eine kamera in einem gewächshaus voller gras bei danksquad in wien
Foto: Marcus Weber

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Drogen

In Wien kann man jetzt legales Cannabis kaufen

"Die Polizei von der Station gegenüber kam vorbei, erkundigte sich nach den Produkten, bot Hilfe bezüglich Sicherheit an und wünschte uns nach einem netten Gespräch einen schönen Tag."

Hätte uns im Jahr 2016 jemand erzählt, dass im Jahr darauf Werbung für den Kauf von Cannabis-Blüten in Wien im Kino laufen würde, hätten wir die Person vermutlich gefragt, ob sie bekifft ist. Jetzt haben wir das Jahr 2017 und im Apollo-Kino lief kürzlich genau eine solche Werbung über die Leinwand. Nicht, weil wir bekifft waren und uns gerne Dinge einbilden. Aber fangen wir von vorne an.

Wie vermutlich inzwischen auch alle Nichtkiffer diesseits von Galileo-Reportagen mitbekommen haben, gilt Cannabis als eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt und hat als Medizin eine jahrtausendelange Tradition. Bereits vor 4700 Jahren wurde Cannabis als Heilpflanze in chinesischen Lehrbüchern erwähnt. Mit den Kreuzzügen zwischen 1059 und 1099 zog Cannabis schließlich auch in die europäische Heilkunde sowie in die Klostermedizin ein und etabliert sich immer mehr in der Mitte der Gesellschaft.

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Österreichischen Kaiserinnen wird der Konsum von Cannabis ebenso nachgesagt wie William Shakespeare und George Washington. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde Cannabis ganz legal als Schmerzmittel eingesetzt, bis es von Aspirin abgelöst wurde (das übrigens von demselben Unternehmen hergestellt wurde, das Anfang des 20. Jahrhunderts auch Heroin für Kinder verkaufte – aber das nur nebenbei). Zwischen 1850 und 1950 sollen in Europa über 100 unterschiedliche Cannabis-Medikamente erhältlich gewesen sein, um Migräne, Rheuma, Neuralgie, Epilepsie und Schlafstörungen zu behandeln.

Hinter dem Verbot von Cannabis im 20 Jahrhundert steht wohl eine Mischung aus gezielter Lobbyarbeit, finanziellem Interessen und Rassismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die UNO, angeregt durch die USA, eine internationale Drogenpolitik durch, die den Genussstoff aus Cannabis verbot. Die Ächtung des Cannabis führte zum Ende der damaligen Hanf-Industrie.

Die "Renaissance" von Cannabis setzte schließlich nicht nur mit einem leichten Umdenken in Bezug auf seinen berauschenden Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (kurz THC) ein. Dass Gras heute langsam wieder aus der Schmuddelecke geholt wird, hängt neben seiner Vielfalt und Rauschwirkung auch ganz banal mit einem anderen Wirkstoff zusammen, der nicht verboten ist; und zwar Cannabidiol (kurz CBD).

CBD hat im Gegensatz zu THC laut Studien eine anti-psychotische und wenig psychoaktive Wirkung. Es verändert also nicht die Gemütslage oder unser Denken. Durch CBD wird man nicht im engeren Sinne "high". Es wirkt aber "biphasisch" – das bedeutet, dass CBD in niedrigen Dosen aktivierend wirkt und wach hält, in höhere Dosen aber schläfrig macht.

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Foto: David Payr

Eine Reihe von Studien an Mäusen und Ratten mit eingepflanzten menschlichen Krankheiten sollen zeigen: Die Einnahme von CBD soll antidepressiv, entzündungshemmend, schmerzlindernd, angstlösend und gegen Übelkeit wirken. Außerdem kann CBD zur Bekämpfung von Krebs eingesetzt werden und es reduziert die Nebenwirkungen, die bei einer Krebstherapie auftreten können. Ein besonders erfolgreiches Einsatzgebiet von CBD sollen chronische Schmerzen, die auf Nervenschäden zurückgehen, sein.

Cannabis-Blüten dürfen in Österreich nur verkauft werden, wenn die Sorte aus dem EU-zertifiziertem Saatgutkatalog stammt und einen THC-Wert unter 0,3 Prozent aufweist. Das nehmen sich mittlerweile einige Unternehmer als Blaupause für ihr CBD-Geschäftsmodell.

"Viele Kunden begrüßen uns mit Handschlag und verabschieden sich auch wieder so. Das hat uns am Anfang verwundert, aber eigentlich ist es total nett."

