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Wie die Nazis das Kondom-Imperium eines jüdischen Geschäftsmanns zerstörten

Julius Fromm war ein armer jüdisch-polnischer Einwanderer, der in Berlin das moderne, nahtlose Kondom sowie den Kondomautomaten erfand, bevor die Nazis seine Firma „arisierten". Er starb im Exil, bevor er sein Geschäft wiederaufbauen konnte.
Archivbild

Foto: Sk Slezska | Wikimedia Commons | CC BY-SA

Du hast wahrscheinlich noch nie von Julius Fromm gehört, aber wenn du schon einmal verzweifelt eine Münze in einen Automaten geworfen hast, dir ein Kondom in die Tasche gestopft und dich dann auf den Weg zu betrunkenem, mittelmäßigen—aber geschütztem—Sex gemacht hast, dann hast du das ihm zu verdanken. Fromm hat das moderne, nahtlose Kondom sowie den Kondomautomaten erfunden. Der jüdische Pole wanderte als Kind nach Deutschland ein, wo er 1922 die extrem erfolgreiche Kondommarke Fromms Act gründete und ein paar Fabriken eröffnete, die zum Nachkriegs-Boom auf dem Verhütungsmarkt gerade recht kamen.

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Dann kam Hitler an die Macht. Innerhalb weniger Jahre hing in einer Fabrik-Kantine eine Hakenkreuzfahne—sie gehörte zwei führenden Mitarbeitern, die bereits früh in die NSDAP eingetreten waren—und 1937 wurden Fromms Familie und angeblich unsittliche Kondommarke zum Ziel einer Hetzkampagne im Stürmer.

Fromm floh 1938 im Alter von 55 Jahren nach London. Er hatte immer gehofft, nach Deutschland zurückkehren und seine Fabriken wiedereröffnen zu können, doch er starb nur wenige Tage nach Ende des Zweiten Weltkriegs in London. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihn die deutsche Regierung bereits gezwungen, seine Firma an Baronin Elisabeth von Epenstein-Mauternburg, eine Patentante Hermann Goerings, zu verkaufen. Wir haben uns mit dem Historiker und Journalisten Michael Sontheimer, Mitautor von Fromms: Wie der deutsche Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel, über Fromms Leben, sein Vermächtnis und das Kondomgeschäft der 1920er unterhalten.

VICE: Niemand scheint wirklich viel über Julius Fromm zu wissen, obwohl er so wichtig im Kondomgeschäft war. Wie bist du auf ihn gestoßen?
Michael Sontheimer: Ich bin in Westberlin aufgewachsen, und wir haben Kondome immer Fromms genannt, ohne wirklich zu wissen, warum. Viel später erfuhr ich, dass es eine Familie Fromm gab, darunter einen Unternehmer und Chemiker namens Julius Fromm. Als ich herausfand, dass er einen Sohn namens Eddie Fromm hatte, der in London lebte, habe ich Eddies Adresse ausfindig gemacht und ihn angerufen, um die Familiengeschichte zu erforschen.

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Und wie lautete die?
Die Fromms waren eine sehr arme jüdische Familie, die aus dem heutigen Polen—damals gehörte der Teil noch zum Russischen Reich—nach Berlin zog, um dort ein neues Leben anzufangen. Offensichtlich war Julius Fromm einer dieser jungen jüdischen Männer, die hart gearbeitet haben, weil sie etwas aus ihrem Leben machen wollten, indem sie der Niedriglohnarbeit entkamen. Ich habe zufällig in Berlin nur zwei Häuser von der Adresse gewohnt, an der Fromm anfing, in einem schäbigen Zimmer im Hof seines Hauses Kondome herzustellen. Die Nachfrage war hoch und sein Erfolg so enorm, dass er innerhalb von zehn Jahren drei Fabriken hatte. Er hatte es geschafft, ein Produkt zu finden, das sehr wichtig und gefragt werden würde.

Was war das Interessanteste, das du bei deinen Nachforschungen über Fromm erfahren hast?
Er war ein ziemlich genialer Geschäftsmann. Als er anfing, verdiente er so gut wie nichts, denn sein Job war es, Zigaretten zu drehen. Dann fing er an, abends Chemieunterricht zu geben, und schließlich hatte er die geniale Idee, dass Verhütung immer wichtiger werden würde. Er diente all diesen wirklich intelligenten jüdischen Geschäftsleuten in Berlin als Vorbild und trug zur deutschen Wirtschaft bei, bevor eine wahnsinnige Regierung sich dazu entschied, die Juden auszulöschen.

Wie ging er denn vom Zigarettendrehen zum Chemieunterricht über?
Anfangs hat Fromm nicht nur Kondome hergestellt, sondern auch Handschuhe und Schnuller. Doch selbst sein Sohn Eddie weiß nicht, warum Julius sich für Chemie entschied.

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Haben sich die Deutschen von Anfang an für seinen Erfolg interessiert?
In den 1920ern gab es viele jüdische Geschäftsleute mit großartigen Karrieren, und es war nicht wirklich wichtig, dass sie jüdisch waren. Vor der Machtergreifung der Nazis ging es nicht wirklich um Antisemitismus. Als die Nazis das Land übernahmen, hatte Fromm sogar einige arische [sic] Deutsche, die für ihn arbeiteten und denen er Firmenanteile verkaufte. Dann wurde er später gezwungen, Fromms Act an eine Frau zu verkaufen, die Hermann Goering sehr nahestand. Es ist eine seltsame Geschichte, denn Hermann Goering erhielt dafür im Gegenzug zwei österreichische Burgen.

