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Wahlen 2015

Die Schweiz rutscht nach rechts: Die wichtigsten Erkenntnisse zu den Wahlen 2015

Die Rechten holen voraussichtlich die absolute Mehrheit, die Grünen verlieren massiv.
Foto: VICE CEE

Die Schweiz hat gewählt. Bis Sonntag um 12:00 Uhr liess gut jeder Zweite der Wahlberechtigten Schweizer den Staat wissen, wie er sich den National- und den Ständerat wünscht. Schon nach den ersten nationalen Hochrechnungen stand fest: Die Rechte legt deutlich zu. So kommen im Endresultat die SVP (+11 Sitze / +2.8 Prozent) und die FDP (+3 Sitze / +1.3 Prozent) auf insgesamt 98 der 200 Nationalratssitze. Zusammen mit den kleinen Rechtsparteien MCG (1 Sitz) und Lega (2 Sitze) kommt die Rechte damit auf eine absolute Mehrheit von 101 Sitze. Neben diesem, sich schon länger andeutenden Rechtsrutsch gibt es noch andere wichtige Erkenntnisse:

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So setzt sich der neue — SRF News (@srfnews)18. Oktober 2015

Die Rich Kids der Politik zeigen, dass mit Geld alles geht

Noch nie haben die Schweizer Parteien so viel Scheine für ihren Wahlkampf verbraten wie in diesem Jahr. Ganze 18 Millionen Franken waren es allein zwischen April und September—zwei Drittel davon allein im ersten Herbstmonat. Das sind mehr als 3.40 Franken pro Einwohner, der wählen gehen darf. Den ersten Platz im Ranking der politischen Rich Kids holt sich die SVP mit über 7.1 Millionen dicht gefolgt von der FDP mit 6 Millionen stabilen Schweizer Franken. Mit so viel Geld lässt sich natürlich einiges anstellen.

Dementsprechend pompös fiel der Wahlkampf aus, der neben dem heraufbeschworenen „Asylchaos" vor allem aus Show, Show und Show bestand. Die FDP lud zu ihrem wohl an den US-Wahlkampf angelehnten Parteitag, die SVP produzierte ihren eher peinlichen Wahlsong und kaufte mal eben die Titelseite einer der meistgelesenen Tageszeitungen der Schweiz, um diesen zu bewerben.

Dementsprechend viel Medienpräsenz hatten die beiden Parteien auch. Mehr als jeder zweite politische Medienbericht in diesem Jahr behandelte die SVP oder die FDP. Dadurch erhaschten sich die beiden mittlerweile eher rechten als rechtsbürgerlichen Parteien die volle Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit

Screenshot von Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft

Bemerkenswert ist aber, dass trotz der Millionen, die die SVP und die FDP in ihr Politmarketing butterten, sie nur jeweils etwas mehr als 1 respektive 2 Prozent Stimmenzuwachs verzeichnen können.

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Das neue Parteiensystem: SVP, SVP-Anbiederer und alle, die nichts mit der SVP zu tun haben wollen

Die SVP hat in diesem Sommer gesagt, wo's im Wahlkampf lang geht: Nichts führte am Flüchtlingsthema vorbei. Die Sonnenpartei rief beim offiziellen Wahlauftakt im Juli gleich mal zum lokalen Widerstand gegen Asylzentren auf, machte anschliessend lautstark Stimmung gegen eritreische Flüchtlinge und wollte zum krönenden Abschluss sogar die Armee an die Schweizer Grenze schicken—das hat zwar nicht geklappt, das Referendum gegen das revidierte Asylgesetz ist aber schon in Planung.

Dementsprechend wurde die SVP zur Referenzkategorie aller anderen Parteien im Wahlkampf: Die FDP rief „wir sind auch ein bisschen SVP", die linken Parteien entweder „wir sind gegen die SVP" oder sie schwiegen grundsätzlich, um der SVP nicht noch mehr Öffentlichkeit zu verschaffen. Trotzdem hat sich diesen Sommer gezeigt, wie die SVP ihre Konkurrenz gekonnt vor sich hertreibt.

Natürlich hat die SVP dabei auch Glück gehabt, dass gerade dieses Jahr das Asylthema in ganz Europa hochgekocht wurde und sie von jeher schon dieses Thema für sich erobert haben—von den Wählern wird die SVP als kompetenteste Partei in Migrations- und Asylfragen angesehen. Und doch haben es die Linken verpasst, jene Menschen abzuholen, die den positiven Umschwung der öffentlichen Meinung beim Flüchtlingsthema mitgetragen haben.

