FYI.

This story is over 5 years old.

Essen

Ich habe mich eine Woche lang ausschließlich von Nutella ernährt

Was sich für viele Menschen wie ein absoluter Traum anhört, sollte sich für mich schon bald als die Hölle auf Erden herausstellen.
Mann mit Nutellagläsern

Nutella ist beliebt. Nutella ist sogar so beliebt, dass es gesellschaftlich akzeptiert zu sein scheint, den Brotaufstrich direkt aus dem Glas zu löffeln. Und auch ich tue das. Ich liebe Nutella. Diesem Umstand ist es auch geschuldet, dass ich einen dunklen Abschnitt meines Lebens einläutete und die schlimmste Woche überhaupt durchleben musste.

Alles fing damit dann, dass ich nach einem Thema für einen Artikel suchte. Als junger Journalist wird einem immer dazu geraten, über Dinge zu schreiben, die man aufregend findet. Also machte ich mir diesbezüglich Gedanken und kam so auf Nutella. Ich behaupte ständig, dass ich mich allein von Nutella ernähren könnte, aber entspricht das auch der Wahrheit? Was passiert, wenn ich das wirklich eine Woche lang durchziehe? Und schon hatte ich mein Thema gefunden. Trinken durfte ich alles, so lange es sich dabei nicht um einen Nahrungsmittelersatz handelt. Ansonsten stand ausschließlich der süße Brotaufstrich auf meiner Speisekarte.

Anzeige

Mein Redakteur war bezüglich des Artikels ein wenig nervös, aber auch neugierig. Und so bekam ich schließlich grünes Licht. Im Supermarkt um die Ecke kaufte ich mir zwei Gläser Nutella und setzte mir den darauffolgenden Samstag als Startpunkt. Ich war bereit.

Samstag, 18:00 Uhr (Gewicht: 66,2 kg)

Am ersten Abend zog ich mit einem Kumpel durch die Stadt und fühlte mich dabei pudelwohl. Das erste Glas war innerhalb weniger Stunden geleert und mir ging es dadurch nur noch besser. Das Ganze würde ein Kinderspiel werden.

Sonntag (Gewicht: 66 kg)

Es ist jetzt nichts komplett Ungewöhnliches, dass ich früh morgens erst einmal ein bisschen Nutella esse, und deswegen hatte ich beim Frühstück ein breites Grinsen im Gesicht und dachte darüber nach, wie toll es sich anfühlt, erwachsen zu sein und sich seinen Körper freiwillig ruinieren zu können. Ein paar Stunden später saß ich zusammen mit meinen Mitbewohnern bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel auf dem Balkon. In unseren verwitterten Klappstühlen tranken wir Aldi-Whiskey und lachten. Danach ging es raus in den Park.

Dort tranken wir dann zu den Klängen von Jimi Hendrix und Joey Badass weiter—mit einem Magen voller Nutella ist das natürlich eine richtig gute Idee.

Gegen 19:00 Uhr torkelte ich nach Hause und kotzte erstmal schön unser Klo mit brauner Magensäure voll. Das war dann auch das erste Anzeichen des Unheils, das mir bevorstand.

Anzeige

Montag (Gewicht 64,9 kg)

Ich hatte einen richtigen Kater. Mein Kopf brachte mich fast um und ich brauchte in diesem Moment einfach nur viel Pizza. Ich wankte vom Bett ins Bad und ja, ich hatte auch Durchfall. In der Küche sah mich mein Mitbewohner nur amüsiert an und schmunzelte. „Ziehst du immer noch das Nutella-Ding durch?", fragte er. „Ja", antwortete ich mit finsterem Blick.

Wir gingen raus und er redete zwar die ganze Zeit mit mir, aber ich hörte ihm nicht zu. In meinem Kopf herrschte nur Rauschen und meine Ohren waren irgendwie dicht. Ich fühlte mich total kraftlos und am Ende des Tages war ich am verhungern. Der Gedanke an die Haselnusscreme in meiner Speiseröhre rief in mir einen richtigen Würgreflex hervor. Schließlich war es 20:00 Uhr. Der Geruch der Pizzen, die meine Mitbewohner zubereiteten, zog durch die Wohnung. Solche sadistischen Arschlöcher.

Dienstag (Gewicht: 64,4 kg)

Der Tag begann für mich damit, einem Typen im Zug zuzuschauen, der ein Erdnussbutter-Toasts aß. Nach drei Tagen, in denen ich mich ausschließlich von Nutella ernährt hatte, hat sich mein Geruchssinn deutlich verbessert. Ich konnte jedes Salzmolekül der Erdnussbutter riechen und sie alle schrien nach mir. Ich brauchte Erdnüsse und ich brauchte einen Burger—ein schönes Käse-Bacon-Monster, bitte!

Kaum im Büro angekommen musste ich dank meines Durchfalls auch direkt wieder auf die Toilette. Dann „frühstückte" ich an meinem Schreibtisch und verfiel danach in das inzwischen bekannte Zuckerhoch. In den darauffolgenden Stunden war ich richtig produktiv, aber das ging natürlich nicht ewig so weiter. Am späten Nachmittag meinte jemand zu mir, dass ich krank aussehen würde. Ich gab zu, dass ich mich auch krank fühle. Ich wollte Sachen in meinen Computer eintippen, aber mein Gehirn machte nicht mehr mit. Ich ging daraufhin kurz nach draußen, um frische Luft zu schnappen und den Kopf freizukriegen, aber im Endeffekt fror ich nur und wurde dazu noch müde. Kurz gesagt: Ich war am Ende.

