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Für diese Frau fühlte sich das Koma an wie ein langer luzider Traum

Nachdem sie sich mit der Legionärskrankheit angesteckt hatte, fiel Stephanie Savage in ein sechswöchiges Koma. Dabei träumte sie von Eisbären, Eiscreme und Szenen aus Science-Fiction-Filmen.

Savage während ihrer Genesungsphase | Foto: bereitgestellt von Stephanie Savage

Vor zwei Jahren machte Stephanie Savage Urlaub auf Sizilien und bekam plötzlich einen hartnäckigen Husten. Vorher hatte man bei ihr eine Dermatomyositis diagnostiziert—dabei handelt es sich um eine seltene Muskelkrankheit, zu deren Symptomen auch schwaches Fieber und gereizte Lungen gehören. Die ihr verschriebenen Medikamente schwächten jedoch auch ihr Immunsystem, weshalb sie sich schließlich mit der Legionärskrankheit ansteckte—eine aggressive Form der Lungenentzündung.

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Als sie aus dem Urlaub zurückkehrte, erlitt Savage schließlich eine Blutvergiftung sowie mehrere Schlaganfälle und fiel letztendlich in ein sechs Wochen andauerndes Koma. Während dieses Komas hatte sie laut eigener Aussage eine Reihe an Träumen, die zum Teil die Realität widerspiegelten, zum Teil aus ausgedachten Szenarios bestanden und zum Teil von ihrem eigenen Verstand kontrolliert wurden.

Heute unterzieht sich Savage immer noch einer Physiotherapie, obwohl bei ihr keine Störung der kognitiven Fähigkeiten zu beobachten ist. Dazu schreibt sie über ihre Nahtoderfahrung—sowohl auf ihrem Blog als auch in der aktuellen Ausgabe des Magazins Skeptical Inquirer. Savages Beobachtungen bieten uns einen faszinierenden Einblick in das menschliche Bewusstsein und in die Welt der Nahtoderfahrung. Deshalb habe ich mich mit der Frau in Verbindung gesetzt, um mehr über ihren Fall zu erfahren.

VICE: Du lagst insgesamt sechs Wochen im Koma. An was kannst du dich davon noch erinnern?
Stephanie Savage: Meine erste Erinnerung an diesen Zeitraum stammt von meiner Kernspintomographie. Die Untersuchung drang wie eine geisterhafte Stimme in meinen Kopf ein. Ich erinnerte mich an die Stimme, weil ich vorher schon mal einen Kernspin durchführen ließ. Diese einzigartige Stimme wies mich an, die Luft anzuhalten und dann wieder auszuatmen. Ich fragte mich, ob es sich dabei vielleicht um einen Serienmörder handeln würde, weil das Ganze wie in einem Film klang. An den genauen Wortlaut kann ich mich nicht mehr erinnern, nur noch an die Stimme.

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Später erklang eine weitere geisterhafte, männliche Stimme in meinem Kopf. Ich fragte mich, ob man mir eine Art Chip in mein Gehirn eingepflanzt hat, damit ich sie hören konnte. Ich hatte keine Ahnung, was genau da vor sich ging. Schließlich verwandelte sich die Stimme in meinen „neuen Freund". Er erzählte mir von seinen Plänen für unseren Urlaub und erwähnte dabei auch eine mögliche Alaska-Kreuzfahrt, denn wir genossen es damals, über Grönland zu fliegen und Gletscher zu sehen. Ich dachte mir jedoch, dass das nicht wirklich mein Freund Keith sein kann—obwohl er abgesehen vom Vollbart genau so wie er aussah. Keith hatte damals nämlich nur einen Kinnbart. Ich fragte mich jedoch, wieso seine Brille an genau der gleiche Stellen repariert worden war wie die von Keith. Das fand ich komisch, denn natürlich handelte es sich dabei um Keith—das war einfach eine Art Traumlogik.

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Wie genau unterscheidet sich das Träumen während eines Komas vom normalen Träumen?
Ich hatte luzide Träume. Meine „Traumrealität" hatte zur Folge, dass ich diese luziden Träume wie eine Art Schriftsteller plötzlich kommentieren und steuern konnte. Ab einem gewissen Zeitpunkt fühlt sich das Ganze wie die Realität an, die ich wegen des Traums kontrollieren und verändern kann. Und dann geht es zurück zur Traumrealität.

Während meiner Nachforschungen bin ich auch auf die sogenannte REM-Intrusion-Theorie gestoßen. Es gibt auch noch andere Formen der REM-Intrusion, aber bei mir traten eben luzide Träume auf.(Anmerkung des Autors: REM-Intrusion steht für eine REM-Phase, die im halbwachen Zustand auftritt—was dann zu Halluzinationen oder luziden Träumen führt. In einer Studie von Kevin Nelson kam man zu dem Schluss, dass REM-Intrusionen für einige der subjektiven Gefühle einer Nahtoderfahrung verantwortlich sind. Das lässt darauf schließen, dass eine neurophysiologische Grundlage für diese Erfahrung besteht)

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Von welchen Dingen hast du dann geträumt?
Als lange Skeptikerin habe ich anstelle von Engeln, Dämonen oder toten Verwandten Dinge gesehen, die mein mentales Wesen ausgemacht haben—zum Beispiel Science-Fiction-Filme. Ich glaube, das war auch die Inspiration einiger der Phasen meines Komatraums.