Dadurch, dass die SVP zur Referenzkategorie für die anderen Parteien wird, polarisieren sich diese weiter. Das zeichnet sich auch am Wahlergebnis ab: Die Rechte gewinnt klar und die Linke verliert etwas—wichtig ist diesbezüglich aber vor allem: Die neue bürgerliche Mitte aus BDP und GLP bricht auf Kosten der Polparteien ein.

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Grün ist out

Wirkliche Verlier gab es bei den diesjährigen Wahlen—bis auf die Grünen und die Grünliberalen—nicht. Die Rechte wurde stärker, die SP und die bürgerliche Mitte blieben stabil. Die Grünen aber verloren nach 2011 (-5 Stitze) wiederum 4 Sitze im Nationalrat, die Grünliberalen sogar 5 Sitze.

Schon im Sommer hat sich eine solche Änderung angedeutet. Neben den Flüchtlingsströmen, die von SVP und FDP erfolgreich zum Wahlkampfthema Nummer eins erhoben wurden, hätte sich angeboten, den Rekord-Hitzesommer auszuschlachten—an sich ein klassisch grünes Thema. Trotzdem gelang es den beiden Parteien nicht, dieses Thema als Wahlkampfthema zu etablieren. Ob's daran liegt, dass sie es gar nicht erst versucht haben oder einfach daran, dass sie von den Rechten mit dem Geschrei vom „Asylchaos" schlicht übertönt wurden—wir können das nicht abschliessend beantworten.

Mitverantwortlich für die Verluste der Umweltparteien, ist sicherlich auch, dass mittlerweile jede Partei den Umweltschutz—zumindest oberflächlich—in ihr Parteiprogramm reingeschrieben hat. Es braucht schlicht keine monothematische Grün-Partei mehr, wenn der Umweltschutz in der Politik bereits breit abgestützt ist.

Der Aargau ist die Speerspitze des Rechtsrutsches

Der Aargau ist bekannt als Wiege des rechtskonservativen Denkens. Der jetzige SVP-Nationalrat Andreas Glarner erlangte etwa von dort aus internationale Bekanntheit, indem er als Gemeindepräsident seinen Wohnort von Flüchtlingen „freigekauft" hat—und deshalb von deutschen Journalisten als rechtsextrem eingestuft wurde. Nun hat die SVP also 7 Sitze bekommen—mehr als doppelt so viel wie die zweitplatzierte FDP (3 Sitze) und die drittplatzierte SP (2 Sitze). In keinem anderen Kanton ist die SVP so stark vertreten.

Die Konkordanz bleibt umstritten

Am 9. Dezember wählen der Stände- und der Nationalrat den neuen Bundesrat. Dabei ist vor allem umstritten, ob die SVP als klar stärkste Partei—jedoch auf ständigem Oppositionskurs—wieder einen zweiten Bundesratssitz bekommen sollte. Mit einem zweiten SVP-Bundesratssitz wäre der Rechtsrutsch in der Schweiz noch heftiger und nachhaltiger.

Der SVP-Übervater Christoph Blocher wurde nämlich 2007 in einer Kampfwahl durch Eveline Widmer-Schlumpf ersetzt. Die SVP schmiss Widmer-Schlumpf anschliessend aus der Partei und die damals frischgebackene Bundesrätin fand in der neu gegründeten BDP—der Abspaltung von der SVP—eine neue Heimat.

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Die BDP verlor nach den ersten Hochrechnungen bei diesen Wahlen aber einen ihrer neun Sitze—zusätzlich im Heimatkanton von Widmer-Schlumpf sogar 6.8 Prozent an Stimmen—und geht damit geschwächt in die Bundesratswahl vom 9. Dezember. Auch wegen der starken Rechten, die die SVP bei ihrem Plan, einen zweiten SVP-Bundesrat zu wählen, unterstützen dürfte, ist die Wiederwahl von Widmer-Schlumpf fraglich.

Die angebliche Vorzeigedemokratie bleibt eher Hobbydemokratie

Wie schon zu den Wahlen 2011 ging auch dieses Jahr nur gerade jeder zweite Schweizer, der wahlberechtigt ist an die Urne oder gab seine Stimme via Briefwahl ab. Berücksichtigt man bei der Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent zusätzlich noch, dass lediglich zwei Drittel der Bewohner der Schweiz wahlberechtigt sind, streng genommen vertreten der National- und Ständerat gerade mal jeden dritten Bewohner der Schweiz.

Sebastian auf Twitter: @nitesabes

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