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„Fuck journalists“—Interview mit einem der drei deutschen Journalisten, die in der Türkei verhaftet wurden

Björn Kietzmann erzählt uns, wie es zu seiner Verhaftung in Diyarbakir kam—und warum er die Türkei trotzdem nicht einfach so verlassen will.

Björn Kietzmann ist einer der drei deutschen Journalisten, die letzten Sonntag im türkischen Diyarbakır verhaftet und über 31 Stunden festgehalten wurden—obwohl er und seine Kollegen Ruben Neugebauer und Christian Grodotzki mit deutschen und internationalen Presseausweisen ausgerüstet waren (Björn arbeitet auch regelmäßig mit VICE zusammen). Kurz nach dem Zugriff gelang es Björn noch, einen Tweet abzusetzen, so dass die Nachricht von der Verhaftung der drei Journalisten schnell um die Welt ging.

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Mittlerweile ist Björn wieder auf freiem Fuß. Wie es zu der Verhaftung kam, und warum er trotzdem nicht vorhat, die Türkei einfach so zu verlassen, hat er uns im Interview erzählt.

VICE: Wie geht’s, Björn? ihr seid wieder auf freiem Fuß, oder?
Björn Kietzmann: Ja, wir sind draußen und haben unsere Sachen und Pässe wieder und können uns wieder frei bewegen. Aber das Verfahren gegen uns läuft noch, und in einigen türkischen Boulevard-Medien wird gegen uns gehetzt—die haben richtige Mugshots von uns gepostet, die irgendwelche Polizisten von uns mit ihren Telefonen aufgenommen haben. Dabei steht, wir seien die „BND-Aufrührer, die die PKK-Kämpfer anführen“. Total irre.

Was ist überhaupt passiert? Warum seid ihr verhaftet worden?
Also, wir hatten ein paar Tage Zeit, weil die Geschichte, an der wir eigentlich gerade arbeiten, unterbrochen wurde. Also sind wir erstmal an die Grenze zu Kobane gefahren und haben dort ein paar Aufnahmen gemacht—vom Militär an der türkischen Grenze, davon, wie Leute versuchen, Lebensmittel rüber zu bringen und daran gehindert werden, solche Sachen. Dann sind wir weitergefahren nach Diyarbakır, einer relativ großen Stadt, in der viele Kurden leben, um dort über die Proteste zu berichten.
In Diyarbakır hatte es in den letzten zehn Tagen durchgängig Proteste gegeben. Dort haben wir dann unter anderem eine Beerdigung von syrischen YPG-Kämpfern, die in Kobane ums Leben gekommen sind, fotografiert. Abends sind wir etwas herumgefahren und an einer Stelle angekommen, wo Demonstranten Material auf die Straße gezogen haben, um Barrikaden zu bauen. Die waren alle voll vermummt und haben das Zeug dann auch in Brand gesteckt. Kurz darauf ist Polizei mit Räumpanzern und Wasserwerfern gekommen. Die Jugendlichen haben die mit Feuerwerk beschossen, die Polizei hat Tränengas verschossen. Wir sind zurück in einen Supermarkt, wo sich auch ein paar Einheimische zurückgezogen hatten. Da haben wir noch ein, zwei Bilder aus der Entfernung gemacht und waren uns eigentlich einig, dass wir da weggehen wollen.

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Beim Weggehen sind wir dann aber von ein paar Leuten festgehalten worden. Die haben sich nicht ausgewiesen, uns war überhaupt nicht klar, ob die vielleicht zu den Barrikadenbauern oder zur Polizei gehörten. Wir haben uns als Journalisten ausgewiesen, aber das war denen scheißegal. Die haben dann irgendwann einen Polizeipanzer rangewunken, gleichzeitig kamen von überall noch so Zivilfahrzeuge mit weißen Kennzeichen dazu, wo eine Menge sehr gut frisierte Menschen mit blitzblank polierten Revolvern rausgesprungen sind.

Habt ihr da langsam Angst bekommen?
Ja, in dem Moment dann schon, weil die schon ziemlich scheiße drauf waren. Da ging es schon ziemlich ruppig zu. Mit uns wurden auch zwei deutsche Touristen verhaftet, von denen wurde einer getreten, und dem anderen von hinten mit der Hand auf den Kopf geschlagen.
Wir haben erklärt, dass wir „German journalists“ sind, und der Typ schlägt uns einfach die Presseausweise und Reisepässe aus den Händen auf den Boden und sagt „Fuck, fuck, fuck journalists!“ Das war das erste Mal, dass jemand mit uns Englisch gesprochen hat—oder überhaupt jemand mit uns gesprochen hat.
Dann mussten wir uns mit dem Rücken zu dem an ein Auto lehnen und wurden durchsucht, dabei haben die uns die ganze Zeit auf Türkisch angeschrien und die Kameras weggerissen. Dann haben sie uns zur Polizei gebracht.

Wer hat euch denn verhaftet, wenn das nicht die Polizei war?
Das war anscheinend eine Anti-Terror-Einheit der Polizei, das wussten wir aber nicht. Auf der Wache mussten wir anderthalb Stunden mit dem Gesicht zur Wand stehen und wurden noch ein paar mal durchsucht—ich glaube, ich bin insgesamt achtmal durchsucht worden. Dann kam auch der erste Satz, den ich da verstanden habe: „Oh! Alemanya! I love Hitler!“ Das war der Teil, der richtig scheiße war, danach hat sich das dann alles ein bisschen entspannt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich auch mein Handy auch noch, das heißt, ich konnte dann noch Leute informieren. Mir wurde auch gestattet, von meinem eigenen Telefon die Botschaft anzurufen, dann wurde mir das abgenommen. Und es wurde deutlich, dass wir an dem Tag nicht rauskommen würden.

