zustand wurden so lange auf Titelblätter gedruckt, bis die Familie schließlich ein Statement veröffentlichte, das laut zahlreichen Medienberichten einen Suizid andeutete, aber nicht explizit erwähnte oder bestätigte: Ein Statement, auf das sich alle stürzten wie die Aasgeier und das von allen Seiten interpretiert wurde, wie es eben gerade passte.

Am Dienstag, dem 1. Mai, goss nun auch noch das US-Promi-Portal TMZ Öl ins Feuer und berichtete, dass Avicii tatsächlich Suizid begangen haben soll. Auch wie sich der 28-Jährige genau getötet haben soll, wird in dem Artikel ausgeführt.

Was danach geschah, liegt höchstwahrscheinlich ganz banal daran, dass Avicii einfach gerade gut klickt. Auch viele heimische Medien haben die Schilderungen von TMZ seither übernommen – darunter die Tageszeitung Österreich und der Online-Ableger oe24.at, heute.at, krone.at und kurier.at. Auch der Rolling Stone und das deutsche Musikmedium musikexpress berichteten und nannten beide die Suizidmethode. Auch andere deutsche Medien berichteten dementsprechend, wie BILDblog recherchierte.

Aber dürfen die Medien das? Und selbst wenn ja, sollen sie? Diese Debatte ist nicht ganz neu. Erst im Februar wurde das Magazin News vom Presserat gerügt, weil es den Suizid eines Elfjährigen im Detail geschildert hatte. Der Pressekodex empfiehlt hier ein klares Vorgehen. Aber auch, wenn die Diskussion seit längerem im Raum steht, wird sie mit jedem Promi-Fall, über die der Boulevard zunehmend ungenierter berichtet, dringender.

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Wie die Medienberichterstattung Suizide beeinflussen kann

Vor vielen Jahren riefen Experten in Hinblick auf Suizide in U-Bahn-Stationen die Medien dazu auf, mit der Berichterstattung diesbezüglich am besten komplett aufzuhören. Die Suizidrate sank daraufhin um ganze 80 Prozent. Auch im österreichischen Pressekodex ist die "große Zurückhaltung", die bei der Berichterstattung über Suizide geboten ist, verankert. Hier heißt es:

"Verantwortungsvoller Journalismus wägt – auch wegen der Gefahr der Nachahmung – ab, ob ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht und verzichtet auf überschießende Berichterstattung."

Nun kann man natürlich argumentieren, dass man Menschen in Zeiten von Social Media nicht mehr hinreichend vor Informationen wie jenen schützen kann, die im konkreten Fall TMZ verbreitet hat; und vielleicht auch, dass Menschen nicht von Medien beschützt werden müssen, sondern selbst über ihren Medienkonsum entscheiden sollten.

Mit dem selben Totschlagargument könnte man verantwortungsvollen Journalismus jedoch gleich komplett abschaffen oder für obsolet erklären, weil Menschen ohnehin irgendwie an jede vorgefilterte – auch falsche – Information kommen, wenn sie nur wollen. Das sollte aber nicht bedeuten, dass wir Fake-News und pietätlosem Boulevard komplett das Feld überlassen.

Bei der Frage, worüber Medien auf welche Art schreiben, geht es nicht nur um den Schutz vor gewissen Meldungen, es geht auch um Kontextualisierung von Information allgemein. Und genauso, wie sich natürlich der TMZ-Beitrag über Likes und Shares in unsere Timelines fortpflanzen kann, verbreiten sich eben auch Artikel, die die Suizid-Berichterstattung kritisch beleuchten, organisch im Netz und erreichen so vielleicht Menschen, die über die Frage, was man darf oder soll, bisher noch nie nachgedacht haben.

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Abgesehen davon ist es natürlich auch fraglich, ob alle Menschen, die morgens am Weg zur Arbeit, auf die Uni oder in die Schule auf der Titelseite von Österreich lesen, wie sich Avicii das Leben genommen hat (die Methode wird gleich in der Schlagzeile genannt), sonst auch auf den TMZ-Artikel stoßen würden. Mit der Ausrede "Aber die anderen machen damit auch Klicks" lässt sich schnell jeder Berufsethos über Bord werfen. Nur weil ein Medium verantwortungslos handelt, darf dies kein Freibrief für den Rest sein.

