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Von Hals- und Kopftuchträgern

Seit zehn Jahren gibt es die Muslimischen Pfadfinder Österreichs, aber nur die wenigsten kennen sie.

Fotos der MPÖ.

Gut Pfad. Die Ahnen des britischen Generals Robert Baden-Powell leben auch heute nach dessen Gründungsgedanken im Jahr 1907 und wandern als fleischgewordenen Stereotype auf Kinderbeinen durch Österreichs Berge und Täler. Ihre Ziele definieren die Pfadfinder und Pfadfinderinnen Österreichs (PPÖ) mit Leitsätzen wie „Wir wollen helfen, junge Menschen zu bewussten Staatsbürgern und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu erziehen, die aus dem Glauben ihre Aufgabe in Familie, Beruf und Gesellschaft erfüllen.“ Außerdem würde die Jugendbewegung „Menschen aller Hautfarben und aller Religionsgemeinschaften offen stehen“. Obwohl sich die Jugendbewegung also über ihre Interkonfessionalität definiert, umspannt der Glaube trotzdem einen gewissen Bereich des Leitbilds der Organisation. Religion gilt den Pfadfindern nämlich als „Grundlage der Erziehung“.

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Bei den Pfadfindern in Amstetten findet sich sogar dieses Zitat auf der Website: „Leben aus dem Glauben ist einer der acht Schwerpunkte der Pfadfinder. Er befasst sich mit dem spirituellen Leben und setzt keine bestimmte Religionszugehörigkeit voraus. Allerdings bildet die lokal vorherrschende Religion oft den Schwerpunkt der diesbezüglichen Aktivitäten der Pfadfinder.“ Spätestens an diesem Punkt dürften sich die Gemüter scheiden. Neben Bewegungen wie dem jüdischen Pfadfinder- und Jugendverein Hashomer Hatzair zweifelt auch die muslimische Gemeinschaft an der offenen Glaubensausrichtung der österreichischen Pfadfinder.

Die Angst der Eltern, ihre Kinder würden dort nach katholischen Wertvorstellungen erzogen werden, verhindert bei vielen die Teilnahme. „Es gibt noch sehr wenig Muslime bei den österreichischen Pfadfindern. Eltern haben oft kein Vertrauen in Jugendvereine wie diese“ sagt Tugba Seker, Geschäftsführerin der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ). Deshalb gründete der Jugendverband vor zehn Jahren eine Pfadfinderbewegung (MPÖ) für den eigenen Nachwuchs.

Dafür war nicht nur die Skepsis vor möglichen katholischen Wertvorstellungen ausschlaggebend. Die Angebote für Kinder und Jugendliche der muslimischen Glaubensgemeinschaft wären oft „zu wenig österreichisch und zu steif“, wie Seker berichtet. Sind religiöse Pfadfindergruppen sogar als Integrationsprojekt zu verstehen? Auch die Hashomer Hatzair wären als „eine Art Rebellion gegen die traditionelle jüdische Erziehung entstanden“ wie Omer Hakim, Leiter der Jugendbewegung in einem Interview mit der Tageszeitung der Standard berichtet. Die Organisation lehnt sich an Pfadfinder- und zionistische Traditionen an.

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Ein Schmelztiegel aus Religion und Interkulturalität, den sich auch die MPÖ anheftet. Beide Pfadfinderorganisationen sehen sich als alternative Jugendbewegung zu einem traditionellen starren Glaubenskodex. Die jeweiligen religiösen Grundsätze bleiben dabei aber erhalten. „Die Pfadfinder gibt es auch bei uns, weil wir Kindern etwas Ähnliches bieten wollten. Sich mit der Natur zu umgeben und mit ihr verbunden zu sein ist doch schön. Außerdem können muslimisch-gläubige Familien uns ihre Kinder anvertrauen, weil wir nach ihren Prinzipien leben“ so Seker.

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