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Campus, Sex und Ravioli

The Erasmus Project, Teil 2: Auf Herbergssuche im herben Belgien

Sara Hassan war ein Semester in Belgien hat für uns Tagebuch geführt. Sehr hilfreich für jene, die so etwas auch machen wollen, so wie Sara, sollte man es nämlich nicht tun.

Sara Hassan hat für uns Tagebuch in Belgien geführt. Hier Teil 1. Unten geht's weiter:

Bis hierhin ein kleiner Zeitsprung: Ich bin mittlerweile stolze Besitzerin einer Supermarktvorteilskarte, kann Hegel auf französisch mit österreichischem Akzent lesen und kann (veritable Leistung!) eine beachtliche Menge an belgischem Bier aufzählen und in der Blutbahn tolerieren.

Aber der Reihe nach—wo waren wir? Also, Brüssel: Da stand ich nun und ließ mir von einem beohringten Bär von Hotelier erklären, dass das hier ein hartes Pflaster und definitiv kein Ort für kleine Mädchen (mein Zustand erlaubte es nicht mal, sich darüber gebührend zu empören) sei—ziemlich sicher fielen auch Begriffe wie verbrannte Erde und Fledermausland, die mich sehr beeindruckten und zum Rückzug bewogen.

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Nach einer schlaflosen Nacht kam ich zu der schrecklichen Erkenntnis: Ich besaß auch keine 90er-Telephonkarte, um den zwielichten Wohnungsdealer zu kontaktieren und mich haargenau in das Nest dirigieren zu lassen, das für die nächsten vier Monate mein Heim sein sollte. Ich muss einen recht verlorenen Eindruck abgegeben haben, denn der Bär nahm sich meiner an und schickte mich, um die Karte zu erstehen, zu einem Pakistani (einem politisch etwas unkorrekten arabe du coin) den ich gleich neben einer schicken Pizzeria mit dem klingenden Namen „Pizzaœutte" finden sollte.

Nach geschlagenen 20 Minuten wurde mir klar, dass der gute Mann Pizza Hut in einem verslangten französisch gemeint hatte und so fuchtelte ich kurz darauf einem ebenso verwirrten Pakistani so lange mit von Bären Hands beschriebenen Zetteln vor den Augen herum, bis dieser mir das Objekt der Begierde aushändigte und ich mich endlich aus Brüssel hinausmanövrieren lassen konnte.

Nach beinahe zweitägiger Reise kam ich schließlich in Louvain-la-Neuve an. Da sah ich allerdings noch nicht viel von der Stadt, die ich noch für recht charmant in ihrem 70er Jahre Baustil hielt, denn mich erwartete besagter Vermieter in spe und weißem Leinenanzug, karrte mich, auf französisch über Züge fluchend, aus der Stadt in den nächsten Ort, wo ich sogleich auf meine französischen, verstört blickenden, Mitbewohner treffen sollte,—aber das tangierte mich alles, im Freudentaumel aus Brüssel entflohen zu sein, nicht mal peripher.

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Schließlich war ich das erste Mal seit 18 Jahren (Kindergarteneinzug mitgezählt) tatsächlich „on my own like a complete unknown"; ohne soziales Netzwerk und in einer komplett neuen Umgebung. Nach hochoffizieller Unterzeichnung des Mietvertrags, der für mich quasi der eines Staatsvertrags gleichkam, wischte ich frohlockend durch meine neue Collocation, nur um auch hier wieder schnellstmöglich den Rücktritt anzutreten, denn der Vermieter hatte sich seines Leinenanzugs entledigt und lag nun ausgestreckt im Adamskostüm auf der Chaiselongue. Die Gewissheit, einem exhibitionistischen Haushalt aufgelaufen zu sein, traf mich wie ein Keulenschlag, so suchte ich nicht nur im Wörterbuch das Heil in der Flucht und konzentrierte mich darauf, mit meinen Mitbewohnern in Kontakt zu treten.

Diese sehr unglücklichen Franzosen weckten meinen Ehrgeiz und unerheblich viel später hatte ich herausgefunden, dass die beiden Chemiker von ihren Firmen in dieses Haus, das nahe der dörfischen Chemiefabrik war, zwangsversetzt worden waren. Das ließ mich (und sie) immer noch kalt, und so versuchte ich als verbohrte Geisteswissenschaftlerin mit wenig beeindruckender Breaking Bad Trivia das Eis zu brechen.

Die nächsten Tage vergingen, ich unternahm Expeditionen in die pulsierende Stadt und begann zunehmend an der Optimalität der Behausung zu zweifeln, als die Situation schließlich eskalierte. Bei für Belgien noch tropischen Temperaturen, saß ich in kurzer Hose vor dem dubiosen Gebäude (die Nichtraucherregelungen sind hier drakonisch) und sinnierte rauchend über meine missliche Lage, als sich der Leinenanzug mit einer, wie ich annahm, neuen Mitbewohnerin näherte. Sie war zwar barbäuchig, ich aber in meiner neu erworbenen Weltoffenheit nicht konservativ und so sah ich gönnerhaft (und selbst ohne nennenswerte Hose, ich war ja schließlich daheim) über dieses Manko hinweg.

Im Gegenteil, begeistert über dieses neue Opfer, an dem ich meine Sprachkenntnisse auf die Probe stellen konnte, begrüßte ich holprig aber umso enthusiastischer besagte Dame, die abwechselnd mir und dem Anzug irritierte Blicke zuwarf, ehe sie sich hufeschwingend aus dem Wortschwall stahl.
Dies wiederum rief Irritation bei mir hervor, doch in unermesslicher Gutgläubigkeit führte ich die Aktion der Neuen auf schnöde Kleingeistigkeit zurück und griff meine Beschäftigung der Selbstbemitleidung wieder auf. Wenige Stunden später interrogierte ich mit Händen und Füßen meine Mitbewohner nach dem Neuzugang, woraufhin diese mir erschöpft lachend erklärten, dass es sich dabei wohl um eine Verwechslung und obendrauf eine Prostituierte gehandelt haben musste, die Irritation wohl auf die vermeintliche Ablöse rückführbar wäre.

Weltoffenheit hin oder her, das war selbst mir (und vor dem Emigrationshintergrund des Döblinger Spießbürgertums) zu bunt und ich beschloss, diesen hoffnungslosen Ort, der außer Chemiefabriken nichts Anziehendes aufzuweisen hatte, eilends zu verlassen.

Teil 3 wird es in den nächsten Tagen auf VICE.com geben.