Seit einem halben Jahr tut sich daher einiges auf dem heimischen Markt: Im Herbst 2016 hat Christian Perner gemeinsam mit Partnern die erste österreichische Dispensary Göttergarten gegründet. Als "Medical Dispensary" werden in der USA Läden bezeichnet, in denen Cannabis für medizinische Behandlungen erworben werden kann. Göttergarten produzierte und verkaufte als erster Anbieter in Österreich hochpotente CBD-Blüten. Außerdem bietet der Shop noch weitere CBD-Produkte in der Form von Öl und Kristallen an. Derzeit können die Produkte online erworben werden, ein tatsächliches Geschäftslokal in der Stadt soll folgen.

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In Wien gibt es CBD-Blüten seit 2017 außerdem bei MAGU-CBD zu kaufen. Den ganzen März in einem Pop-Up Store und seit April im eigenen Laden in der Stiftgasse. "Innerhalb der ersten Woche kam die Polizei von der Polizeistation gegenüber vorbei, erkundigte sich nach unseren Produkten, bot ihre Hilfe bezüglich Sicherheit an und wünschte uns nach einem netten Gespräch einen schönen Tag", erzählt Sebastian. Er, Sofie und Juri haben gemeinsam MAGU gegründet.



"Die Motivation einen Laden zu eröffnen, der CBD Produkte verkauft, war die Zugangsermöglichung zu CBD Produkten für die Gesellschaft, auch durch möglichst niedrige Preise, einen genormten Standard und Transparenz zu schaffen", erklärt Sofie: "Jedes Kilo, das produziert wird, wird von einem unabhängigen und staatlich anerkannten Labor getestet.

Die Zertifikate mit den Cannabinoid-Anteilen der jeweiligen Charge liegen im Shop auf." Ihre KundInnen sind dankbar, dass sie ihr CBD nicht mehr illegal beziehen und sich nicht um die Qualität Sorgen müssen. "Das Cannabis wird ohne Pestizide, dafür mit Liebe und klassischer Musik in Wien angebaut", ergänzt Sebastian. "Außerdem arbeiten wir gerade daran, unsere Blüten biologisch zertifizieren zu lassen."

Das Ziel sowohl von Göttergarten als auch MAGU ist es, das Image von Hanf zu verbessern und es aus der illegalen Ecke zu holen. "Ich kenne viele, die rauchen und wenn ich mir anschaue, was die heute alle so im Leben machen, muss ich sagen: Es hat niemandem geschadet", lacht Christian Perner von Göttergarten.

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Beide Anbieter legen Wert auf eine Ausrichtung fernab vom klassischen Kiffer-Image, um auch Gesellschaftsgruppen abseits von Hippies und Ganja-Verehrern anzusprechen und sie mit CBD-Produkten vertraut zu machen.

Alle Produkte die Göttergarten und MAGU anbieten, sind zu 100 Prozent legal. Für Polizei-Kontrollen empfehlen sie die Rechnung für die Blüten mitzuführen und darauf zu bestehen, dass der THC-Gehalt geprüft und die Ware anschließend retourniert wird.

Die Reaktionen fallen trotzdem noch sehr unterschiedlich aus. "Oft kommen Mensch zu uns und verhalten sich so, als ob sie etwas Illegales kaufen würden", beschreibt Juri von MAGU die tägliche Situation im Laden. "Das ändert sich dann schnell, wenn sie bemerken, dass wir eine Kassa haben und es abgepackte Produkte mit Rechnung gibt. Aber am Anfang sind sie recht schüchtern und stehen zum Teil minutenlang vor dem Shop." Laut gesetzlichen Richtlinien darf jeder CBD-Blüten kaufen, aus gesellschaftlichen Gründen verkauft MAGU seine Produkte jedoch nur an Volljährige.

Familie, Freunde und Passanten reagieren verschieden auf den neuen CBD-Shop in Wien. Während die Oma eines Teammitglieds vor Jahren erklärte "Cannabis ist schlimmer als Napalm", ist eine andere Verwandte der Meinung: "CBD hat mein Leben erst wieder lebenswert gemacht." Auch auf der Facebook-Seite bedanken sich Schmerzpatienten mit Skoliose und starken Abnützungen im Lendenwirbelbereich für das Angebot und schreiben: "Dank CBD hat sich meine Lebensqualität enorm gesteigert."

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"Die Menschen haben unglaublich viel Gesprächsbedarf," fällt Sofie auf. "Sie wollen nicht nur über die gesetzliche Lage sprechen, sondern sich austauschen und viel von uns wissen. Viele Menschen, die zu uns in den Laden kommen, begrüßen uns mit Handschlag und verabschieden sich auch wieder so. Das hat uns am Anfang verwundert, aber eigentlich ist es total nett."

