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Arbeitslosigkeit

Arbeitslose Menschen erzählen, wie es ist nicht in den Urlaub fahren zu können

"Im Ausland war ich das letzte Mal zu DDR-Zeiten. Aber es war nur eine Tagesfahrt nach Tschechien."
Alle Fotos: Rebecca Rütten

Sich mit einem Eimer Sangria auf Mallorca die Birne wegzuballern oder am Strand die Käsefüße ins Mittelmeer zu tauchen, gehört für viele Deutsche zu den Höhepunkten ihres Jahres. Und doch bleibt dieses Ziel oft unerreichbar. 16 Prozent der Deutschen hatten letztes Jahr nicht genug Geld, um Urlaub im Ausland zu machen. Europaweit betraf das sogar ein Drittel aller Menschen. Für sie bedeutet der Sommer deshalb vor allem oft: warten.

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Um 10 Uhr morgens sind die Stufen vor dem Jobcenter in Berlin-Marzahn voll besetzt. Hier warten Männer mit Glatze und Zigarette neben Müttern mit Kinderwagen. Manche der Wartenden haben weißes Haar, andere sehen aus, als dürften sie noch nicht einmal Auto fahren.

Etwa 2,3 Millionen Menschen in Deutschland haben keine Arbeit, davon sind etwa 860.000 sogenannte Langzeitarbeitslose – Menschen, die länger als ein Jahr keinen Job hatten und Hartz IV beziehen. Wenn sie einen Antrag gestellt haben, dürfen sie 21 Tage im Jahr in den Urlaub fahren. In dieser Zeit bekommen sie das Arbeitslosengeld weiterhin ausbezahlt. Einen Zuschuss zum Urlaub zahlt der Staat nicht. Wer wegfahren möchte, müsste sich also von den 416 Euro Hartz-IV-Regelsatz im Monat etwas zusammensparen.

Wir haben diese Menschen gefragt, wie es sich anfühlt, wenn alle anderen im Sommer verreisen und man es sich selbst nicht leisten kann.

Dalia, 28

Dalia, 28, ist gelernte Köchin

"Der letzte Urlaub ist bestimmt schon sechs, sieben Jahre her. Damals war ich Anfang 20. Früher habe ich in der Gastronomie gearbeitet und gut verdient, dadurch konnte ich in den Urlaub fahren. Damals ging es an die Ostsee. Im Ausland war ich das letzte Mal auf einem Schulaustausch nach Moskau. Auch meine Eltern haben mir ermöglicht, ein bisschen etwas von der Welt zu sehen. Einmal waren wir zum Beispiel auf Kreta. Aber das war noch zu D-Mark-Zeiten.

Dabei würde ich gerne mehr verreisen. Indien, Singapur, Japan fände ich interessant. Oder Island. Die heißen Quellen dort auszuprobieren, wäre cool. Aber jetzt, wo ich arbeitslos bin, denke ich an solche Reisen gar nicht. Außerdem mache ich gerade eine Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau. Da kommen viele Kosten auf mich zu. Manchmal bin ich richtig froh, wenn ich in meiner Wohnung ein paar leere Pfandflaschen finde. In der Öffentlichkeit sammle ich nicht. Dafür bin ich mir zu schade.

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Meine Wünsche musste ich in den letzten Jahren ganz doll zurückschrauben. Heute ist für mich Urlaub schon, wenn man mit Kumpels draußen im Garten sitzt. Selbst Eis oder Schwimmbad kann ich mir nicht leisten. Für mich ist es schon schwierig, das Bahnticket zu kaufen. Ich bekomme es zwar ermäßigt und es kostet nur 30 Euro im Monat, aber selbst das ist oft zu viel."

Saabor, 32

Saabor kam vor drei Jahren aus Afghanistan nach Deutschland

"Ich habe gestern meinen Urlaub beim Arbeitsamt beantragt und er wurde genehmigt. Das heißt, ich fahre bald für eine Woche zu meiner Schwester nach Rotterdam. Die Reise geht nur, weil ich bei ihr schlafe und esse. Ich bezahle nur die Fahrt mit Bus oder Bahn. Fliegen oder ein Hotel wären zu teuer. Eines Tages würde ich gerne einmal nach Lissabon oder Rom. Aber das kann ich mir gerade nicht leisten. Meine Frau studiert noch und manchmal reicht das Geld nur für zwei Wochen, dann ist alles weg.

Ich beneide die Menschen nicht, die in den Urlaub fahren können. Aber es ist schon schlimm für mich, nicht mehr reisen zu können. Es war immer eines meiner Hobbys. Ich komme aus Afghanistan und die meisten Menschen dort haben noch nie Urlaub gemacht. Ich konnte es mir damals leisten und war in Indien, Iran, Pakistan, aber auch in Frankreich und der Türkei. Ich liebe es, unterwegs zu sein, in der Natur und in den Bergen.

Der Sommer in Berlin ist für mich hart. Es ist alles so stressig. Ich will unbedingt einen guten Job finden. Aber es ist schwierig. Und jetzt kann ich nicht wie alle anderen ins Schwimmbad gehen oder zum See fahren, weil das alles Geld kostet."

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Frank, 59

Frank arbeitete als Gärtner

"Wann ich das letzte Mal im Urlaub war? Oh, das ist schon ewig her, vielleicht zehn Jahre. Es war eine Fahrt ins Erzgebirge. Im Ausland war ich das letzte Mal zu DDR-Zeiten, aber das waren nur Tagesfahrten nach Tschechien rüber. Ich habe kein Problem damit, dass ich noch nicht so viel von der Welt gesehen habe. Ich bin ja trotzdem ein Weltenbummler – durch das Fernsehen. Ich schaue gerne Dokus und so. Wenn ich das nötige Kleingeld hätte, würden mich Bayern oder Österreich mal interessieren. Aber ansonsten bin ich eigentlich genügsam.

Den Sommer verbringe ich auf dem Balkon. Für Schwimmbad und See ist es mir zu heiß. Da lese ich lieber zu Hause ein Buch. Dabei haben mir meine kleinen Reisen eigentlich schon gefallen. Camping, Relaxen und im Elbsandsteingebirge bin ich viel gewandert. Aber jetzt bin ich 59 und werde langsam alt. Vor ein paar Monaten hatte ich noch Arbeit als Gärtner. Rasenmähen und Unkraut zupfen. Aber in meinem Alter wird es immer schwerer, einen Job zu finden."

Suzan, 30

Suzan kommt aus dem Irak und macht gerade einen Deutschkurs

"Ich war noch nie im Urlaub. Ursprünglich komme ich aus dem Irak. Aber von dort bin ich geflohen, weil es Krieg gab und ich als Christin verfolgt wurde. Vor drei Jahren bin ich in Deutschland angekommen. Hier habe ich kein Geld und auch keine Zeit für Urlaub. Ich gehe jeden Tag zu einem Deutschkurs. Sonst bin ich viel zu Hause. Ich kaufe mir manchmal ein Eis oder gehe spazieren. Im Schwimmbad war ich noch nie. Ich weiß nicht mal die Adresse. In Berlin bin ich viel alleine.

Ich bin nicht neidisch auf die Menschen, die es sich leisten können, in den Urlaub zu fahren. Aber wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich gerne mal nach Frankreich, den Eiffelturm sehen. Oder in die Türkei. Ich war dort schon einmal kurz. Von dort aus sind meine Mutter und ich übers Mittelmeer geflohen. Meine Mutter ist dabei ertrunken."

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