Mann raucht Crack

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Willkommen in Crack City

Wir haben im Bahnhofsviertel von Frankfurt einen Tag mit den Cracksüchtigen verbracht – die sich nach den guten, alten Heroinzeiten sehnen.

Hans (48) hat zwei Regeln aufgestellt, bevor er sich einen Schuss setzt oder Steine raucht: Sein Labrador muss für den Tag mit Essen versorgt sein, und er möchte Leuten um ihn herum „nicht auf den Sack gehen". Hans ist obdachlos, hat Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium und gibt sich selbst „nicht mal mehr ein Jahr". Neben ihm sitzt Robert (47), dessen buckeliger Rücken sich im rechten Winkel krümmt. HIV lässt ihm eine ebenso hohe Lebenserwartung wie Hans.

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Die beiden Alt-Junkies sitzen in der Frankfurter Taunusanlage, wo sich in den Achtzigern mitunter mehrere hundert Süchtige in gewaltigen Drück-Orgien die Nadeln setzten. Heute können Hans und Robert hier in Ruhe ihr Crack rauchen. Es knackt und knistert, als Hans sein Gasfeuerzeug ansetzt, dann riecht es ätzend-süß, nach verbranntem Plastik und Ammoniak. Hans redet nach dem Ausatmen ebenso so trocken wie zuvor: „Ich hab' mir heut Vormittag auch schon drei Nadeln gedrückt."

Hans mit Crackpfeife. Alle Fotos vom Autor.

Die meisten Junkies im wenige Meter entfernten Bahnhofsviertel legen den kurzen Weg in die Taunusanlage nur noch selten zurück. Zu groß ist dieser Tage die Gier nach Crack, das die Süchtigen gleich nach Einkauf auf offener Straße rauchen, die Stirn zur Hauswand gedreht, zwischen Autos, in Ladenpassagen. Wer keine Drogen bekommt, sucht kauernd und nägelbeißend nach dem letzten bisschen Großzügigkeit in der Szene. Ein Junkie übergibt sich im unfreiwilligen Kurzentzug am helllichten Tag auf den Gehsteig. Nichts ist mehr heilig, bis auf die Crack-Steine.

Eine ziemlich lokale Angelegenheit

Crack ist in Deutschland eine ziemlich seltene Droge. Obwohl die Boulevardmedien in den 80ern eine Zeitlang propagierten, dass die „ Todesdroge" unmittelbar davor stehe, wie eine Flut über das Land hereinzubrechen, hat Crack kaum Verbreitung gefunden—außer in Frankfurt. Im Bundeslagebild Rauschgift steht Hessen an absolut einsamer Spitze, was Erstkonsumenten von Crack angeht—2013 wurden hier 217 registriert, als nächstes folgt Hamburg mit gerade mal 17.

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Die Droge schlägt hier besonders hart ein, weil die Stadt geografisch zentral liegt und aus aller Welt angeflogen wird. Und es gab hier schon lange eine offen sichtbare Drogenszene im Bahnhofsviertel, in der sich Crack Ende der Neunziger immer weiter ausbreitete. Kokainpulver wird seitdem in der Frankfurter Straßenszene fast nicht mehr verkauft. Die Beliebtheit von Crack steigt währenddessen seit neun Jahren kontinuierlich. Und seit ein paar Jahren sinken die Preise.

Crackdealer mit zwei Kundinnen

Mehr als die Hälfte aller Abhängigen auf dem Kiez konsumiert das Gemisch aus Kokain, Backpulver und chemischen Streckstoffen, berichtet die Polizei, es werde mehr verkauft als Heroin, 97 Prozent aller Drogenabhängigen im Viertel hätten bereits Erfahrungen mit der Droge gemacht. Seit letztem Jahr ist Crack bei den Intensivkonsumenten die Droge Nummer Eins. Zwei Abhängige starben im letzten Jahr durch eine Überdosis Crack in Verbindung mit anderen Drogen.

Im Bahnhofsviertel verflachen durch „Steine" die ohnehin seichten Sitten unter Junkies. Keine Droge macht schneller und stärker abhängig, wird exzessiver konsumiert. Kaum ein Stoff zehrt heftiger am Körper, lässt Gesichter schneller einfallen—zumal die meisten Frankfurter Junkies längst nicht nur von Crack abhängig sind.

