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Wirre Welt

Mit Bullshit in den Untergang – So ticken Verschwörungstheoretiker

Muss man wissen.
Eine Verschwörerdemo Anfang 2015 (Foto: Stefan Lauer)

Es ist kalt an diesem Samstagnachmittag, ich befinde mich auf einer kleinen Demo des verschwörungsideologischen Bündnisses „Endgame" und lausche der Rede des Szenestars Christoph Hörstel. Flüchtlinge kämen nicht zufällig nach Deutschland, erfahre ich, „eine riesige Organisation" sei nötig, um „so viele Menschen in Marsch zu kriegen". Die „Verbrecherpolitiker" führen Krieg in Nahost, um die Menschen zur Flucht zu zwingen und installieren gleichzeitig bewusst Fremdenhass in Europa, damit es bald „kracht".

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Was genau damit erreicht werden soll, verrät der ehemalige TV-Journalist nicht, der auf seiner Facebook-Seite regelmäßig den nahen Untergang prophezeit. Hörstel breitet eine Weltsicht aus, in der es keine abstrakten Vorgänge gibt. Politische Ereignisse gehen direkt auf Entscheidungen bestimmter Akteure zurück, die einen übergeordneten Plan verfolgen und problemlos in der Lage sind, ihn durchzusetzen. Mir drängt sich aber der Verdacht auf, dass hier Bullshit erzählt wird …

Kürzlich hat eine Forschergruppe um den kanadischen Psychologen Gordon Pennycook nachgewiesen, dass manche Menschen schlichtweg nicht in der Lage sind, Bullshit von fundierten Informationen zu unterscheiden. Daher neigen sie zu Esoterik und Verschwörungstheorien. Pennycook et. al. stützten sich auf die Bullshit-Definition des Philosophen Harry Frankfurt. Ein „Bullshitter", argumentiert Frankfurt, interessiere sich nicht dafür, ob es stimmt, was er sagt. Im Gegensatz zum Lügner, der die Wahrheit genau kenne und manipuliere, verfolgt er ein anderes Kommunikationsziel. Eventuell möchte er etwas verkaufen oder ein Publikum von sich begeistern, jedenfalls formuliert der Bullshitter vage Aussagen, die plausibel klingen—egal, ob sie zutreffen oder nicht.

Die Psychologen legten ihren Testpersonen sinnbefreite Pseudo-Weisheiten vor, die sie unter anderem mit dem „Bullshit-Generator" von Seb Pearce erstellt hatten. Per Email frage ich den australischen Programmierer, wie er auf die Idee zu diesem Tool gekommen ist.

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Der Mann hinter dem Bullshit-Generator

Als Teenager sei er in die New-Age-Szene gerutscht, antwortet Pearce. „Ich habe Jahre damit zugebracht, Bücher zu lesen und Rednern zuzuhören, die versprachen, man könne negative Dinge im Leben einfach eliminieren." Doch mit der Zeit seien ihm Zweifel gekommen, zumal das Verhalten der Gurus oft ihren Lehren widersprach. Daher habe er sich von der Szene abgewandt. Als er dann viele Jahre später ein Video einer philosophischen Debatte mit Deeprak Chopra sah, bemerkte Pearce, dass der Esoteriker und Multimillionär allen Argumenten seiner Kontrahenten auswich und stattdessen versuchte, das Publikum mit pseudo-wissenschaftlichen Floskeln zu beeindrucken. Offensichtlich nutzte er die Gelegenheit, um seine Produkte zu bewerben.

Wie könne es sein, dass heute—in einer Zeit, die als aufgeklärt gilt—esoterische Weltbilder und Verschwörungstheorien so stark verbreitet sind, frage ich weiter. Pearce glaubt nicht, dass wir in einer rationalen Welt leben. „Die Menschen sind zum Bullshit veranlagt." Sie leiden unter Anpassungsdruck, dem Wunsch, gemocht zu werden, aber auch persönlichem Frust. Die Narrative des New-Age fallen daher auf ebenso fruchtbaren Boden wie die der Verschwörungstheoretiker oder religiösen Fundamentalisten. „Sobald wir anfangen, diese Geschichten zu glauben, suchen wir nach Beweisen dafür und ignorieren Gegenbeweise. Dann bilden wir Stämme und verteidigen unseren Bullshit gegen den Bullshit der Anderen." Rationalität sei generell selten.