Was hatte Julius davon?
Die Familie Fromm musste nach London fliehen, also hat Julius etwas von dem Geld aus der Firma bekommen—viele andere Juden erhielten keinerlei Kompensation. Er schaffte es nach London, und somit überlebten er und seine drei Söhne den Holocaust.

Julius Fromms Stolperstein vor der Friedrichshagener Straße 38 in Berlin-Köpenick | Foto: OTFW | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Er wusste also, dass sich etwas zusammenbraute, und floh deswegen?
Alle wussten, dass etwas passieren würde. Er hat den Holocaust zum Glück überlebt, doch nach dem Krieg haben die russischen und ostdeutschen Kommunisten ihn enteignet. Ihre Begründung lautete: „Fromm war ein böser Kapitalist, also sollte die Familie die Firma nicht zurückbekommen." Zuerst haben die Nazis sie von der Rückkehr abgehalten, dann die Kommunisten. Am Ende haben die drei Söhne wieder angefangen, Kondome herzustellen, aber die ursprünglichen Fabriken in Ostdeutschland waren alle weg.

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Das ist doch lächerlich. Die ganze Geschichte klingt wie etwas aus einem Film.
Es gab sogar Filmproduzenten, die daran interessiert waren, aber es hat nicht geklappt, weil es keine zentrale Liebesgeschichte gab. Und außerdem sind Kondome ein Produkt, das sich irgendwie nicht so leicht in einen Film verwandeln lässt. Die Leute haben eine gewisse Scheu vor diesem Thema.

Ist es wahr, dass Julius den Kondomautomaten erfunden hat?
Ja, er hat sich sehr für PR und Werbung interessiert, weswegen ihm schon früh klar war, dass ein gutes Produkt allein nicht ausreicht. Man musste es auch interessant machen.

Wo standen die Automaten?
Wie heute auch standen sie damals in öffentlichen Toiletten oder an Orten, die nicht sofort einsehbar sind.

Ich habe gelesen, dass sich die Formel für die Kondomherstellung kaum geändert hat, seit Fromm die Methode eingeführt hat, bei der Glasformen in eine Lösung getaucht werden, um nahtlose Hüllen herzustellen. Ist das wirklich auch genau die Methode, die heute eingesetzt wird?
In den 1920ern, als Julius Fromm Kondome herstellte, waren die Fabriken voller Arbeiter, während heute alles vollautomatisch ist. Doch das Grundprinzip einer gläsernen Penisform, die in eine Latex-Emulsion getaucht wird, ist gleich geblieben. Sie haben in Fromms Fabriken viele Tests durchgeführt, um sicherzugehen, dass die Kondome hundertprozentig sicher und frei von Löchern waren. Die Arbeiter haben sie aufgeblasen wie Ballons; wenn sie nicht geplatzt sind, waren sie sicher. Und heute wird das automatisch von einer Maschine gemacht: Sie werden aufgeblasen, bis sie richtig groß sind. Es ist ziemlich faszinierend, wie groß sie werden, bis sie platzen.

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Ist das eine Testmethode, die Fromm erfunden hat?
Ja. Er war bekannt dafür, eine hervorragende Garantie und ein hochwertiges Produkt zu bieten.

Dein Buch erzählt auch von den Beziehungen, welche die Familie Fromm mit Prominenten hatte. Kannst du mir mehr darüber erzählen?
Julius ältester Sohn Max war Schauspieler und ist 1933 nach seiner Theaterausbildung in Berlin aus Deutschland geflohen. Er landete in Frankreich, wo er in den 1960ern mit Bert Lancaster in Hollywood-Filmen mitspielte. Als blonder Mann musste er oft Nazis spielen—in Der Zug, einem bekannten Film über Kunstraub während der Nazi-Besatzung Frankreichs, spielte er einen Gestapo-Beamten. Das ist recht tragisch und passierte einigen deutschen Flüchtlingen, die in Hollywood landeten: Sie mussten die Nazis spielen.

Wie hat Fromm für seine Produkte geworben?
Er hat offen geworben. Es gab in der Weimarer Republik der 1920er eine große Debatte darüber, ob man öffentlich in Werbungen und Magazinen für Kondome werben dürfen sollte, denn Kondomwerbungen waren verboten. Fromm umging das Verbot mit einigen Tricks, zum Beispiel standen in Läden Schilder, auf denen es hieß: „Hier gibt es die berühmten Gummischwämme von Fromms". Natürlich wussten alle, dass es gar nicht um Schwämme ging. Wenn man ein solches Schild in einem Laden gesehen hat, dann konnte man hingehen und nach Kondomen fragen.

Denkst du, er hatte mit dem Verlust seiner Firma zu kämpfen?
Ja, es war für ihn ziemlich furchtbar. Er wohnte in London und hatte nichts zu tun, nachdem er in Deutschland eine große Fabrik geleitet hatte. Er wartete immer darauf, dass der Krieg vorbei war, damit er nach Deutschland zurückkehren und seine ganze Firma und die Fabriken wiederaufbauen konnte, und dann starb er tragischerweise nur Tage nach Kriegsende im Mai 1945. Er stand morgens auf, wollte die Vorhänge öffnen, fiel um und das war's dann. Er hatte so sehr gehofft, seine Firma zurückzubekommen.