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Entführt in Somalia

In den letzten 20 Jahren hat der UN-Sicherheits-Offizier Rolf Helmrich Operationen in Somalia geleitet. 2004 wurde er von einer somalischen Miliz entführt.

In den letzten 20 Jahren hat der UN-Sicherheits-Offizier Rolf Helmrich Operationen in Somalia, einem der gefährlichsten Länder der Welt, geleitet. 2004 wurde er von einer somalischen Miliz entführt. Als er freigelassen wurde, kam ans Licht, dass die Entführer quasi auch am Stockholm-Syndrom litten und Rolf fragten, ob er ihr Führer sein will. Im Grunde ist er ein ziemlich harter Typ und ein Gentleman der alten Schule. Ich sprach mit Rolf über die Probleme Somalias und über seine Zeit als Geisel in der südsomalischen Wüste.

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VICE: Hallo Rolf. Kannst du kurz erklären, was du machst?

Rolf: Ich arbeite für die UN als Berater in Sicherheitsfragen. Ich trainiere ihre Mitarbeiter und begleite Operationen, hauptsächlich in Ostafrika. Ich war auf Missionen in ganz Somalia. Im Moment ist die UN in Somalia nicht präsent und abgesehen von ein paar Gerüchten gibt es keine Pläne zurückzugehen.

Wie bist du an diesen Job gekommen?

Ich war 37 Jahre lang bei der deutschen Luftwaffe. 1963 bin ich eingetreten, im Kalten Krieg. Unser Job war es, Leute davon abzuhalten, in unser Land einzudringen und Organisationen aufzuhalten, die uns von der anderen Seite aus infiltrieren wollten. Es war ziemlich schizophren. Wenn du ein Schreiner bist, erschaffst du etwas. Du bist stolz auf deine Arbeit und du kannst dein Werk sehen. Ich konnte die Arbeit, die ich gemacht hatte, nie sehen–das war der Punkt. Ich denke, ich bin zum Militär, weil ich die Arbeit der Ostdeutschen stören wollte. Ich wollte dagegen angehen.

Wo lebst du jetzt und wie bist du in Afrika gelandet?

Ich lebe in Kenia, wie schon die letzten 16 Jahre. 1993 war ich als Verbindungsoffizier in Somalia. Der Bürgerkrieg hatte gerade begonnen. Es gab viele zivile Opfer. Das Land litt unter einer schweren Dürre und die UN wurde darauf aufmerksam. Sie entsandten eine Friedenstruppe nach Somalia, um humanitäre Organisationen zu schützen und Frieden zu schaffen und zu erhalten.

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Und das hat nicht funktioniert …

Nein, hat es nicht. Es gab damals keine handlungsfähige Regierung und die gibt es immer noch nicht. Es hat 14 oder 15 Versuche gegeben, eine Regierung zu bilden, aber ohne wirklichen Erfolg.

Kannst du mir vom somalischen Klansystem erzählen? Es klingt wie das mittelalterliche Schottland.

Die Somalier halten immer noch an der Blutrache fest. Wenn einer aus deiner Sippe getötet wird, muss die betroffene Person gerächt werden. Wenn das Klanmitglied ein Mann war, können auch 100 Kamele als Blutgeld dienen. Wenn es eine Frau war, reichen 50 Kamele. Wenn der Ausgleich nicht bezahlt wird, wird die Rache verordnet. Ein Freund erzählte mir von einem Mann in Somalia, der nach 21 Jahren in Schweden nach Hause zurückkehrte. Zwei Männer einer anderen Familie sahen ihn und sagten: „Hey, hat nicht einer aus seiner Familie einen von uns getötet?“ Sie fanden heraus, dass es stimmte und sie brachten den Mann um.

Keine schöne Wiederkehr. Aus welchen Gründen werden die Menschen überhaupt getötet?

Wegen Vieh, Wasser, es kann alles sein. Ein Leben ist dort nichts wert.

Wie gehst du damit als Außenstehender um?

Ich mag Somalier und ich habe viel mit meinen somalischen Partnern beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen gesprochen. Das hat mir geholfen, einen Einblick in die Strukturen der Klans zu bekommen. Ich hab mich nie benommen, als wüsste ich alles. Oft kommen Leute von außerhalb und sie denken, dass sie nichts lernen müssten. Die Somalier sehen sich selbst nicht als Afrikaner. Sie sehen sich als Teil der arabischen Halbinsel. Sie haben einen kleinen Überlegenheitskomplex!

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Den, denke ich, viele von uns haben.

Ha, ja. Ich habe viel mit Paschtunen in Afghanistan gearbeitet und die Mentalität dort war ähnlich. Es gibt eine paschtunische Geschichte über einen Mann, der einen Affen auf seinem Land sieht, er schneidet dem Tier ein Ohr ab und schickt ihn zurück zu seinem Besitzer. Der Besitzer kommt und erschießt den Mann.

Du wurdest 2004 entführt. Was ist passiert?

Ich bin von Nairobi nach Somalia geflohen. Der Kismayo-Flughafen war geschlossen, also musste ich nach Jamaame fliegen, wo es nur eine kleine Landepiste gibt. Ich hatte meine somalischen Kollegen mit unserem Dienstwagen zurückgelassen und wir machten uns auf den Weg zurück nach Kismayo. Es war Donnerstag, der 29. Januar 2004, ca. 08:45. Wir hielten auf einer Brücke, kurz vor einem Dorf und als wir sie überquerten und bei der nächsten Brücke ankamen, trafen wir auf eine Miliz. Die Miliz hatte einen kleinen Checkpoint, von dem aus sie Geld von Beamten und Geschäftsleuten, die mit ihren Fahrzeugen unterwegs waren, erpressten.