"Eine der wenigen Start-up-Branchen, die funktionieren, ist die Cannabis-Branche. Das könnte Growern einen gut bezahlten und legalen Job ermöglichen."

Im Laden treffen wir auf die 25-Jährige Louise*, die ihre Erfahrung mit CBD mit uns teilen will. Vor 4 Jahren traten bei ihr plötzlich zwei Mal im Monat unerklärlich starke Schmerzen im Rippenbereich auf. Mit jedem Atemzug wurden die Schmerzen schlimmer, Louise konnte an solchen Tagen nur im Bett liegen und fürchtete sich vor jedem neuen Atemzug.

Wie Louise erzählt, konnten sich Ärzte die Schmerzen nicht erklären und empfahlen ihr eine Psychotherapie. Aufgrund der Schmerzen fiel sie regelmäßig in Ohnmacht und nahm 12 Kilo ab. Auch die 5 Gynäkologinnen, die sie aufsuchte, konnten keine befriedigende Diagnose stellen. Erst eine kleine Netzrecherche brachte Louise darauf, dass sie eine Endometriose an der Leber haben könnte, da die Schmerzen pünktlich mit der Regelblutung einsetzten und 7 Tage dauerten.

Sie entschloss sich, die Symptome selbst mit Cannabis zu behandeln, pflanzte den weiblichen Hanf an und testete, was ihr am besten half. Zu ihrer Erleichterung wirkte das legale CBD am besten. Seit sie die CBD-Produkte einnimmt wird es kontinuierlich besser, sie ist den Schmerzen nicht mehr so ausgeliefert und steht derzeit bei 2 bis 3 Schmerztagen pro Zyklus.

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An den schlimmsten Tagen hat sie eine Dosis von 1300 mg CBD zu sich genommen. Würde sie die Produkte über die Apotheke beziehen, wären das 1000 Euro pro Tag, hier im Shop kostet sie das etwa 100 Euro. Louise hat mittlerweile auch Freundinnen die CBD-Tropfen gegen Regelschmerzen empfohlen. Bei manchen würde es wirken, bei anderen nicht. Mittlerweile hat Louise auch offizielle die Diagnose Endometriose erhalten.

Aber es geht nicht nur um persönliche Efolgsgeschichten. Der Handel mit legalem Cannabis hat auch einen enormen finanziellen Vorteil für den Staat. In der Schweiz eröffneten im August 2016 zwei Geschäfte, die CBD-Blüten vertreiben. In wenigen Monaten sperrten weitere 32 Geschäfte auf. Da die Unterscheidung von legalem und illegalem Cannabis für die Polizei ad-hoc nicht möglich ist, wollte das Innenministerium den weiteren Verkauf untersagen und die Läden schließen lassen. Dagegen legte das Finanzministerium ein Veto ein – die 25 Millionen Franken Steuereinnahmen im Jahr wollten sie sich nicht entgehen lassen.

Die beiden großen Kreditkartenanbieter Visa und Mastercard haben THC-haltige Produkte auf die Blacklist gesetzt und verweigern Geschäften, die solche Produkte vertreiben, den Kreditkarten-Transfer. Grund dafür soll sein, dass Cannabis in der USA grundsätzlich verboten und nur in manchen Staaten legal ist.

Allein in den Vereinigten Staaten sollen im vergangen Jahr 6,7 Milliarden US-Dollar im Cannabis-Geschäft umgesetzt worden sein. Diese Entscheidung hat auch Einfluss auf Österreich. In den Online-Shops von Göttergarten und MAGU kann nur durch Direktüberweisung, Bitcoins oder Paypal bezahlt werden. Beziehungsweise galt das im MAGU bis Anfang der Woche; inzwischen ist der Laden nämlich ausverkauft und hat am 20. April 2017 einen "Flash-Verkauf" veranstaltet.

Beide österreichischen Anbieter freuen sich jedenfalls über gleichgesinnte Mitbewerber, um den legalen Zugang zu Produkten der alten Heilpflanze zu ermöglichen. Denn der Markt und die Aufklärung gestalten sich schwer. Christian Perner von Göttergarten sieht trotzdem großes Potenzial in der Zukunft des Cannabis-Anbaus: "Eine der wenigen Start-up-Branchen, die funktionieren, ist die Cannabis-Branche. Das könnte Growern einen gut bezahlten und legalen Job ermöglichen."

*Name von der Redaktion geändert