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Junge Menschen aus ganz Europa erzählen uns von ihren Schulden

Heutzutage haben Menschen zwischen 20 und 30 weniger Geld als ihre Eltern und Großeltern damals. Wir wollten herausfinden, wie sich das auf die einzelnen Menschen auswirkt.

Ein Berliner Student protestiert gegen Studiengebühren | Foto: imago | Müller-Stauffenberg

Zum Dasein als Millenial gehört es inzwischen schon fast dazu, irgendeinem Menschen oder irgendeiner Organisation Geld zu schulden. Ja, wir haben als Generation zwar die Fähigkeit, Haustiere auf Instagram berühmt zu machen, aber finanziell gesehen geht es uns schlechter als den Generation vor uns. Ob BAföG-Schulden, private Studienkredite, hohe Mieten oder das neueste Smartphone. Die Aussicht darauf, irgendwann mal ein Haus oder ein Grundstück zu besitzen, ist für viele von uns zur Utopie verkommen.

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Wir wollten uns nun damit beschäftigen, wie sich das tatsächlich alles auf einzelne junge Menschen auswirkt. Deswegen haben wir unsere europäischen Kollegen darum gebeten, mit Vertretern aus dem jeweiligen Land zu reden und dabei herauszufinden, wie diese mit ihrem Schuldenberg klarkommen. Wir selbst haben natürlich auch jemanden gefunden.

Foto: Daniel Sigge

Francesca, 30, Deutschland

Früher habe ich für eine Galerie gearbeitet und sehr gutes Geld verdient. Eines Tages habe ich aber bemerkt, dass ich die Pflichten dort nicht wirklich mochte und ich mehr Zeit für mich brauchte—also habe ich meinen Job geschmissen und kurze Zeit später meine eigene Galerie aufgemacht. Finanziell ist es ab da richtig eng geworden. Ich musste damals mit 800 Euro pro Monat auskommen. Nachdem ich die Miete bezahlt hatte, waren davon vielleicht noch 350 Euro übrig—für alles. Das war kein Leben, das war Überleben. Trotzdem war ich ganz schön glücklich, weil es meine absolute Leidenschaft war, die Galerie mit einer Freundin zu führen.

Vor gut einem Jahr mussten wir dann schließen. Die steigenden Mieten sind uns über den Kopf gewachsen. Jetzt schaue ich erstmal, was kommt. Ich möchte keinen Job haben, in dem ich nicht zu 100 Prozent aufgehen kann. Momentan geht es mir gut, auch wenn ich mit dem wenigen Geld, was mir zur Verfügung steht, auskommen muss. Es gibt einfach Dinge, die wichtiger sind als Geld, und ich bin mir sicher, dass ich auch weiterhin meinen Weg finden werde.

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Foto: Lucia Florence

Max, 22, Großbritannien

Ich musste quasi Schulden aufnehmen, sonst hätte ich nicht studieren können. Nächstes Jahr wird mein Schuldenberg dann 66.000 Pfund [gut 84.000 Euro] umfassen und ich bin erst 22 Jahre alt. Wie soll es dann für mich weitergehen? Das belastet mich wirklich sehr.

Derzeit mache ich ein offizielles Überbrückungsjahr, das man nimmt, um Praktika zu absolvieren. Das Konzept an sich finde ich sehr gut, weil mal so theoretisch viel Erfahrung sammeln kann. Leider sieht die Realität dann so aus, dass die Praktika in London quasi immer noch alle unbezahlt sind und dass die Studienkredit-Unternehmen einem während dieser Zeit nicht so viel Geld zur Verfügung stellen. In anderen Worten: Ich sollte also unentgeltlich arbeiten und dazu noch 6.000 Pfund [gut 7.600 Euro] weniger finanzielle Unterstützung bekommen. Wenn ich also ausschließlich von diesem Darlehen leben würde, blieben mir im kompletten Jahr nur 3.000 Pfund [gut 3.800 Euro], um meine Miete zu bezahlen. In London zu wohnen, ist damit unmöglich. Und ganz ehrlich: Das Darlehen hat auch so nie gereicht, um meine Miete zu decken.

Deswegen musste ich leider auch ein richtig gutes Praktikum abbrechen, das sogar als Teil meines Studiums zählte. Ich konnte es mir einfach nicht mehr leisten, unentgeltlich zu arbeiten. Ich bin dann auch erstmal zurück zu meinen Eltern nach Portsmouth gezogen, aber inzwischen wohne ich wieder in London und arbeite Vollzeit als Verkäufer. Ich würde wirklich gerne noch mehr Praktika absolvieren, wenn ich doch schon mal die Zeit dafür habe, aber das ich kann mir nunmal nicht leisten. Was mir dazu noch zusätzliche Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass die durch solche Praktika erworbenen Fähigkeiten schon fast Voraussetzung für die Jobs sind, die ich später mal haben will.