Das beschleunigte Siechtum in der Drogenszene vergiftet den ganzen Kiez: Szene-Größen berichten von zunehmender Aggressivität im Bahnhofsviertel. Nicht alle wollen offen sprechen, weil sie Vergeltungsaktionen von Drogendealern befürchten. Die verticken in Einkaufsstraßen und bedrohen Geschäftsinhaber, lagern ihre Waren in Stundenhotels, zwielichtigen Cafés und Rohbauten. Auch lässt die Sucht die Kleinkriminalität auf der Straße steigen. Manche im Viertel sehnen sich nach den Hells Angels als Ordnungsmacht.

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Taunusstraße, 6 Uhr morgens

Der Handel blüht vor allem in der Taunusstraße. Zu Spitzenzeiten zwischen 6 Uhr und 8 Uhr in der Früh sitzt dort alle paar Meter ein Dealer und spricht Passanten an. Für alle, die von der Polizei aus dem Verkehr gezogen werden, steht am nächsten Tag Ersatz bereit. Nordafrikanische und albanische Banden haben die Crack-Szene mal unter sich aufgeteilt, mal auch nicht. Dann schlägt man sich, sticht sich ab. „Hey, Freund, wie geht's, brauchst du was?" Innerhalb von 50 Metern hört man jene Frage zu manchen Tageszeiten bis zu fünf mal.

Dealer in der Taunusstraße

Hans und Robert tut es gut, eine Weile Abstand von allem zu gewinnen. Beide haben sich ihrem Schicksal ergeben und konsumieren dementsprechend viel. Während sich Hans—auch aufgrund einer 17 Jahre langen Haftstrafe wegen Kokainhandel—körperlich einigermaßen gehalten hat, zeigt sich beim erst 47 Jahre alte Robert die bucklige Schrumpfstatur eines doppelt so alten Mannes. Seine unzähligen Leiden verdanke er auch dem Virus, sagt er, aber für die Hautschäden an seinen Unterschenkeln seien Crystal Meth und Crack-Streckstoffe verantwortlich. Robert zieht seine Hosen hoch und zeigt die verhornt-verkrustete Elefantenhaut an seinen Unterschenkeln: „So geht es den meisten hier, weil sich halt nach und nach mehr Leute Crack spritzen."

Obwohl er selbst blank ist, teilt Hans seine Steine mit Robert, die Pfeife wandert langsam zwischen beiden hin und her. Robert schaut vor jedem Zug unruhig über die Taunusanlage. Auf dem Kiez würde beide wohl belagert wie von Geiern.

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„Dort fickt jeder nur noch jeden. Eine Stunde, nachdem die Ware eingetroffen ist, wird es am schlimmsten: Die Leute werden aggro, streiten und schlagen sich", sagt Hans. Sein Junkie-Kollege Hamsa (43), der ebenfalls in der Taunusanlage sitzt, zeichnet ein romantisches Bild von Zeiten, als Heroin noch die beliebteste Droge im Bahnhofsviertel war: „Die Junkies waren damals untereinander befreundet, man unterhielt sich, unternahm gemeinsam Dinge. Doch das ist vorbei." Sieben Tage am Stück seien heutzutage manche Süchtige wach und schafften ununterbrochen Kunden ran, um sich ihre eigene Sucht leisten zu können. Jeglicher Anstand bleibe dabei auf der Strecke.

Hans, Klaus und Robert in der Taunusanlage

Wie Kriminalhauptkommissar Thomas Zosel von der Präventionsabteilung der Frankfurter Polizei berichtet, hat die große Nachfrage nach Crack auch mit dem kurzem Rausch zu tun, den die Droge verursacht: „Zehn Sekunden beträgt meist die Halbwertszeit—wer abhängig ist, braucht also alsbald wieder was." Vorausgesetzt, die Süchtigen können durch eigenes Ticken, Diebstahl, Prostitution oder Betteln die 10 bis 20 Euro beschaffen, die 0,1 Gramm Crack kosten—das reicht für eine Pfeife.

