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Wie es ist, als Teenager Psychopharmaka zu nehmen

Betroffene erzählen von ihrer Kindheit auf Antidepressiva und Co.

Illustration von Nick Scott

Zu meiner Grundschulzeit wurden bei zwei meiner besten Freundinnen Depressionen diagnostiziert und beide bekamen Psychopharmaka verschrieben. Zu dem Zeitpunkt waren sie acht Jahre alt. Ich war damals auf eine komische Art eifersüchtig auf die beiden. Ich hatte das Gefühl, dass sie viel mehr Aufmerksamkeit und von den Lehrern eine Sonderbehandlung bekamen. Das ging so weit, dass ich meine Mutter irgendwann dazu überredete, mich zum Arzt zu fahren, damit wir dort feststellen können, ob ich nicht auch depressiv bin.

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Als Psychopharmaka sich immer weiter verbreiteten, war es unglaublich selten, dass ein Kind Antidepressiva bekam. Aber in den letzten 30 Jahren sind sie—wie auch andere Psychopharmaka—immer leichtfertiger an Kinder und Jugendliche verschrieben worden.

Schwere depressive Störungen betreffen in Großbritannien und in Deutschland ungefähr drei Prozent aller Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren und sechs Prozent aller Teenager zwischen 13 und 18. In den allermeisten Fällen kommen keine Medikamente zum Einsatz, aber laut Forschern der chinesischen Chongqing Medical University nimmt die Zahl der jungen Menschen, die Antidepressiva gegen psychische Probleme nehmen, in den USA und Großbritannien zu. In Großbritannien allein stieg der Anteil der Menschen unter 19, die Antidepressiva nehmen, von 0,7 Prozent 2005 auf 1,1 Prozent 2012. Zum Vergleich: In Deutschland ist die Zahl der Verschreibungen auch angestiegen, auf 0,5 Prozent.

Neuste Forschungsergebnisse suggerieren nun, dass einige dieser Medikamente mehr Schaden anrichten als lindern. Laut einer klinischen Studie über Jugendliche und Antidepressiva helfen die meisten auf dem Markt erhältlichen Medikamente nicht bei psychischen Problemen wie Depressionen und sind vielleicht sogar gefährlich. Von den 14 beliebtesten Antidepressiva auf dem Markt schaffte es nur Prozac [Fluoxetin], die Symptome einer Depressionen besser als ein Placebo zu lindern. Ein anderes Medikament aus dieser Gruppe, Venlafaxin, wurde sogar mit einer erhöhten Anfälligkeit für Selbstmordgedanken und Selbstmordversuche in Verbindung gebracht.

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Professor Penn Xie, ein Mitglied des Forscherteams, das diese Untersuchung durchgeführt hatte, sagte gegenüber PA: "Die Ausgewogenheit zwischen Risiko und Nutzen von Antidepressiva zur Behandlung schwerer Depressionen scheint bei Kindern und Jugendlichen keinen klaren Vorteil zu zeigen—mit der Ausnahme [von Prozac]."

Wir haben das zum Anlass genommen, um mit ein paar Menschen—inzwischen Erwachsene—über ihre Kindheits- und Jugenderfahrungen mit Psychopharmaka zu sprechen.

Foto: Justin Ling | Flickr | CC BY 2.0

Cady, 20, Studentin

VICE: Warum wurden dir als Kind Medikamente verschrieben?
Cady: Bei mir wurde, als ich 16 war, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine dissoziative Persönlichkeitsstörung festgestellt und ich musste ein paar Mal wegen Selbstmordversuchen und solchem Zeug ins Krankenhaus. Ich war von 16 bis 18 eigentlich fast durchgehend in stationärer Behandlung. In dieser Zeit war ich vielleicht zwei Monate draußen.

Wie war diese Zeit für dich?
Es war gut. Eine sehr sichere Umgebung, könnte man sagen. Aber du bist natürlich auch sehr eingeschränkt und hast nicht das Gefühl, wirklich zu leben, weil um dich herum alle weitermachen, aber du steckst an diesem Ort fest und verlierst jegliches Zeitgefühl.