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Doch worin unterscheidet sich authentische Kritik, etwa in Bezug auf die politischen Verhältnisse oder die Medien, von diesem Bullshit? Die wichtigste Differenz sei die Bereitschaft, einzusehen, dass man auch falsch liegen könnte, glaubt Pearce. Verschwörungstheoretiker hingegen seien auf emotionale Befriedigung aus. Es ginge ihnen eigentlich nicht um die Wahrheit, sondern um das Gefühl, zu einer Elite zu gehören, die besser als die „Schafe" um sie herum weiß, was gespielt wird. Diese Illusion von Überlegenheit sei attraktiv, gerade für Menschen, die sich in anderen Bereichen ihres Lebens machtlos fühlen würden, behauptet Pearce.

Von der Subkultur in den Mainstream

Bullshit und Verschwörungstheorien gibt es vermutlich schon, seit Menschen versuchen, sich ihre Umwelt zu erklären. Die meisten der Sujets, die wir bei heutigen Truthern wie den Demonstranten von „Endgame" beobachten können, gehen jedoch auf eine US-Subkultur zurück, behauptet die britische Kulturwissenschaftlerin Clare Birchall in ihrem Buch Knowledge goes Pop.

Anfang der 1970er Jahre traf die Roman-Trilogie Illuminatus! von Robert Shea und Robert Anton Wilson den Nerv einer Generation, die sich von den Studentenprotesten eine Revolution erhofft hatte und enttäuscht worden war. Zu dieser Zeit entstand eine Szene, die vor allem mittels kopierter Fanzines kommunizierte. Deren Anhänger nahmen Elemente der Gegenkultur auf und mischten sie mit den Ausdrucksformen von New Age, Ufologie, Hacking und Cyberpunk, später auch der Rhetorik rechter Militia-Gruppierungen. Ernst und Satire gingen ineinander über.

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In den 1980er Jahren präsentierte Mae Brussel in ihrer Radio-Show „World Watchers International" ständig neue Variationen der Theorie vom Kennedy-Mord. Als die Moderatorin 1988 an Krebs starb, mutmaßten ihre Fans, sie sei in Wirklichkeit von eben jenen einflussreichen Kreisen ermordet worden, denen sie auf der Spur war. Andere Alternativmedien traten an ihre Stelle, etwa Al Hidell mit seinem 1992 gestarteten Fanzine Paranoia oder Ron Bonds, der das Verschwörungsgenre mit dem Verlag „IllumiNet" kommerziell erfolgreich vermarktete. Dort erschienen unter anderem Romane wie Mind Control, World Control von Jim Keith. Gleichzeitig gelang der pseudo-investigativen Wahrheitssuche in den 1990ern aber auch der Sprung in den Mainstream, etwa mit Oliver Stones Film JFK oder der Serie Akte X.

Dass UFOs und Außerirdische nach der Jahrtausendwende etwas in den Hintergrund rückten, könnte daran liegen, dass dieses Thema in Akte X und Klon-Formaten wie Roswell oder Dark Skies massiv ausgeschlachtet wurde. Auf jeden Fall aber erlebten die politischen Verschwörungen eine neue Konjunktur nach 9/11. Das Internet bot bessere Möglichkeiten der Verbreitung: zuerst Newsgroups, dann Websites und schließlich die aktuell üblichen YouTube-Videos. Nicht zuletzt nützte der Aufstieg des Online-Buchhändlers Amazon den kleinen Verschwörungsverlagen, die heute ein breites Publikum erreichen können. Auch Michael Moores Film Fahrenheit 9/11 könne man im Kontext eines Eindringens von konspirologischen Ansätzen in den Mainstream sehen, meint Birchall.

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Verschwörungstheoretiker auf der Couch

Es gibt eine Vielzahl von psychologischen Studien, die sich mit dem Phänomen befassen. Jennifer Whitson und Adam Galinsky etwa haben nachgewiesen, dass Menschen, die das Gefühl geringer Kontrolle über ihre Lebensumstände haben und wenig Selbstbestätigung finden, eher als andere glauben, in zufälligen Ereignissen Muster erkennen zu können. Daraus kann ein Hang zu Verschwörungsideologien entstehen. Narzissmus begünstigt irrationale Welterklärungen, allerdings nur, wenn er mit einem niedrigem Selbstwertgefühl und paranoiden Gedanken einhergeht, schreibt eine Forscherinnengruppe um Aleksandra Cichoka. Die Faktoren verstärken sich dann gegenseitig. Anhänger radikaler politischer Strömungen neigen ebenfalls häufiger zu konspirologischem Denken als andere Menschen.