Andere Dinge, die in meinen Träumen häufig vorgekommen sind, waren wie in einem dieser Samstagmorgen-Cartoons angeordnet und rotierten. Oftmals lief dabei immer das gleiche Szenario ab, bloß mit unterschiedlichen Dialogen. Ich fuhr auf einer Kombination aus Hochrad und Eiscreme-Stand durch die Gegend, aus der ständig Eis rauskam. Dabei war ich manchmal ein Mensch, manchmal aber auch ein Eisbärenjunges. Während dieser luziden Träume dachte ich mir auch ab und an, dass ich doch eigentlich gar kein Eisbärenjunges sei. Daraufhin verwandelte ich mich wieder in einen Menschen.

Gab es dazu auch noch andere Faktoren, die deine Komaträume beeinflusst haben?
Anscheinend war es in meinem Krankenzimmer sehr kalt und ich war nur dürftig zugedeckt. Außerdem packte man mich aufgrund des durch die Legionärskrankheit verursachten Fiebers auch ab und an in Eis. Sie dachten, dass ich die Kälte sowieso nicht spüren würde, und deckten mich deshalb nicht zu. Meiner Meinung nach hat diese Kälte meine Träume beeinflusst. Ich stehe aber auch total auf Eiscreme.

Außerdem waren meine Komaträume geprägt von Dingen, die mir in meiner Kindheit wichtig waren. Das kann kein Zufall gewesen sein. Irgendwie halte ich das für das Äquivalent dieser „Lebensrückblicke", die einige Leute bei einer Nahtoderfahrung erleben. Mein Leben zog zwar nicht vor meinem geistigen Auge an mir vorbei, aber stattdessen sah ich eben viele Dinge aus meiner Kindheit.

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„Ich wurde agnostisch erzogen. Da kommt es mir gar nicht erst in den Sinn, Engel zu sehen."

Manche Leute berichten nach einer Nahtoderfahrung davon, wie es sich nach dem Sterben anfühlt. Hast du eine ähnliche Situation erlebt?
Die Stimmen der Ärzte, Freunde und Familienmitglieder sind meiner Meinung nach das, was viele Leute vielleicht als „engelhafte Stimmen" empfinden. Ich habe jedoch keine Engel gesehen, weil mein Gehirn gewisse Dinge automatisch als natürliche Phänomen wahrnimmt. Ich wurde agnostisch erzogen. Da kommt es mir gar nicht erst in den Sinn, Engel zu sehen.

Das, was Gläubige bei einer Nahtoderfahrung sehen, wird vom Glauben beeinflusst. Hindus berichten davon, dass sie Vishnu trafen. Bei Christen passiert das Gleiche mit Jesus. Aber wie viele Juden sehen Jesus? Wahrscheinlich nicht viele. So etwas in der Art habe ich jedoch nicht erlebt. Vor mir spielten sich Science-Fiction-Filme ab.

„Ich glaube, dass diese Erfahrungen letztendlich auch viele positive Seiten hatten."

In deinem Artikel für die Zeitung Skeptical Inquirer schreibst du davon, dass du von den Krankenschwestern oft anders hingelegt und angehoben wurdest, um wunde Stellen zu vermeiden. Dabei hattest du das, was viele andere Leute schon als „außerkörperliche Erfahrung" beschrieben haben.
Richtig. Ich glaube, dass die Leute, die zu solchen Dingen tendieren, denken, dass es sich dabei um eine außerkörperliche Erfahrung handelt. In Träumen ist es allerdings keine Seltenheit, dass man das Gefühl hat, sich außerhalb seines Körpers zu befinden und quasi auf sich selbst herabzublicken. Bei meinen Nachforschungen habe ich auch herausgefunden, dass man eine außerkörperliche Erfahrung im Gehirn aus eigener Kraft anregen kann—das ist ein dokumentiertes neurologischen Phänomen. Es gibt außerdem noch viele andere Auslöser einer außerkörperlichen Erfahrung, zum Beispiel eine Epilepsie oder Migränen. Ich glaube jedoch nicht, dass das bei mir der Fall war.

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Für diejenigen da draußen, die noch keine Nahtoderfahrung gemacht haben: Womit kann man das Ganze noch vergleichen?
Ich habe selbst noch keine Drogen genommen, aber im Buch The God Impulse heißt es, dass viele Leute nach dem Konsum von psychotropischen Drogen wie Pilzen Nahtoderfahrungen gemacht haben. Dabei erlebten sie ähnliche Dinge wie ich. Ich bin jedoch nicht wirklich drogenaffin, also kann ich das gar nicht so genau beurteilen.

Haben diese Erfahrungen deine Denkweise zum Thema Tod verändert?
Ich fürchte mich nicht vor dem Tod, weil ich nicht davon ausgehe, dass danach irgendetwas passiert. Ich fürchte mich aber davor, nicht mehr zu existieren. Ich will so lange leben wie möglich. Diese Furcht ist nach meinen Erfahrungen jedoch ein wenig zurückgegangen, weil ich wohl das Schlimmste durchgemacht habe, was überhaupt geht. Und jetzt bin ich wieder fit. Ich glaube, dass diese Erfahrungen letztendlich auch viele positive Seiten hatten.

Das Ganze war mein sprichwörtlicher Weckruf. Mir wurde klar, dass ich mein Leben so lebte, als ob ich an ein Leben nach dem Tod glauben würde—obwohl ich das eigentlich gar nicht mache. Ich wurde viel zu oft von Dingen abgelenkt, die zwar Spaß machen, aber an sich gar nicht wichtig sind. Ich benahm mich wie die Leute, die denken, dass nach dem Tod ein neues Leben auf sie wartet. Ich glaubte zwar daran, dass das hier mein einziges Leben sei, aber ich verhielt mich nicht dementsprechend. Jetzt kümmere ich mich um Dinge, denen ich vorher keine Beachtung geschenkt habe. Wenn ich zurückgehen und das Koma verhindern könnte, dann weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, ob ich das überhaupt wollen würde.