Transnistrien – das Land, das es nicht gibt

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Fotoserie

Transnistrien – das Land, das es nicht gibt

Viele junge Menschen verlassen die Region. Der Fotograf Anton Polyakov bleibt und will seine Heimat zeigen.

Willkommen in der Zwischenwelt. Auf einem dünnen, 202 Kilometer langen Streifen zwischen Moldawien und der Ukraine liegt die selbsterklärte Republik Transnistrien. Seit 27 Jahren kämpft sie um internationale Anerkennung. Als sich Moldawien von der zusammenbrechenden Sowjetunion löste, erklärte die Region wiederum ihre Unabhängigkeit von Moldawien. Transnistrien hoffte, mit seinem großen russischen Bevölkerungsanteil einen Staat zu formen, der Teil der UdSSR hätte bleiben können. Der Konflikt mit Moldawien eskalierte schließlich in einen zweijährigen Krieg. Russland vermittelte damals zwischen den Parteien, 1992 schlossen sie einen Waffenstillstand. Seitdem gilt der Konflikt als eingefroren, aber nicht als gelöst. Transnistrien konnte im Zuge der Auseinandersetzung fast das gesamte beanspruchte Gebiet sichern und erlangte trotz fehlender Anerkennung durch Moldawien eine De-Facto-Unabhängigkeit.

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Heute hat Transnistrien zwar eine eigene Regierung, Währung und Militär, das Land überlebt aber hauptsächlich mithilfe russischer Finanzspritzen. Für Außenstehende mutet die Republik an, als wäre sie in der Sowjetära hängengeblieben. Eine Lenin-Statue überblickt das Hauptgebäude des Parlaments, auf der transnistrischen Währung sind sowjetische Generäle abgebildet und in fast jedem Zuhause und jedem Regierungsgebäude hängt ein Stalin-Porträt.


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Der transnistrische Fotograf Anton Polyakov will der Welt seine Heimat zeigen. Seine Fotoserie "Transnistria Conglomerate" hat vor Kurzem den Bob Books Photobook Award des British Journal of Photography gewonnen. Ich habe mit ihm darüber gesprochen, was es heißt, in einem Land zu leben, das nicht existiert. Und wie er mit seiner Arbeit das Bild von "Europas schwarzem Loch" ändern will.

VICE: Wie gehen Transnistrier damit um, in einem Land zu leben, das technisch gesehen gar nicht existiert?
Anton Polyakov: Eine nationale Identität zu etablieren, ist sehr schwierig. Im Laufe der Geschichte haben diverse ethnische Gruppen Transnistrien ihre Heimat genannt, Russen, Moldauer, Ukrainer, Bulgaren. Fast jeder junge Mensch hier steht vor einer schweren Wahl. Bleibst du, stellt sich dir Frage, was du in einem Land machen kannst, in dem eigene etablierte Traditionen, Industrie, Kunst und Kultur fehlen? Gehst du weg, dann wohin? Die meisten Menschen gehen nach Russland oder Moldawien.

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Für Außenstehende mutet das Land oft wie ein großes Freilicht-Sowjet-Museum an.
Sowjetische Symbole und Architektur gibt es hier meiner Meinung nach nicht mehr als in anderen ehemaligen sowjetischen Republiken. Mir gefällt die Ästhetik der sowjetischen Architektur. Sie sollte meiner Meinung nach eher bewahrt als ersetzt werden. Sie ist Teil unserer kulturellen Geschichte und es ist beschämend, dass Menschen versuchen sie loszuwerden.

Ich bin auf die Welt gekommen, nachdem Transnistrien seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Ich weiß also nicht wirklich, wie das Leben unter sowjetischer Herrschaft war. Aber es sollte niemanden groß wundern, dass es eine sowjetische Mentalität gibt. Für viele Menschen war das vielleicht die glücklichste Phase in der transnistrischen Geschichte.

Wenn man deine Fotos betrachtet, scheinen Transnistrier eine große Liebe zum Militär und zum Bodybuilding zu pflegen. Woher kommt das?
Transnistrien muss erst seine eigene Kultur und Traditionen entwickeln. Der Fokus auf unser Militär und Sport ist ein Versuch, patriotische Werte bei den Kindern zu erzeugen – sie mit einer Liebe für ihr Land zu erfüllen.

Für dein Projekt Mahala hast du das abgelegene Dorf Hristovaia besucht. Warum warst du gerade dort?
Immer weniger Menschen leben heutzutage noch in derartig abgelegenen, ländlichen Gebieten. Ich wollte mir also den Alltag der Hristvoaianer anschauen und rausfinden, wie ihre Nähe zur Natur ihr Leben und ihr Weltbild beeinflusst. Ich wollte erfahren, vor welchen Problemen sie stehen – als einzelne Menschen und als Gemeinschaft.

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Wie verbringen junge Menschen ihre Freizeit in so einem Dorf?
Wie du dir vorstellen kannst, gibt es dort sehr wenig zu tun. Die meisten Menschen haben Zugang zu Technik. Sie wissen also, was in der Welt passiert. Teenager in Transnistrien sind natürlich nicht anders als die meisten anderen Teenager auf der Welt. Sie mögen Popmusik, Computerspiele und Gossip.

Was hält dich in Transnistrien?
Ich habe das Gefühl, dass hier mein Zuhause ist. Egal, wo ich hingehe, ich fühle mich zu diesem Ort hingezogen. Mir ist es wichtig, alles in meiner Macht zu tun, um unserer Republik zu helfen.

Hier gibt es noch mehr Fotos aus Anton Polyakovs "Transnistria Conglomerate":

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