'Maischberger', Bushido und das N-Wort: Jeder ist sich selbst der Nächste
Rapper Bushido und Schauspielerin Annabella Mandeng || Foto: WDR | Max Kohr

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Popkultur

'Maischberger', Bushido und das N-Wort: Jeder ist sich selbst der Nächste

In der politischen Talkshow sollte über diskriminierende Sprache, Feminismus und "Political Correctness" diskutiert werden. Das Ergebnis: 75 Minuten wirrer Themengulasch.

"Das wird man ja noch sagen dürfen!" ist einer dieser Sätze, die sehr viel über die Person verraten, die sie sagt. So wie "Ich bin kein Rassist, aber …" oder "Ich kaufe Wein nur im Fachhandel!". Interessant ist, dass die Dinge, die viele "ja noch sagen dürfen" wollen, Dinge sind, die man in Deutschland durchaus auch noch sagen "darf". Zumindest juristisch gesehen. Dann ist man halt nur eben ein rassistisches, sexistisches oder schlichtweg ignorantes Arschloch.

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Insofern hätte die aktuelle Maischberger-Sendung durchaus auch den Titel "Ich werde ja wohl noch ein ignorantes Arschloch sein dürfen!" tragen können. Stattdessen diskutieren die bunt durchgemischten Gäste in der ARD unter der Überschrift "'Man wird ja wohl noch sagen dürfen!' Wie diskriminierend ist Sprache?". Das erklärte Ziel: So viele Reizthemen wie möglich in einer Sendung unterbringen. Sind Begriffe wie "N****-König" in Kinderbüchern noch OK? Was dürfen Satire und Kunst? Machen Political Correctness und gendergerechte Sprache alles kaputt? Und gibt es irgendetwas, was noch nicht zum Echo, Kollegah und Farid Bang (oder "Ferritt Bang", wie Sandra Maischberger es aussprach) gesagt wurde?

Antworten gibt es darauf nach sehr anstrengenden 75 Minuten nicht. Wie auch, jedes Thema hätte seine eigene Sendung verdient gehabt. Dafür fällt so oft das N-Wort, dass es bei führenden AfD-Funktionären etwas eng in der Hose werden dürfte.


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Im Gegensatz zum MDR, der kürzlich mit einer komplett weißen "Expertengruppe" die Nutzung des N-Worts debattieren wollte (und die öffentliche Aufregung so gar nicht verstehen konnte), sitzen mit dem halbtunesischen Gangster-Rapper Bushido und der Schwarzen Schauspielerin Annabella Mandeng zumindest zwei Vertreter deutscher Minderheiten im Studio. Mandeng ist da, um sich gegen schwulen- und frauenfeindliche Sprache im Deutschrap zu positionieren; Bushido ist da, um von allen Seiten angegriffen zu werden, die Kunstfreiheit zu verteidigen, und sich für seine sprachliche Versiertheit in Talkshow-Situationen zu feiern.

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Peter Hahne, Moderator und Autor von Rettet das Zigeuner-Schnitzel!, füllt die Rolle des alten, wütenden, weißen Mannes, der so gar nicht fassen kann, dass nicht jeder gedanklich in den 40ern hängengeblieben ist – und deswegen seine Sprechzeit dazu nutzt, mit diskriminierenden Begriffen um sich zu werfen. Edition F-Chefredakteurin Teresa Brücker ist als verständige Feministin besetzt, die ihrem Kind zwar keine diskriminierenden Gute-Nacht-Geschichten vorlesen würde und gegen das generische Maskulinum ist, sich in Sachen Deutschrap aber nicht ganz so sicher ist, wie viel Einfluss Sprache wirklich auf junge Menschen hat. (Eine Aussage, auf die sich die anderen Gäste stürzen wie Peter Hahne auf ein Balkan-Schnitzel.) Kabarettist Florian Schröder soll offensichtlich den Themenblock Satirefreiheit abdecken, erklärt dann aber vor allem anschaulich, dass es bei dem Echo-Eklat eben nicht nur um einen geschmacklosen Holocaust-Vergleich ging.

"Ich muss mich hier verteidigen wegen einem läppischen Zigeuner-Schnitzel und muss mich als Rassist bezeichnen lassen!"

Eine eher unglückliche Rolle kommt Marlies Krämer zu – und das, obwohl sie inhaltlich absolut im Recht ist. Die Aktivistin und Rentnerin kämpft seit Jahrzehnten für feministische Belange, zuletzt für das Recht, von der Sparkasse endlich als "Kundin" angesprochen zu werden. Bei Maischberger wird sie über Video zugeschaltet und wiederholt immer wieder, wie wichtig es sei, Frauen sprachlich nicht länger auszuschließen. "Mit der sprachlichen Ausgrenzung beginnt die patriarchale Ausbeutung von Frauen", erklärt Krämer und machte damit ein Thema auf, das deutlich zu komplex für die wenigen Minuten war, die der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache offensichtlich zugedacht waren. Von der Sequenz bleibt leider vor allem die abkanzelnde Einschätzung Bushidos im Gedächtnis, dass die Rentnerin wohl Langeweile haben müsse.