Thomas Zosel kennt die Frankfurter Drogenszene seit Jahrzehnten, ist dort selbst einst Streife gefahren. Seine Kollegen, die dort heute nach dem Rechten sehen, beneidet er nicht: „Beamte werden bedroht und angegriffen. Die Szene ist aggressiver, weil die meisten längst nicht mehr nur auf einer Droge unterwegs sind." Multitoxische Konsumenten nennt man jene Süchtigen, die sich so gut wie alles reinfahren, was sie kriegen können. „Sie tun alles dafür, um sich gut zu fühlen. Doch die weiteren Rauscherlebnisse werden aufgrund des Drecks, der beigemischt wird, nie mehr so gut wie jene zuvor", sagt Zosel.

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Den Verfall im Bahnhofsviertel bekommen vor allem die Ladeninhaber in der Taunusstraße zu spüren. Ein Dealer hat soeben auf dem Fenstersims von „GM Foto" Platz genommen. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich verpissen sollst?", brüllt ein Verkäufer. Ausnahmsweise weicht der Dealer ohne Widerworte. Bernie vom benachbarten „Cream Music" schaut vom Ladeneingang genervt auf entspannte Dealer und die sie belagernden menschlichen Hüllen. „Unsere Umsätze haben durch die Zustände hier bedrohliche Ausmaße angenommen. Kunden bleiben weg oder kommen mit aufgerissenen Mündern in den Laden. Ein Auszubildender hat seine Lehrzeit bei uns verkürzt, weil er den Anblick draußen nicht mehr ertragen hat", erzählt er.

Bernie vor seinem Laden

Die vier Säulen der Polizei

Bernie steht wegen der Drogenszene in engen Kontakt zur Stadt Frankfurt und zu Polizeipräsident Gerhard Bereswill. „Bei der Stadt weiß man um das Problem und ist sehr bemüht. Dort möchte man auch auf keinen Fall, dass wir und GM Foto verschwinden", sagt Bernie. Beide Geschäfte zählen in Deutschland zu absoluten Top-Adressen auf ihrem Gebiet.

Mit einer schlagartigen Verbesserung rechnet jedoch niemand im Bahnhofsviertel. Thomas Zosel zeigt sich gewiss, dass die Zustände in den Griff zu bekommen sind. Doch es braucht Geduld. Dass ein erbitterter „War on Drugs" nichts bringt, haben die USA bewiesen. Dort versuchte die Regierung der Crack-Epidemie in den Achtzigern und Neunzigern mit hohen Gefängnisstrafen für kleine Mengen und mit dem Einsatz von Panzerfahrzeugen in Ghettos Herr zu werden. Die Folgen davon zeigen sich noch heute: Die US-Gefängnisse sind voll von einstigen Crackdealern. Weil der Krieg gegen die Drogen die Polizei in den Staaten massiv hat aufrüsten lassen und die Beamten seit Jahrzehnten rabiat vorgehen, ist das Vertrauen der Amerikaner gegenüber der Polizei auf einem Tiefstand.

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Hamsa drückt sich in der Taunusanlage einen Cocktail aus Crack und Heroin

„Wenn wir von jetzt auf gleich alle Drogen im Bahnhofsviertel beschlagnahmen würden, bräche dort außerdem das absolute Chaos aus. Es muss etwas Stoff auf der Straße bleiben, damit die Leute uns nicht austicken. Für die kranken Menschen muss stattdessen eine Perspektive geschaffen werden", macht Thomas Zosel klar.

Mit dem berühmten „Frankfurter Weg" hat man am Main bereits Heroin und seine Auswüchse eingedämmt: Streetworker fungieren dabei als Vertrauenspersonen für Süchtige, richteten Druckräume ein, in denen sich Junkies mit dem Ersatzstoff Methadon versorgen können, sauberes Spritzbesteck erhalten und Drogenhelfer nach der Gesundheit der Süchtigen schauen können. Mittlerweile finden rund Dreiviertel des intravenösen Konsums von Heroin in den Druckräumen statt. „Auf diesem Weise kommt man mit den Abhängigen auch am einfachsten in Kontakt und kann sie im Bestfall zum Ausstieg bewegen", sagt Zosel. „Denn sinkt irgendwann die Nachfrage, sinkt auch das Angebot."

