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Gefängnis

Warum "Schwarzfahren" als Straftat abgeschafft werden muss

Zwei Monate Knast für dreimal Fahrrad-ohne-Ticket-mitgenommen ist verrückt. Doch private Firmen profitieren davon.
Foto: imago | Ralph Peters

Falls deine Mutter gerade Angst hat, weil in Berlin zu Neujahr so verdammt viele Leute aus dem Gefängnis ausgebrochen sind, dann kannst du sie beruhigen: Erstens sind die meisten schon wieder drin, und zweitens waren fünf der insgesamt neun Ausbrecher sowieso "Ersatzfreiheitsstrafer" – also Leute, die nur im Knast saßen, weil sie ihre Geldstrafe etwa wegen Schwarzfahrens nicht bezahlen konnten.

Das geht, weil Schwarzfahren in Deutschland offiziell als Straftat gilt. Auf das "Erschleichen von Leistungen" nach Paragraf 265a des Strafgesetzbuches steht bis zu ein Jahr – angewendet wird das aber in der Regel nur auf Wiederholungstäter. Wiederholungstäter wirst du, wenn du innerhalb von zwei Jahren dreimal erwischt worden bist. Wenn du die Geldstrafe nicht zahlen kannst oder willst, kommst du in den Knast. So ein Schwarzfahrer hat vor zwei Jahren genau das mal für uns aufgeschrieben – er saß im Gefängnis, weil sein Fahrrad dreimal "schwarzgefahren" war.

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Generell geht man davon aus, dass nur 50 Prozent der erwischten Schwarzfahrer ihre Strafen auch zahlen. Die Folge daraus: Verfahren gegen Schwarzfahrer fluten das Justizsystem. Allein die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG und S-Bahn) haben 2016 zusammen 46.432 Strafanträge gestellt. Weil das die Gerichte völlig überlastet, läuft jetzt sogar der Deutsche Richterbund dagegen Sturm. Dessen Vorsitzender Jens Gnisa erklärte am Donnerstag, man müsse überlegen, warum das eigentlich "Sache des Staats" sei.

Wenn die Schwarzfahrer nicht zahlen, kommen sie in den Knast. In Plötzensee, dem alten Löcherkäse, sitzen im Moment laut Justizverwaltung 69 von 102 Männern im offenen Vollzug wegen Schwarzfahrens – das sind zwei Drittel. Im ganzen letzten Jahr haben knapp 1.500 Schwarzfahrer Plötzensee durchlaufen, im Durchschnitt sind sie 40 Tage geblieben. Ein Tag im geschlossenen Vollzug kostet den Steuerzahler 146 Euro, im offenen Vollzug aber etwas weniger. Trotzdem ist klar: Allein in Berlin kostet der Strafvollzug gegen Schwarzfahrer die Steuerzahler jedes Jahr Millionen.

Für die eingesperrten Schwarzfahrer bedeutet der Knastaufenthalt einen Bruch in der Biografie, der oft genug in der Arbeitslosigkeit mündet. "Insgesamt hatte ich das Gefühl, es wird weggesperrt, was geht, ohne Rücksicht auf Job und alles andere", schrieb unser Autor 2015: "Was nutzt es, jemanden wegzusperren, wenn er durch die Haft seinen Job verliert und danach zum Hartz-IV-Empfänger wird?" Die Kosten für alle Steuerzahler werden so noch einmal vervielfacht.

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Es ist aber nicht so, dass niemand von diesem System profitiert. Hast du dich mal gefragt, warum es bei uns keine Drehkreuze in der U-Bahn gibt wie in London oder Paris? Richtig, weil die deutschen Verkehrsbetriebe keinen Bock haben, in die Dinger zu investieren, solange sich der Staat (auf unser alle Kosten) um die Schwarzfahrer-Bekämpfung kümmert. Deshalb wehrt sich der Verband deutscher Verkehrsunternehmen auch schon seit Jahren mit Händen und Füßen gegen jeden Vorschlag, Schwarzfahrer nicht mehr in den Knast zu stecken.

Und dann gibt es noch die Firmen, die von den Gefangenen in Plötzensee als billige Arbeitskräfte profitieren: "Man wäscht nicht nur die Wäsche der Insassen, auch Hotels und sogar Pflegeheime zählen zur Kundschaft", berichtete unser Autor 2015. "Man kann gute Preise anbieten, da Gefangene billige Arbeitskräfte sind. In der höchsten Lohnstufe gibt es etwa 19 Euro für sechs Stunden, aber die meisten pendeln sich bei ungefähr zehn Euro ein."

Das Ergebnis: Ein von Steuerzahlern finanziertes System, das den Verkehrsbetrieben und Auftraggebern der Knastwerkstätten Geld spart und gleichzeitig dafür sorgt, dass Tausende Menschen hinter Gittern landen, die dort nicht sein müssten.

Um das abzuschaffen, müsste man nicht gleich den ganzen öffentlichen Nahverkehr umsonst machen, wie das die Berliner Grünen vor ein paar Jahren mal gefordert haben. Es würde schon reichen, Schwarzfahren zu einer Ordnungswidrigkeit zu machen – wie es zum Beispiel Falschparken jetzt schon ist. Wer weiß: Wenn weniger Leute wegen so eines Unsinns im Knast sitzen, dann brechen vielleicht auch weniger aus.

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