Inhaltlich unterscheiden sich die Verschwörungstheorien von rechts und links zwar zumeist, können sich aber strukturell nahestehen (etwa im Fall der verkürzten Kapitalismuskritik). Grundsätzlich ist es für einen Verschwörungsgläubigen möglich, gleichzeitig verschiedene Theorien für wahr zu halten, die einander inhaltlich widersprechen. Entscheidend ist die grundsätzliche Annahme, dass es großangelegte Manipulationen hinter den Kulissen gibt.

Dieses Wirrwarr ist nicht ungefährlich. Auch der Nationalsozialismus vereinte die Ängste der Menschen und die Widersprüche ihrer Gegenwart in einer einzigen Verschwörungserzählung, meint der slowenische Philosoph Slavoj Žižek.

Was kann man also tun, um der Verbreitung von irrationalen Weltbildern entgegenzuwirken? Die augenfällige Antwort lautet: Aufklärung. Wenn die Menschen mehr wissen, werden sie weniger anfällig sein, oder? Leider nicht. Einer Untersuchung von Miller, Sanders und Farhart zufolge kann Sachkenntnis unter bestimmten Umständen sogar die Bereitschaft erhöhen, an Konspirationen zu glauben. Dann nämlich, wenn die Verschwörungstheorie die eigene Ideologie oder soziale Identität bestätigt. Wenn ich also zum Beispiel Mitglied einer bestimmten Partei bin, werde ich es eher für möglich halten, dass meine politischen Gegner an düsteren Machenschaften beteiligt sind. Anfällig ist demnach nicht, wer keine Ahnung hat, sondern eher derjenige, der mit einer starken Meinung durchs Leben geht—und diese notfalls auch behalten möchte, wenn ihr neue Informationen widersprechen.

Furcht und Unsicherheit, etwa nach einem Terroranschlag, können eine Neigung zu irrationalen Erklärungsmodellen verstärken, haben Valdesolo und Graham nachgewiesen. Dennoch landet nur eine Minderheit bei Gurus wie Hörstel. Nach Attentaten wie dem in Paris steigen zumeist auch die Beliebtheit der amtierenden Machthaber und der Patriotismus an. Der Knackpunkt ist den Sozialpsychologen van Prooijen und Jostmann zufolge das grundsätzliche Vertrauen darin, dass der Staat und seine Institutionen sich in der Regel an das Recht halten. Vertrauen bedeutet nicht unbedingt Zustimmung oder Sympathie. Man kann auch Missstände kritisieren, ohne vertuschte Attentate und Gedankenkontrolle zu unterstellen. Wer aber davon überzeugt ist, dass „denen da oben" generell jedes fiese Mittel genehm und dass ihre Macht unbeschränkt ist, könnte sich schon bald in den Armen der Bullshitter wiederfinden.

Predigergestalten wie Christoph Hörstel verbreiten Erzählungen, die scheinbare Orientierung bieten in einer unübersichtlichen Welt. Was nicht passt, wird passend gemacht. Diese Gegennarrationen sind vor allem dann erfolgreich, wenn auch Mainstreammedien und Politiker zuweilen Stereotypen und emotionalisierende Erklärungsmodelle verwenden, aber bereits das Vertrauen bestimmter Gruppen verloren haben. Mit der Idee, über geheimes Wissen zu verfügen, kann sich der überforderte Einzelne ein Gefühl von Kontrolle zurückholen, das er im Alltag vermisst. Die düsteren Untergangsfantasien enthalten im Kern zumeist eine positive Utopie und den Wunsch nach einer gerechteren Gesellschaft. Verschwörungstheorien bieten aber kein Konzept an, wie die erreicht werden soll, sondern lediglich die Illusion, wertvoller Teil einer erleuchteten Gemeinschaft zu sein, ohne dafür wirklich etwas tun zu müssen. Das ist aber leider Bullshit.