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Aktivistin und Feministin Marlies Krämer bei Maischberger in der ARD

Die Aktivistin Marlies Krämer war nicht selbst im Studio – und wurde für einen Themenblock über Video zugeschaltet || Foto: WDR | Max Kohr

Tatsächlich scheint es über die komplette Sendung hinweg unmöglich, zumindest ein Thema etwas ausgiebiger zu diskutieren. Sollten rassistische Begriffe aus Kinderbüchern verschwinden? Na ja. Zumindest sollten sie in Zukunft nicht mehr verwendet werden. Ist es Zeit, das generische Maskulinum zu beerdigen? Nein. Warum? Weil die Männer in der Runde das nicht notwendig finden. Sind Kollegah und Farid Bang Antisemiten? Unklar, der Echo hätte sie aber zumindest nicht auftreten lassen sollen. Kein Argument ist neu, kein Thema scheint den Anwesenden wichtig genug, um es ernsthaft aufzuarbeiten. Bushido, in "Trust Nobody"-Hoodie und Jogginghose, starrt über große Teile der Sendung geistesabwesend ins Nichts. Dem Rest der Runde scheint vor allem daran gelegen, Peter Hahne zu unterbrechen, bevor der sich einmal mehr als das einzig wahre Opfer dieser Diskussionsrunde stilisieren kann.

Kurz interessant wird es, als die Diskussion um Antisemitismus im Rap plötzlich darauf umschwingt, dass auch Bushido immer wieder frauen- und schwulenfeindliche Aussagen treffe. Der hatte zuvor noch nachdrücklich erklärt, dass er den Holocaust-Vergleich von Farid Bang geschmacklos finde – ein Urteil, das möglicherweise milder ausgefallen wäre, wenn Farid und Kollegah den Berliner auf Jung, Brutal, Gutaussehend 3 nicht gedisst hätten. Jetzt werden auch Textzeilen von ihm eingeblendet, in denen Begriffe wie "Nutte", "Ficken" oder "Schwuchtel" fallen. Ist das noch Kunst? Und wenn ja, warum ist diese Art von Sprache im Battlerap OK, in anderen Kontexten aber nicht?

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Das hätte tatsächlich eine spannende Sendung werden können, die nicht nur die Frage nach der Kunstfreiheit, sondern auch die Macht von Worten und den Umgang mit diskriminierenden Bezeichnungen in sich vereint. Doch die Sendezeit ist begrenzt und Peter Hahne möchte lieber wieder über sich sprechen.

"Ich muss mich hier verteidigen wegen einem läppischen Zigeuner-Schnitzel und muss mich als Rassist bezeichnen lassen!", ruft der Moderator empört, und wünscht sich eine allgemeine Verurteilung des Gangster-Rappers. Florian Schröder, der schließlich noch für die Freiheit eintreten darf, die AfD-Vorsitzende Alice Weidel im satirischen Kontext auch weiterhin als "Nazischlampe" bezeichnen zu dürfen, reicht es. "Sie machen sich zu genau dem Opfer, das Sie vorher kritisiert haben", sagt er zu Hahne, als der sich auch noch vom Bild eines gekreuzigten Osterhasen verletzt zeigt. Und bringt damit die Befindlichkeiten der PC-Gegner ziemlich gut auf den Punkt.

Am Schluss bleibt nach verworrenen Diskussionen und der Frage, ob Sandra Maischberger das N-Wort wirklich immer wieder aussprechen muss, trotzdem nur eine Erkenntnis: Weh tut es immer nur, wenn man selbst gemeint ist, die anderen sollen sich mal nicht so anstellen. Oder, wie Sandra Maischberger es zusammenfasst: "Jeder zieht seine Grenze, wo er will." Das klingt vielleicht nach einem versöhnlichen Ende, das jeder für sich abnicken kann, bedeutet aber gleichzeitig absolut gar nichts.

Wenn jeder seine Schmerzgrenze selbst setzt und auch nur die eigenen Grenzen als legitim ansieht – gibt es dann überhaupt noch Grenzen? Dinge, die man nicht sagt, weil sie verletzen und herabwürdigen, die Menschenwürde mit Füßen treten, weil wir uns darauf geeinigt haben, dass so etwas in unserer Gesellschaft keinen Platz hat? Nein. Dann sind wir einfach ignorante Arschlöcher, die es als Zumutung begreifen, sich auch nur für einen Moment in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Frei von allen Befindlichkeiten, aber eben auch von aller Empathie. Und das wird man ja wohl noch in Frage stellen dürfen.

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