Wie war es mit den Medikamenten, die man dir verschrieben hatte?
Ich habe als Kind schon Prozac bekommen. Das war eigentlich ziemlich OK, glaube ich. Es hat lange gedauert, bis es endlich gewirkt hat. Ich bin mir aber gar nicht sicher, ob es überhaupt gewirkt hat—einen Monat später war ich nämlich immer im Krankenhaus. Wenn du auf Prozac bist, sind deine Gefühle sehr gedämpft: Wenn du weinen willst, kannst du nicht weinen, weil dich das Zeug ein bisschen abflacht. Es unterdrückt deine Emotionen also vielleicht ein bisschen mehr, als es eigentlich sollte. Ich war auch auf Neuroleptika, um meine psychotischen Episoden abzuschwächen. Die sollten eigentlich meine Gedanken abschwächen, was für mich als Kind nicht wirklich funktioniert hat. Dafür haben sie mich unglaublich schläfrig gemacht. Durch die Antidepressiva wollte ich ständig schlafen, aber mit den Neuroleptika bin ich gar nicht mehr aus dem Bett gekommen. Ich habe mich wie ein Zombie gefühlt. Jeden freien Moment, den ich in in meinem Krankenhausalltag hatte, habe ich im Bett verbracht.

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Das ist ein ziemlich ungewöhnliches Leben für ein Kind. Glaubst du, dass das negative Auswirkungen auf dich hatte?
Ja, weil mir dadurch Dinge generell weniger Freude bereitet haben. Wenn ich mich auf etwas freuen wollte, dann ging das nicht. Bevor ich ein bestimmtes Level an Freude erreicht hatte, wurde ich nämlich wieder runtergeholt.

Wie hältst du davon, anderen Kindern die gleichen Medikamente zu geben, die du bekommen hast?
Ich bin immer noch auf Neuroleptika und heute sind die OK, aber als ich noch jünger war, war ich ein richtiger Zombie—und so bin ich eigentlich nicht. So waren alle auf der Station drauf, die die bekommen haben. Ich würde also nicht empfehlen, sie jungen Menschen zu geben.

Bob, 33, Werbung

Was hast du während deiner Schulzeit für Medikamente bekommen?
Ich war auf Prozac. Das wurde mir verschrieben, als ich 18 war. Ich war damals nämlich durch. Ich war auch auf etwas, das es heute gar nicht mehr gibt: Largactil. Es gibt sogar einen Song von der Band Amebix mit dem gleichen Namen, der ziemlich gut ist. Im Grunde habe ich einfach zu viele Drogen genommen und bin durchgedreht. Die haben mir dann Prozac verschrieben, damit es mir nicht mehr so dreckig geht, und das Largactil, damit ich aufhöre, so verrückte Gedanken zu haben.

Du warst ziemlich jung, als das passiert ist. Wie schlimm stand es um dich, dass du solche Medikamente gebraucht hast?
Nun, ich war richtig durchgeknallt. Ich habe verrückte Sachen gemacht und verrückte Sachen gedacht. Ich hatte diese irrationale Angst—es ist schwer zu beschreiben—, aber ich habe Unmengen an Ecstasy genommen und sehr viel gekifft. Ich glaube, es war der Beginn einer Schizophrenie. Das haben sie mir gesagt. Eine drogeninduzierte, quasi.

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Was für Zeug hast du erlebt?
An einem Wochenende hatte ich Unmengen an Drogen genommen und auf dem Weg zur Uni am Morgen danach hatte ich dann diesen Gedanken: "Oh mein Gott, was ist, wenn ich in meinem Leben nur noch glücklich bin, wenn ich wie diese Cyber-Goths werde?" Das ist vielleicht ein ziemlich bizarrer Start in eine Psychose, aber ich bin deswegen richtig durchgedreht und habe angefangen, alles in meinem Leben und meine komplette Identität zu hinterfragen.