Anzeige

Auf dem Nachhauseweg knurrte mein Magen so laut, dass es mit Sicherheit jeder hören konnte. Sie alle wussten, was ich durchmachte. Ich war die Hauptfigur von Edgar Allan Poes Kurzgeschichte Das verräterische Herz—ich wurde bloß von einer süßeren und bösartigeren Substanz verrückt gemacht. Als ich an meiner Haltestation ankam, schlurfte ich aus der Bahn und war mir sicher, dass dabei alle Augen auf mich gerichtet waren.

Mittwoch (Gewicht: 64,1 kg)

Absoluter Tiefpunkt. Ich befand mich in einem großen, dunklen N-Hole. Eigentlich hätte ich an diesem Tag zur Uni gehen müssen, aber dazu war ich einfach nicht in der Lage. Ich musste sogar kämpfen, um überhaupt aus dem Bett zu kommen. Am frühen Nachmittag bekam ich dann einen Anruf von Julian, meinem VICE-Redakteur. „Hey. Wir sollten den Artikel vielleicht lieber lassen", meinte er. „Wir sind ehrlich gesagt überrascht, dass du das Ganze überhaupt noch durchziehst, und machen uns ernsthaft Sorgen um deine Gesundheit." Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, tanzten vor meinen Augen auch schon die leckersten Mahlzeiten vorbei. Die Versuchung war zwar groß, aber ich durfte jetzt nicht so einfach aufgeben. Wen interessiert schon die Geschichte eines Typs, der sich drei Tage lang von Nutella ernährt hat? So etwas ist doch nichts Außergewöhnliches. Also entschied ich mich dazu, die ganze Sache zu Ende zu bringen.

Den restlichen Nachmittag brachte ich dann damit zu, Nutella für mich irgendwie genießbarer zu machen. Zuerst habe ich die Haselnusscreme eingefroren, um darauf herumkauen zu können. So war es mir zwar möglich, mal wieder meine Kiefer einzusetzen, aber der Geschmack wurde dadurch auch nicht besser. Dann rührte ich etwas Nutella in meinen Kaffee, was sich als Volltreffer herausstellen sollte. Probiert es aus!

Anzeige

Donnerstag (Gewicht: 63,9 kg)

Auch am Donnerstag steckte ich noch in meinem bitteren, dunkelbraunen Tief fest. Es ist schon erstaunlich, wie etwas so Einfaches wie Essen solch schwerwiegende Folgen für die Psyche haben kann. Zu diesem Zeitpunkt konnte man mich im Grunde als verrückt bezeichnen. Nichts wirkte mehr real und meine Konzentration war quasi nicht mehr vorhanden. Ich konnte nur noch ins Leere starren und übers Schlafen nachdenken.

Am Abend besuchte ich meine Mutter und wurde direkt vom Geruch frisch gekochter Pasta empfangen. Das ließ mich fast durchdrehen. Meine Mutter sah mich an und meinte sofort, dass ich das Ganze beenden müsse. Sie hielt mich für verrückt und verstand nicht, was das für meine Gesundheit bedeuten würde. Ich sagte ihr daraufhin, dass sie keine Ahnung von qualitativem Journalismus hätte.

Freitag (Gewicht: 63,5 kg)

Den ganzen Tag über betete ich mir immer und immer wieder das gleiche Mantra vor: „Morgen darf ich wieder normal essen. Morgen darf ich wieder normal essen. Morgen darf ich wieder normal essen."

Den Abend verbrachte ich dann bei einem Kumpel. Wir saßen am Lagerfeuer und redeten über allen möglichen Scheiß. Meine Stimmung setzte sich dabei aus Vorfreude und Verbitterung zusammen. Ich war schon fast wieder bereit zu essen, aber eben noch nicht ganz. Das Feuer faszinierte mich ungemein.

Samstag (Gewicht: 63,1 kg)

Diesen Morgen werde ich mein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind an Heiligabend. Ich stieg aus meinem Bett und lachte dabei fast wie im Delirium. Ich hatte es geschafft und das feierte ich mit einem Roasted-Pork-Sandwich, das so groß war, dass ich es kaum in den Mund bekam. Ich war glücklich.

Inzwischen esse ich seit gut drei Tagen wieder normal. Rückblickend würde ich sagen, dass das wohl die emotional gesehen abwechslungsreichste Woche meines Lebens war. Völlig grundlos verfiel ich in Trauerzustände, nur um dann genauso schnell wieder vor Freude und Aktivität zu strotzen. Dazu war ich die ganze Zeit total verwirrt. Es war richtig anstrengend, anderen Leuten zu folgen und das zu verarbeiten, was sie zu mir sagten. Es gab auch Momente, in denen ich wirklich dachte, den Verstand zu verlieren. Ich bin manchmal nachts durch die Wohnung gewandert und habe mich dabei gefragt, ob es diese ganze selbstverschuldete Tortur wirklich wert ist. Dann blickte ich in den Spiegel und sah einen Zombie mit dunklen Augen, der nach gottverdammten Sellerie gierte.

Zur Zeit kann ich ehrlich von mir behaupten, keine Nutella zu mögen. In einem Monat hat sich das aber vielleicht auch schon wieder geändert.