"Sensationsträchtige Medienberichte über Suizide können weitere Suizide auslösen"

Österreich berichtet nicht nur in der Printausgabe außerordentlich ausführlich über den Suizid von Avicii, sondern auch online, wo die Methode ebenfalls gleich in der Headline genannt wird. Am Ende des Artikels wird noch auf die Telefonseelsorge für Menschen mit Suizidgedanken verwiesen – gut gemeint, aber zu wenig. Von Niki Fellner, dem Chefredakteur von oe24, heißt es auf die Frage, warum sich die Redaktion entschlossen hat, die Details zum Fall zu veröffentlichen, und ob man sich der möglichen Auswirkungen bewusst sei: "Aufgrund des großen öffentlichen Interesses und der weltweiten Berichterstattung über den Suizid von Avicii haben oe24/ÖSTERREICH sowie Dutzende Medien in Österreich und weltweit über diesen Vorfall berichtet. Sowohl in der Tageszeitung als auch im Online-Artikel wurde eine Notrufnummer abgedruckt, an die sich Betroffene wenden können."

Laut dem "Leitfaden zur Berichterstattung über Suizid", der vom Krisenintevenstionszentrum herausgegeben wurde, können "sensationsträchtige Medienberichte über Suizide" weitere Suizide auslösen – ein Phänomen, das in der Populärwissenschaft seit langem als Werther-Effekt bekannt ist. Der Leitfaden empfiehlt auch, von Platzierungen auf der Titelseite abzusehen, genau wie von Detailausführungen zur Suizidhandlung.

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Auf krone.at wird unter der Headline "Tragische Details um den Tod von Avicii" bereits im Teaser-Text berichtet, wie er sich selbst getötet haben soll. Nach dem Hinweis auf Anlaufstellen für suizidgefährdete Personen sucht man in diesem Artikel vergebens.

Im Artikel auf heute.at wird die genaue Methode zwar weder in der Headline, noch im Anreißertext angesprochen, aber im Fließtext umso genauer erläutert. Direkt daneben findet sich ein Info-Kasten mit Hinweis auf die Telefonseelsorge. Der Kurier schreibt online ebenfalls über den TMZ-Bericht und nennt Details zum Suizid. Am Ende des Textes findet sich ein Hinweis auf die Telefonseelsorge. Auffallend ist, dass ein solcher Hinweis lediglich beim Bericht auf krone.at fehlt.

Der hohe Imitationseffekt

Verantwortungsvolle Berichterstattung bedeutet nicht, kategorisch gar nicht über Suizid zu berichten. Sollten beispielsweise Suizide rapide ansteigen, würde das einiges über unsere Gesellschaft aussagen und sollte dringend als Problem identifiziert und angegangen werden. Aber dafür muss noch lange keine einzelne Selbsttötung minuziös nacherzählt werden.

Verantwortungsvolle Berichterstattung bedeutet viel eher, darauf zu achten, wie man berichtet. Auch das Paper des Kriseninterventionszentrums sieht besonders dann einen hohen Imitationseffekt nach Promi-Suiziden, wenn der oder die Verstorbene in der Öffentlichkeit besonders beliebt war. Das zeigt auch die Praxis immer wieder: Nachdem sich der Schauspieler Robin Williams im Jahr 2014 das Leben nahm, kam es unter anderem durch die ausführliche Berichterstattung zu einem zehnprozentigen Anstieg der Suizidrate, wie eine aktuelle Studie ergab.

Eine öffentliche Frage an Richard Schmitt, den Chefredakteur von krone.at, blieben bisher unbeantwortet. Christian Nusser, Chefredakteur von Heute, reagierte und meinte, auch er selbst finde die Veröffentlichung von Details zur Suizidmethode problematisch. Er wies auch darauf hin, dass in der Print-Ausgabe kein Bericht zur Thematik veröffentlicht wurde und der Bericht auf heute.at die Methode nicht prominent in der Schlagzeile nannte; außerdem sei ein deutlicher Hinweis auf Prävention platziert worden. Die Details zur Suizid-Methode stehen auf heute.at währenddessen weiterhin online.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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