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Etienne, 24, Frankreich

Seit einigen Jahren komme ich nach einem halben Monat immer wieder zur gleichen Erkenntnis: „Scheiße, ich bin schon wieder pleite." Da ich derzeit jedoch ein Praktikum in Paris mache, geht das nunmal nicht anders, denn wenn ein Unternehmen hier einen Praktikanten für mehr als zwei Monate anstellt, muss es ihm mindestens 3,60 Euro die Stunde zahlen. Für eine Stadt wie Paris ist das jedoch viel zu wenig. Und wenn das Praktikum keine zwei Monate dauert—so wie das bei mir der Fall ist—, dann muss dem Praktikanten gar nichts bezahlt werden.

Als ich zum Studieren nach England ging, nahm ich bei meiner Bank einen Kredit in Höhe von 13.000 Euro auf. Die Summe hätte eigentlich für ein Jahr reichen sollen, war aber schon nach sechs Monaten weg. Ich habe dann einen Teilzeitjob gefunden, durch den ich bleiben konnte, aber ab Oktober muss ich den Kredit zurückzahlen und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich das anstellen soll. Entweder ziehe ich zurück zu meinen Eltern und stottere das Darlehen durch freiberufliches Schreiben ab—ein ziemlich unwahrscheinliches Szenario—, oder ich versuche, einen Job im Marketing an Land zu ziehen, den ich sowieso hassen werde.

Irgendwie wurschtelt man sich halt durch. Zum Glück habe ich zusammen mit meiner Freundin eine kleine Wohnung gefunden, die nur 500 Euro im Monat kostet. Eigentlich mache ich mir bezüglich meiner Zukunft keine wirklichen Sorgen, weil ich weiß, dass ich mich im Notfall immer auf meine Familie und meine Freunde verlassen kann. Ich hasse es jedoch, von einem anderen Menschen finanziell abhängig zu sein, und will auch beim Zurückzahlen des Kredits niemanden um Hilfe bitten.

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Foto: Sarah Buthmann

Ismar, 26, Dänemark

Die Arbeitslosenquote bei jungen Dänen ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten extrem niedrig. Bildung ist dort kostenlos und während des Studiums erhält man als Student einen monatlichen Zuschuss vom Staat. Das Ganze nennt sich „SU" und umfasst pro Nase gut 670 Euro. Durch SU bekommt man dazu noch Zugang zu vergünstigten Studienkrediten (bist zu 400 Euro zusätzlich). Das alles führt dazu, dass junge Dänen im Allgemeinen nicht so viele Schulden anhäufen wie andere europäische Studenten.

Ich bin auf dem Land aufgewachsen, aber mit 17 dann nach Kopenhagen gezogen. Nachdem ich dann nicht mehr bei meinen Eltern wohnte, ging ich viel fort und fing an, mir Klamotten zu kaufen, die ich mir eigentlich gar nicht leisten konnte. Es wurde schon fast zur Gewohnheit, bei meiner Bank anzurufen und zu fragen, ob ich meinen Dispo noch ein wenig weiter überziehen könnte. Im Grunde machte ich das nur, um mir einen gewissen Lifestyle zu ermöglichen.

Ich beschäftige mich nicht allzu häufig mit der Tatsache, dass ich viele Schulden anhäufe. Wenn ich jedoch mal einen beschissenen Tag habe und nur über negative Dinge nachdenke, dann kommt das Ganze schon mal hoch. Dann wird mir auch richtig bewusst, wie unvernünftig ich in Bezug auf meine Finanzen bin, und ich habe das Gefühl, niemals wirklich auf eigenen Beinen stehen zu können.

Aida, 22, Spanien

Als meine Eltern so alt waren wie ich, hatten sie zwar beide nicht studiert, arbeiteten aber trotzdem in gut bezahlten Gastronomiejobs. Damals war es für Spanier ohne Universitätsabschluss ganz normal, einfach nur hart zu arbeiten und dabei so viel Geld zu verdienen, dass ein Haus, zwei Autos, eine private Krankenversicherung sowie einmal im Jahr Urlaub drin waren.

Heute kenne ich keine jungen Leute mehr, die es sich leisten können, so zu leben. Die meisten Jobs werden nicht mehr gut bezahlt, sind nur noch auf Teilzeitbasis und es gibt keine unbefristeten Verträge mehr. Dazu kommt dann noch, dass sich alle um Jobs prügeln—und der Abschluss spielt dabei überhaupt keine Rolle. Selbst bei den guten Anstellungen verdient man weniger als noch vor 15 Jahren, obwohl man mehr Stunden arbeitet.

