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Verbrechen

Darum werden Leuten überall auf der Welt die Haare geklaut

In Potsdam ist es gerade wieder passiert. Und in Südamerika jagen mittlerweile ganze Gangs mit Macheten nach Menschenhaar.
Symbolfoto: Vermutlich kein Haardieb, nur ein Typ, der an den Haaren irgendeiner Frau riecht | Foto: imago | Steinach

Sie war gerade auf dem Weg zur Arbeit, als vier junge Männer eine 58-Jährige am Potsdamer Busbahnhof ansprachen. Die Männer fragten nach dem Weg, packten dann plötzlich ihren Pferdeschwanz und schnitten ihn ab. Der Überfall ereignete sich am vergangenen Dienstag, seitdem fehlt von den Dieben jede Spur. Die Potsdamer Polizei sucht nach Zeugen und ermittelt wegen Körperverletzung.

Der Zopf-Diebstahl wirft einige Fragen auf: Was bringt Menschen dazu, anderen gewaltsam ihre Haare zu rauben? Demütigung, ein Haarfetisch, ein perfider Plan, die Haare zu nutzen oder zu verkaufen? Ein Gag jugendlicher Kleinkrimineller?

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Im Potsdamer Fall steht das noch nicht fest. Das Motiv sei unklar, sagt eine Pressesprecherin der Polizei Brandenburg auf Nachfrage von VICE. Im Fokus der Ermittlungen stehe der Vorwurf der Körperverletzung, nicht die Tatsache, dass man der Frau ihre Haare gestohlen habe.

Eine kurze Recherche zur Geschichte der Hair Crimes bringt hervor, dass sie tatsächlich ein Ding sind: Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts berichten Zeitungen aus der ganzen Welt über Verbrechen, bei denen Frauen und Männern Zöpfe abgeschnitten und Schädel rasiert wurden. Oft verkauften die Täter die Haare weiter, um Perücken und Haarteile herzustellen. Einige befriedigten mit dem Menschenhaar ihren Haarfetisch. Und die Nationalsozialisten im zweiten Weltkrieg gaben die Haare von KZ-Häftlingen an Konzerne, damit diese daraus Textilien herstellen konnten.


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Heute lässt sich der internationale Haar-Raub vor allem dadurch erklären, dass die Nachfrage nach Extensions und Perücken aus Echthaar steigt. Einem Bericht der spanischen Zeitung El País zufolge, haben allein die USA seit 2011 Echthaar im Wert von 980.000 Euro importiert, in Europa bilden Frankreich und Großbritannien die Spitze. Weil alle auf Echthaar stehen, und ein Bündel auf dem Schwarzmarkt um die 200 Euro einbringen kann, boomt besonders in Südamerika die organisierte Kriminalität damit.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Berichte über Verbrechen, bei denen Betroffenen Haare gestohlen wurden – und das weltweit: 2009 trieben in Brasilien zwei Männer auf einem Motorrad ihr Unwesen. Mit der Maschine rasten sie auf die Frauen zu und hackten ihnen dann im Fahren mit einer Machete die Zöpfe ab (Ja, genau!). Der Drive-By-Raub traf unter anderem eine Christin, die ihre Haare aus religiösen Gründen mehr als 20 Jahre lang auf anderthalb Meter Länge hatte wachsen lassen. Preis für ein vergleichbar langes Haarbündel: etwa 275 Euro. Ähnliches passierte 2007 in Myanmar. In Einkaufspassagen warnte man dort nicht mehr vor Taschen-, sondern vor Haar-Dieben. In Venezuela rief eine Gang mit dem Namen "Piranhas" vor vier Jahren wegen ihrer mafiösen Schandtaten sogar den Präsidenten Nicolás Maduro auf den Plan, der sagte: "Unsere Mädchen sind heilig." In Südafrika schnitten "Hair Jackers" Menschen auf der Straße ihre Rastas ab, um sie anschließend gewinnbringend zu verhökern – schulterlange Dreadlocks für 50 Euro. Und dann gab es 2012 noch eine bizarre Haarklau-Serie in Nordamerika, bei denen Unbekannte Pferden ihre Mähnen und Schweife abschnitten – vermutlich, um sie zu Haarteilen für Showpferde zu verarbeiten.

Halten wir also fest: Es gibt Pferde, die eine teurere Haarpflege-Routine haben, als die meisten Menschen. Ein Haufen venezolanischer Gangmitglieder beschäftigt sich wahrscheinlich täglich damit, schönste (geklaute) Haare zu bürsten. Und Haar-Diebstahl für den globalen Haarverlängerungs-Markt scheint ein so florierendes Geschäft zu sein, dass sich dafür mafiöse Gruppierungen bilden.

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