Sie erpressten also Geld und dann kamt ihr vorbei, mit wehender UN-Flagge … Haben sie versucht, Geld zu bekommen, oder haben sie dich sofort mitgenommen?

Anfänglich wollten sie Geld von uns, aber da ich versuchte, den Leuten in der Gegend zu helfen, änderten sie ihre Taktik. Meine fünf somalischen Kollegen mussten das Fahrzeug verlassen. Ihnen wurde gesagt, dass sie zurück nach Kismayo gehen sollten, was sie auch schafften. Sie waren zu fünfzehnt, hatten AK-47s, zwei Granatwerfer und dazugehörige Granaten. Sie zwängten sich ins Auto und fuhren mich weit hinaus in den Busch: trockenes Wüstengestrüpp.

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Wie lange warst du da?

Ich war zehn Tage lang mit meinem Entführern im Busch. Wir waren viel nachts unterwegs. Sie hatten Angst, weil sie ihren Ex-Kommandanten nicht trauten. Es gab eine reale Bedrohung, dass diese Typen uns finden würden und dann hätte es einen Kampf gegeben. Ich hatte Angst, weil diese Männer bei Kämpfen ihre ganze Munition verfeuern. Früher oder später stirbt jeder.

Wieso gab es einen Konflikt zwischen denen, die dich entführt hatten, und ihren Ex-Kommandanten?

Sie waren nicht bezahlt worden, also sind sie abgehauen und haben ihr eigenes Ding gemacht. Sie wurden von der Juba Valley Alliance angeführt, einer Klanmiliz von Warlords.

Was hast du während dieser Tage gemacht?

Wir haben nur auf dem Boden gelegen und gar nichts gemacht. Ich war ziemlich angespannt, weil sie die ganze Zeit Waffen dabei hatten. Bei einer AK-47 ist die erste Einstellung unter „Safe“ „Rapid Fire“ und diese Einstellung war die ganze Zeit drin. Sie haben Handgranaten hin und her geworfen Werfen. Ich habe die Granaten beobachtet, links, rechts, links, rechts. Das Schlimmste war, kein Badezimmer zu haben. Das hat mich fertig gemacht. Ich hab richtig mies gestunken. Was du als Soldat auf jeden Fall lernst, ist, wie du am besten fliehst. Aber ich bin über 1,80m und weiß, wohin soll ich denn gehen? Ich war so auffällig. Als wir durch den Busch liefen, war einer vor mir, der als Führer agierte und alle anderen hinter mir hatten ihre Waffen auf mich gerichtet. Sie hatten alle Blasen, weil sie bloß Flip-Flops trugen, also habe ich ein angenehmes Klima geschaffen, indem ich sie behandelt habe.

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Hast du ihnen die Entführung übel genommen?

Nein, ich habe verstanden, warum sie es taten. Ich war einfach ein Ziel, weil ich für die UN gearbeitet habe. Eine Woche vorher wurden Somalis, die für die UN arbeiteten, ebenfalls gestoppt und nach Geld gefragt. Sie waren einverstanden, einem der Männer Geld zu geben, aber brachen ihr Versprechen und bedrohten ihn. Sie haben zwei Fehler gemacht: Sie haben eine Abmachung gebrochen und jemanden bedroht. Abmachungen sind wichtig. Dinge werden hier per Handschlag besiegelt. Das gilt wie ein Siegel, wie im Mittelalter. Du kann einen Handschlag nicht zurücknehmen. Ich mag das sehr.

Wie endete deine Entführung?

Ahmed, mein Bodyguard, kam zu mir und sagte: „Fiddy“ – was „hör zu“ bedeutet, „nimm deine Schuhe.“ Wir gingen 300 Meter durch die Dunkelheit und zwei Männer kamen uns mit einem Bodyguard entgegen. Sie waren vom selben Unterklan wie meine Kidnapper. Die Idee war, den Namen des Unterklans reinzuwaschen. Durch meine Entführung hatten sie ihr Gesicht verloren, also mussten sie es wieder gut machen. Sie nahmen mich und brachten mich in einem Konvoi aus 27 Fahrzeugen zurück. Alles für den befreiten Rolf! Ich entschuldigte mich beim Kommandanten für meinen miesen Geruch. Ich habe eine Stunde lang geduscht.

Bei dir hört sich Kidnappen erträglich an. Was denkst du, hält die Zukunft für Somalia bereit?

Es ist ziemlich schwierig. Es gibt so vielen Interessensgruppen von außerhalb. Die Dinge wären relativ leicht, wenn wir sie den Somaliern überlassen würden. Äthiopien und Kenia haben ein besonderes Interesse an Somalia, was ein Problem ist. Die Intergovernmental Authority for Development ist ein Problem, genau wie die Afrikanische Union. Kräfte aus Dschibuti werden ebenfalls nach dem Land greifen. Dann gibt es noch die EU und die USA. So viele Akteure.

Also, wenn wir Somalia in Ruhe lassen könnten, wäre alles besser?

Das denke ich, ja, weil sie sich dann sortieren könnten. Zwischen 2004 und 2006 machte die Union Islamischer Gerichte (ICU) die Sache OK. Und dann, Weihnachten 2006, kamen äthiopische Panzer, löschten sie aus und die al-Shabaab formierte sich. Sharif Sheikh Ahmed war der Vorsitzende der ICU. Dann wird er Präsident. Was ist da los? Das war ein Beispiel für die Interessen der somalischen Nachbarn. Sie wollen sich selbst schützen und fügen damit Somalia Schaden zu.