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Ich bin als Kellnerin tätig und mache dabei nicht genügend Geld, um von zu Hause auszuziehen. Nicht mal für ein WG-Zimmer reicht es. Ich spare mein gesamtes Gehalt, um mein Studium finanzieren zu können, denn die Regierung hat dieses Jahr jegliche Unterstützung gestrichen. Für mich ist das Schlimmste an dieser ganzen Sache jedoch der Gedanke, dass es ganz egal ist, was ich mache, weil ich später sowieso in irgendwelchen beschissenen Jobs feststecken werde.

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Vincenzo, 25, Italien

Italiener werden im Grunde bereits mit Schulden geboren. Da braucht es also gar kein teures Studium mehr. Hier leben Leute unter 34 am ehesten an der Armutsgrenze. Dazu ist es außerdem noch ziemlich schwierig, einen Einstiegsjob zu finden. Das bedeutet, dass man sich für eine Weile erstmal auf seine Familie verlassen muss.

Wenn man irgendwann doch mal eine Arbeit gefunden hat, heißt das allerdings noch lange nicht, dass man dann finanziell gesehen auf eigenen Beinen steht. Ich bin jetzt 25 und arbeite seit zwei Jahren—trotzdem brauche ich zusätzlich noch die finanzielle Unterstützung meiner Eltern, um über die Runden zu kommen. Dabei geht es vor allem um meine Grundbedürfnisse und mein Lebensstil ist garantiert nicht irgendwie extravagant oder so. Ich lebe außerdem noch zu Hause, genauer gesagt in dem Zimmer, in dem ich auch aufgewachsen bin. Während der vergangenen beiden Jahrzehnte sind die Lebenshaltungskosten exponentiell gestiegen, das Durchschnittseinkommen ist jedoch zurückgegangen.

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So verdienen junge Menschen immer weniger und 2012 ist das Ganze auf dem Tiefpunkt angekommen. Deshalb denken Leute in meinem Alter auch garantiert nicht daran, sich ein Haus zu kaufen, zu heiraten oder sich irgendwie niederzulassen—das alles ist einfach viel zu teuer. Natürlich können wir unsere Freunde nicht wissen lassen, wie schlecht es uns eigentlich geht, und deswegen bekommt man von dieser Welle der modernen Armut gar nicht so viel mit. Wir geben einfach das Geld aus, das unsere Eltern und Großeltern während der letzten Jahre des italienischen Wirtschaftsbooms verdient haben. Unterm Strich betrifft dieses Problem fast alle jungen Italiener und wir haben uns in eine Generation von Nörglern verwandelt, denen die Statistiken recht geben.

Zara, 26, Irland

2012 habe ich mein Masterstudium abgeschlossen. Es war nicht gerade einfach, die Uni hinter mir zu lassen, weil ich ja wusste, dass es keine Jobs gibt. Ich habe meine Masterarbeit abgegeben und mich quasi gleichzeitig arbeitslos gemeldet. So kam es auch, dass ich mit der Miete und anderen Rechnungen hinterherhing und Angst bekam, aus meiner Wohnung geschmissen zu werden. Da ich damals erst 24 war, standen mir pro Woche nur 144 Euro Arbeitslosengeld zu—und davon gingen 100 Euro direkt für die Miete weg.

44 Euro als Lebensgrundlage waren für mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich konnte mir gerade so die nötigsten Lebensmittel leisten, nahm immens ab und es ging mir zunehmend schlechter. Dazu musste ich mir ständig Geld leihen, um meine Rechnungen bezahlen zu können. Ich hatte also immer Schulden. Der absolute Tiefpunkt kam dann, als mir einen Tag vor Heiligabend mein Arbeitslosengeld aus der Tasche geklaut wurde. Ich steckte also in Dublin fest und konnte es mir nicht leisten, über Weihnachten nach Hause zu fahren. Seit ein paar Jahren habe ich weder Ahnung, wie viel ich eigentlich wert bin, noch die Möglichkeit, mich in irgendeiner Art und Weise beruflich weiterzuentwickeln. Ich schlage mich mit Gelegenheitsjobs durch und verdiene dabei nur wenig Geld. Nicht gerade die beste Motivation.

Inzwischen habe ich mich jedoch damit abgefunden, dass es hier einfach keine Option darstellt, ein Haus oder ein Auto zu besitzen. Selbst ein Führerschein ist derzeit einfach nicht drin, weil das alles zu viel kostet. Ich persönlich finde es richtig beschissen, dass die Iren quasi ums Überleben kämpfen müssen, während die Banken nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Viele Familien sehen sich mit der Obdachlosigkeit konfrontiert, junge Menschen ziehen weg und diejenigen, die nicht wegkommen, haben mit einem immensen Schuldenberg zu kämpfen und stehen vor einer düsteren Zukunft. Trotzdem unternimmt der Staat nichts gegen die Menschen und Unternehmen, die für die ganze Misere verantwortlich sind.