Kommende Woche entsteht in der Frankfurt Niddastraße daher auch der zweite Rauchraum, in dem Cracksüchtige konsumieren können. Allerdings bezweifeln viele, ob jene Einrichtungen im Fall von Crack sinnvoll sind. Schließlich lässt sich die Droge rasch auf der Straße rauchen, wohingegen sich Fixer länger auf den Heroin-Schuss vorbereiten müssen und dabei etwas Ruhe begrüßen. Allerdings wird Crack in der offenen Drogenszene im Bahnhofsviertel in jüngster Zeit immer häufiger auch gedrückt.

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Tom Holz ist Streetworker beim Projekt OSSIP, das für „Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention, Prävention" steht. Die Stadt Frankfurt hat das Projekt vor elf Jahren gegründet, damit die Streetworker gemeinsam mit der Polizei die Situation für die Drogenkonsumenten und die von der offenen Drogenszene im Bahnhofsviertel betroffenen Bürger verbessern. Holz befürwortet eine Entkriminalisierung von Crack und die kontrollierte Abgabe von sauberen Stoff: „In Holland gab es Projekte, bei denen sich Abhängige in Konsumräumen auch gleich bei den so genannten Hausdealern relativ saubere Drogen wie Heroin, Kokain und Crack zu einem vernünftigen Preis kaufen konnten. Dies führte zu einer spürbaren Beruhigung des öffentlichen Raums, war aber nach sieben Jahren nicht mehr politisch gewollt und wurde unterbunden." Tom Holz sorgt sich hauptsächlich um die Gesundheit der Crack-Süchtigen. Denn bekommen die Drogenhelfer die Abhängigen nicht zu Gesicht, sind diese auch viel eher der Verelendung preisgegeben.

Roberts Beine

Bei der Frankfurter Polizei setzt man weiterhin auf die „vier Säulen": Prävention, Beratung/Therapie, Überlebenshilfen und Repression. Welche genauen Maßnahmen letztere Säule in Sachen Crack enthält, dazu möchte sich Kriminalhauptkommissar Thomas Zosel nicht äußern—auch weil die Maßnahmen nicht immer offen zu sehen seien. Den Dealern im Viertel werde das Leben jedoch so schwer wie möglich gemacht. „Sie so zu überführen, dass sie verschwinden, ist jedoch nicht immer einfach. Die kleinen Mengen, mit denen einige erwischt werden, reichen meist nicht für Inhaftierungen", sagt Zosel. Auch lernten die Dealer trotz noch so akribischen Vorgehens der Polizei immer weiter dazu. Zosel sieht die Polizei dennoch „auf einem guten Weg", auch wenn sie alleine das Problem niemals werde lösen können: „Es braucht auch mutige Bürger, die beobachten und Anzeige erstatten."

Die gesundheitlichen Folgen ihres Konsums nehmen Hans und Robert mit in die Taunusanlage. Doch beide wollen sich nicht den niederen Instinkten ergeben, die im Bahnhofsviertel an der Tagesordnung stehen. „Wenn man sich nicht ein wenig Menschlichkeit bewahrt, ist eh alles vorbei", findet Hans, mit dem man sich trotz eines üppigen Drogencocktails noch gut unterhalten kann. Er betont, dass er selbst im größten Rausch noch darauf achte, die Hinterlassenschaften seines Konsums zu beseitigen: „Am Ende treten noch Kinder oder Hunde in die Spritzen."

Es gab Zeiten, da gaben auch Hans und Robert einen feuchten Dreck auf jede Rücksicht. In den Achtzigern, als sich Fixer aller Länder in der Taunusanlage einen neuen Stadtteil einrichteten. Von solchen Zuständen sind der Park und das benachbarte Bahnhofsviertel noch weit entfernt. Doch Crack funktioniert anders. Mit nichts lässt es sich schneller seiner Würde entledigen. Nichts bemächtigt sich schneller Körper und Geist. Auch ist kein anderer Stoff so gut in der Lage, sein nüchternes Umfeld schneller mit in den Abgrund zu ziehen.

Was auch immer die Droge aus dem Bahnhofsviertel macht, Hans und Robert werden es nicht mehr miterleben. Es ist wohl der letzte Sommer, in dem sie Crack rauchen.