Ich verdanke Prozac mein Leben.

Nimmst du heute immer noch etwas gegen Depressionen?
Ja, ich nehme Sertralin, aber auch nur, weil es mir beschissen geht. In vier Tagen bin ich jetzt ein Jahr trocken, aber als ich trocken wurde, habe ich gemerkt, dass es mir immer noch dreckig geht, also bin ich zu meinem Arzt. Der hat die mir dann verschrieben und es scheint zu helfen.

Wie würdest du Prozac zu deiner Unizeit zu Sertralin jetzt vergleichen?
Ich schätze, dass es mir wirklich geholfen hat, als ich 18 war. Ich glaube, sonst hätte ich irgendwas sehr Schlimmes getan, wenn ich es nicht genommen hätte. Ich verdanke Prozac ziemlich sicher mein Leben. Wirklich. Wenn ich damals keine Medikamente bekommen hätte, wäre ich eingewiesen worden. Man sagt, dass das Zeug die Kreativität einschränkt und solche Sachen, aber ich glaube nicht, dass da irgendwas dran ist.

Du hast also keine von den Nebenwirkungen gehabt, die man sonst mit Prozac in Verbindung bringt?
Ich fühlte mich ein bisschen schläfrig, aber den Preis habe ich gerne dafür gezahlt, um bei Verstand zu bleiben und nicht das Gefühl zu haben, mich vor den nächsten Zug schmeißen zu wollen. Ich finde es fast schon unverantwortlich, den Menschen zu empfehlen, sich von dem Zeug fernzuhalten, wenn sie sich richtig schlecht fühlen. So in der Art, dass man besser ein paar Atemübungen macht oder was auch immer. Oft genug herrscht in deinem Gehirn ein chemisches Ungleichgewicht, das erst beseitigt werden muss, bevor du dich mit den Ursachen deiner Depression oder deiner psychischen Probleme auseinandersetzen kannst—dieser Punkt ist mir wirklich unglaublich wichtig. Es hat mir mein Leben gerettet und meine Kreativität nicht eingeschränkt. Die einzigen Sachen, die meine Kreativität eingeschränkt haben, waren illegale Drogen und Alkohol—die haben mir mein Leben versaut.

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Greta, 20, Studentin

Warum hast du diese Medikamente verschrieben bekommen?
Als ich klein war, etwa sechs, hatte ich diese ganzen Phobien. Das wurde irgendwann so schlimm, dass ich nicht mehr einschlafen konnte und so—also wurden mir diese Tabletten verschrieben. Ich weiß ihre Namen nicht mehr, aber ich erinnere mich noch daran, was sie getan haben.

Wie sind die Ärzte zu dem Schluss gekommen, dass du Psychopharmaka brauchst?
Als ich acht war, sind wir zum Arzt gegangen und die haben ein paar Tests mit mir gemacht und ich musste zum Psychiater, der mir lauter Fragen gestellt hat. Darüber haben sie gemerkt, dass ich erschöpft und müde war, aber nicht schlafen konnte—also haben sie mir Pillen verschrieben.

Wie hat sich das angefühlt, als du sie genommen hast?
Sie haben quasi meine ganzen Gefühle weggenommen. Als Kind verstehst du natürlich nicht wirklich, was los ist. Als Erwachsene denke ich aber, dass das jetzt sehr komisch für mich wäre und ich damit in der Gesellschaft überhaupt nicht klarkommen würde—zu wissen, dass es da Dinge gibt, die ich wegen meinem eigenen Gehirn nicht wahrnehme.

Und hat es funktioniert?
Ja, die haben mich sehr beruhigt und ich hatte keine Angst mehr. Nach drei oder vier Jahren habe ich sie dann abgesetzt, weil alles verschwunden war.

Falls du dir um deine eigene psychische Gesundheit oder um die eines geliebten Menschen Sorgen machst, dann findest du hier Hilfe und weiterführende Informationen.