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Was ist am nächsten Tag passiert?
Am nächsten Tag wurden uns Anwälte vorgestellt, Pflichtverteidiger, die kein Wort Englisch konnten, mit einem grottenschlechten Dolmetscher. Immer wenn ich so eine Minute geantwortet habe, hat der Übersetzer die Antwort mit zwei oder drei Worten übersetzt—der war nicht so richtig motiviert. Die Anwälte haben uns geraten, bei der Polizei keine Aussage zu machen, sondern erst beim Staatsanwalt.
Dann sind wir zurück in die Zellen gebracht worden, wo wir etwas später Besuch von zwei Anwälten bekommen haben. Das eine war ein Vertrauensanwalt des deutschen Konsulats, das andere war eine Anwältin, die Kollegen von uns organisiert hatten, die jetzt auch unsere Anwältin ist. Die haben uns dann auch erzählt, dass der Vorwurf gegen uns sei, Spione und Provokateure zu sein, oder dass wir Propaganda für die PKK machen würden, man sei sich da noch nicht so sicher. Unsere Anwälte haben uns jedenfalls klar gesagt, dass wir nach der Anhörung beim Staatsanwalt sicher abgeschoben werden würden.
Im Laufe der Nacht sind wir dann aber überraschenderweise doch freigelassen worden und durften die Nacht im Hotel verbringen, wir mussten nur versprechen, am nächsten Tag beim Staatsanwalt auch wirklich aufzutauchen. Das war vermutlich dem öffentlichen Druck geschuldet, von dem wir drinnen ja gar nichts mitbekommen hatten. Das hat uns jetzt auch total überrascht und bewegt, wie viel Solidarität gezeigt wurde.

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Wie lief denn dann die Anhörung beim Staatsanwalt? Was wurde euch da vorgeworfen?
Das blieb immer so diffus—dass wir verdächtigt werden, entweder ausländische Agenten zu sein, die provoziert und Proteste angestachelt hätten, oder halt Propaganda für die PKK betreiben würden.
Wir brauchten außerdem formal einen Übersetzer, weil unsere Anwälte nicht einfach für uns übersetzen durften, aber die hatten keinen da. Dann schlug die Anwältin uns einen vor, das war aber dummerweise genau der Typ, den wir am Tag vorher schon hatten. Der hat dann erstmal auch für die beiden Touristen übersetzt, und plötzlich meinte die Anwältin: „Hey, wir haben ein riesengroßes Problem, der Übersetzer ist nicht auf unserer Seite.“ Der hatte gerade für den einen Touristen übersetzt, dass er ein Geständnis abgegeben hätte—was er gar nicht gesagt hatte. Also hat die Anwältin das Protokoll theatralisch zerrissen, und das musste also noch mal gemacht werden. Wir haben in unserer Anhörung dann primär Englisch gesprochen, damit immerhin unsere Anwältin versteht, was wir wirklich sagen.
Der Staatsanwalt hat uns dann aber gesagt, dass er uns eigentlich freigelassen hätte, wenn wir ein Verhör bei der Polizei abgegeben hätten—er fände das merkwürdig, dass wir das nicht gemacht hätten. Dabei war das das, was die Pflichtverteidiger uns vorher geraten hatten! Man hat sich irgendwie die ganze Zeit verarscht gefühlt. Aber immerhin konnten wir danach gehen—und haben schließlich auch unser Material zurückbekommen.

Und was ist jetzt eure legale Situation?
Das Verfahren läuft weiterhin. Ich glaube, der Staatsanwalt hätte theoretisch die Möglichkeit, es einzustellen, ansonsten wird es wohl auf eine Gerichtsverhandlung hinauslaufen, bei der wir aber nicht körperlich anwesend sein müssen. Wir haben die Anwältin schon für das Verfahren beauftragt.

Was macht ihr denn jetzt? Bleibt ihr in der Türkei?
Wir haben erstmal die Stadt verlassen, weil das im Moment eine unschöne Situation ist, wenn türkische Medien schreiben, wir seien BND-Spione und verantwortlich, dass die PKK gegen die Türkei kämpft. Wir sind jetzt ein paar Stunden entfernt und machen jetzt einige ruhige Geschichten zu Ende, an denen wir schon vorher gearbeitet haben—obwohl wir für ein paar jetzt zu „verbrannt“ sind.

Auf jeden Fall ist der Plan nicht, jetzt Hals über Kopf aus dem Land zu fliehen. Wir wollen uns so einer Repression auch nicht beugen. Wir sehen das auch insgesamt so, dass es weniger um uns geht, sondern dass eigentlich ein Problem in der Türkei darstellt, dass es so einen massiven Angriff auf die Pressefreiheit geben kann.

Ja, absolut. Tut mir leid, dass dir das passiert ist.
Na ja, wir sind ja wieder draußen, und keiner ist verletzt. Wir sind ja aus dem Knast rausgeführt worden, als die nächsten Journalisten schon wieder reingeführt wurden. Das waren kurdische Kollegen, soweit ich weiß. Das sind keine Arbeitsbedingungen, wenn man unter Generalverdacht gestellt wird, bloß weil man irgendwo anwesend ist. Wenn kurdische oder türkische Kollegen solche Themen anfassen, wird gegen die dann auch vorgegangen.