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'Middle-Earth: Shadow of War' zeigt, wie es sich anfühlt, ein größeres Arschloch als Sauron zu sein

Nach der tausendsten aufgeschlitzten Kehle und der nicht enden wollenden Versklavung von Orcs realisierte ich, was aus mir geworden ist.
Screengrabs vom Autor (c) Warner Bros. Interactive Entertainment

Ich bin gerne böse. Bei Filmen denke ich mir oft heimlich, dass ich gerne der Antagonist wäre, in Computerspielen sympathisiere ich meistens mit dem Endboss und auch auf Instagram vergönne ich grundsätzlich niemandem auch nur ein einziges glückliches Selfie mit Thomas Brezina. Sogar meine Gesichtsbehaarung sieht ein bisschen aus wie die eines bösen Zwillings aus einem Paralleluniversum.

Ich habe den Bad Dude also im Blut – und warum auch nicht, irgendwer muss ja. Aber bei Middle-earth: Shadow of War war alles anders. Unzählige epische Stunden habe ich mich der generischen Heldengeschichte hingegeben und bereitwillig als Held gemetzelt. Bis ich bemerkt habe, dass ich unwissentlich noch viel böser war als in meinen gemeinsten Träumen.

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Kurz zum Inhalt: Der Protagonist Talion ist eigentlich allmächtig, weil besessen von einem Jahrhunderte alten Elfen-Geist, der die Ringe der Macht geschmiedet hat. (Nur zur Info: Dieses Spiel hat ungefähr so viel mit den originalen Tolkien-Geschichten zu tun wie ich mit der Erfindung des Fieberthermometers.) Dieser überraschend unsympathische Gott-Held springt hunderte Meter von Türmen runter, ohne sich den Knöchel zu verstauchen, und wirft ständig gespenstische Äxte in ahnungslose Gesichter.

Screengrab vom Autor (c) Warner Bros. Interactive Entertainment

Außerdem versklavt man als Spieler Unmengen an zufällig vom Computer generierten Orc-Anführern – was einerseits sehr inkorrekt und bedenklich und andererseits einem sehr unterhaltsamen Zufallsgenerator zu verdanken ist. Ein Logarithmus kreiert die verschiedensten Charaktere im "Nemesis-System" und stellt sie in verschiedenster Beziehung zur dir und ihren Orc-Brüdern. Der eine hat einen Helm aus Feuer und schwört, dich in die Hölle zu knüppeln; der andere ist 5 Meter groß, hat einen Cockney-Akzent und Angst vor Bienen. Um es mit dem Internet zu sagen: ¯\_(ツ)_/¯

Nach endlosen Stunden mit dem selbstgerechten Talion, seinen tausenden Morden im Schatten und der mentalen Unterwerfung von halb Gondor, wird mir plötzlich etwas klar: Meine niederträchtige Armee ist mittlerweile größer als jede Massenszene von The Return of the King.

Ich lasse auch die Untergebenen voller Spitzohren, Nasenringen, Kettenhemden und Brandings gegeneinander im Kampf bis zum Tod antreten und schaue zu dabei. Und meine hochgelevelten Fähigkeiten ermöglichen mir, mit einem Knopfdruck dutzende Gegner in schwarzen Blutwolken verpuffen zu lassen.

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Screengrab vom Autor (c) Warner Bros. Interactive Entertainment

Erst in dem Moment merke ich, was ich geworden bin: ein größeres Arschloch als Sauron und alle Nazgûl zusammen. Dabei glaube ich wirklich, dass Shadow of War eigentlich ein stinknormales Action-Game mit moralischer Schwarzweißmalerei sein möchte und Schuldgefühle beim Gamer – für den Völkermord und mentalen Missbrauch an Orcs – nicht mal beabsichtigt.

Da sieht man wieder, wie konditioniert wir auf unseren Heldenkomplex in Videospielen sind: Wir gehen einfach davon aus, dass wir zu den Guten gehören und alle unsere Gegner ohne schlechtes Gewissen vernichten dürfen, auch wenn wir uns im Spiel wie das fieseste soziopathische Arschloch verhalten. Im Kern ist Shadow of War ein super Videospiel, trotz unmoralischer Verführungen. Oder wie heißt es so schön: "Elen sila lumenn omentilmo, Nadorhuanrim!"

Josef auf Twitter: @theZeffo