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Warum UNHCR die Flüchtlingsarbeit in Griechenland beendet hat

„Die Fortführung unserer Arbeit würde uns zu Komplizen eines Systems machen, das wir als unfair und unmenschlich ansehen."

Am Sonntag den 20. März ist der sogenannte EU-Türkei-Deal offiziell in Kraft getreten. Diese Vereinbarung sieht vor, dass die Europäische Union künftig Flüchtlinge, die über das Meer nach Griechenland kommen, zurück in die Türkei schicken kann.

Gleichzeitig verpflichtet sich die Europäische Union, für jeden zurückgeschickten Refugee einen Syrer oder eine Syrerin aus der Türkei nach Europa zu holen. Im Gegenzug erhalten türkische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Visa-Freiheit und die Türkei finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe.

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Um diese Rückführung der Geflüchteten in die Türkei zu ermöglichen, wurden auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos sogenannte Hotspots eingerichtet, in denen Refugees festgehalten werden sollen, bis sie in die Türkei zurückgebracht werden. Bereits im Vorfeld wurden diese Hotspots, aber auch der EU-Türkei-Deal als Ganzes, massiv kritisiert und es kam zu Protesten auf den griechischen Inseln.

Die Versorgung der Geflüchteten auf den Inseln, sowie deren Weitertransport auf das griechische Festland wurden bisher hauptsächlich mit der Unterstützung von UNHCR und Ärzte ohne Grenzen organisiert und gewährleistet. Nach dem Inkrafttreten des Paktes zwischen der EU und der Türkei haben aber beide Organisationen angekündigt, ihre Arbeitaus Protest einzustellen. Der Hauptkritikpunkt der beiden NGOs ist vor allem, dass aus ihrer Sicht damit die Hotspots oder Flüchtlingszentren zu Gefängnissen geworden sind.

„In Übereinstimmung mit unserer Politik, eine zwangsweise Inhaftierung abzulehnen, haben wir einige unsere Tätigkeiten in allen geschlossenen Zentren auf den Inseln beendet", erklärte UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming am Dienstag in Genf.

Auch die grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun kritisierte die zwangsweise Festhaltung Flüchtender in einer Aussendung: „Haft für Schutzsuchende, nur weil sie einen Asylantrag gestellt haben, ist schlichtweg rechtswidrig. Sie widerspricht dem Grundsatz, dass keine Strafen nur wegen der Asylantragstellung verhängt werden dürfen. Sie widerspricht der EU-Asylverfahrensrichtlinie und dem Grundgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention."

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UNHCR und Ärzte ohne Grenzen erklärten aber gleichzeitig, dass man die menschenrechtliche Situation in Griechenland—sowohl auf den Inseln, als auch in Idomeni, wo sich am Dienstag zwei Männer aus Verzweiflung selbst angezündet haben—weiterhin beobachten werde und auch lebensrettende Maßnahmen an den Küsten weiterhin stattfinden werden.

Der Einsatz in den Lagern sei aber definitiv beendet: „Den Menschen wird nicht mehr erlaubt, die Lager zu verlassen, sie sind eingesperrt. Wir haben die extrem schwierige Entscheidung getroffen, unsere Aktivitäten zu beenden, weil uns die Fortführung der Arbeit zu Komplizen eines Systems machen würde, das wir als unfair und unmenschlich ansehen. Wir werden nicht zulassen, dass unsere Hilfe für eine Massenabschiebung instrumentalisiert wird", erklärte Marie Elisabeth Ingres, Landeskoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen am Dienstag in Athen.

Seit dem Inkrafttreten des Deals zwischen der Europäischen Union und der Türkei wurde von Tag zu Tag deutlicher, dass es Griechenland an Personal und Kapazitäten für die Umsetzung des Paktes fehlt. Ein Umstand, auf den UNHCR bereits vor Wochen hingewiesen hat und den auch der griechische Premier Alexis Tsipras in einem Telefonat mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag erneut hervorhob. Laut dem griechischen Regierungschef fehlen 2.300 Experten, Dolmetscher und Juristen. Tsipras forderte außerdem eine Intensivierung des NATO-Einsatzes gegen Schlepper in der Ägais, wie seine Sprecherin Olga Gerovasili nach dem Telefonat mit Merkel mitteilte.

Indes spitzt sich die Lage in den Flüchtlingszentren auf den Inseln immer weiter zu, denn UNHCR war unter anderem auch für die Versorgung mit Trinkwasser verantwortlich. Wie mehrere Aktivisten vor Ort gegenüber VICE berichten, machen derzeit nicht nur die hygienischen Bedingungen den Menschen zu schaffen, sondern auch der Mangel an Nahrung und Trinkwasser.

Weiterhin unklar ist auch, was mit den über 50.000 Schutzsuchenden passieren soll, die schon auf griechisches Festland gebracht wurden und auch nach dem Flüchtlingspakt nicht mehr in die Türkei zurückgebracht werden können. Hinzukommt, dass Amnesty International am Mittwoch der Türkei ebenfalls vorwarf, Flüchtlinge gegen geltendes Recht in Gefängnissen festzuhalten. Außerdem hat bis jetzt kein einziger EU-Mitgliedsstaat offiziell bestätigt, tatsächlich Syrerinnen und Syrer direkt aus der Türkei ins eigene Land zu holen. Das sieht bis jetzt lediglich der Deal am Papier vor.

Paul auf Twitter: @gewitterland