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Wanderleute

Irische Landfahrer reisen gerade durch NRW: Ein Besuch bei ihren Wohnwagen

Sie sind streng katholisch und heiraten nur unter sich. Die Polizei vertreibt sie, wo immer sie ihre Wohnwagen abstellen.
Foto: imago | Michael Schick

Mitten in einem Wohngebiet stehen 60 wuchtig-weiße Wohnwagen. Etwas fehlt: Es gibt keine buntgepolsterten Plastikstühle, keine Vorzelte, keine rauchenden Grills. Nur Wohnwagen und dicke Autos, die meisten ebenfalls weiß. Hier wird nicht gecampt, sondern geparkt. Ich bin hergekommen, um verstehen, wer die Leute sind, die hier leben: Katholische Landfahrer aus Irland, die Briten nennen sie "Tinker" (vom englischen Begriff "tinplate", Weißblech, weil die Gruppe früher Flickarbeiten nachging) oder "Gypsies". Für sich selbst wählen sie die Bezeichnung "Travellers" oder "Pavee". Sie fahren derzeit durch Deutschland, um Hochzeiten zu feiern. Um die Zeit von Mariä Himmelfahrt pilgern sie auch immer wieder zum Wallfahrtsort Kevelaer an der Grenze zu den Niederlanden.

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Als ich zu ihnen fahre, stehen ihre mobilen Wohnungen auf einer matschigen Wiese in einem Wohngebiet in Hürth. Zuletzt waren sie in Neuss und Düsseldorf, auf den Rheinwiesen rückte eine Hundertschaft an, damit sie das Gelände wieder verlassen. Ihnen wurde in wenigen Stunden ein Platzverbot erteilt, wie schon an ihren vorherigen Stationen. Denn die Traveller stellen ihre Wohnwagen ab, ohne dafür eine Genehmigung zu haben. Zwei Polizisten parken am Rand der Wiese in Hürth und beobachten den Platz. Warum genau sind die Landfahrer hier? Das interessiert offensichtlich nicht nur mich. Jobben sie unterwegs? Wie bezahlen sie ihre Autos und Wohnwagen? Sind sie glücklich oder träumen sie von einem festen Wohnsitz? All das würde ich gern herausfinden.

Es ist recht wenig über die Gruppe bekannt, die sogar eine eigene Sprache hat: Shelta – eine Mischung aus gälischen, englischen und romanischen Elementen. Die Autoren einer aktuellen Studie der Universität Dublin gehen davon aus, dass es 29.000 bis 40.000 Traveller gibt. Das sind gerade einmal 0,6 Prozent der irischen Bevölkerung, von den übrigen 99,5 Prozent leben sie weitgehend isoliert. Sie heiraten meist untereinander – und das seit etwa 360 Jahren. Warum genau sich diese Gruppe vor so langer Zeit von den anderen Iren abspaltete, ist unklar. Eine andere Studie aus dem Jahr 2010 zeigt, dass damals nur noch 18 Prozent von ihnen dauerhaft in Wohnwagen lebten; die meisten haben mittlerweile feste Wohnsitze.

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Nachdem ich ein paar Meter gelaufen bin, kommen mir zwei Männer entgegen. Ich stelle mich auf Englisch vor: "Hallo, ich bin Journalistin und würde gerne mit einigen von Ihnen sprechen, ist das OK?" Einer der beiden, ein Hagerer mit grauen Schläfen, zeigt nur auf meine Nase: "Hat das wehgetan?", fragt er amüsiert und ist schon drei Meter weiter, bevor ich schalte. Er meint mein Piercing, interessiert sich aber nicht für die Antwort. Dann ruft er noch: "Such' den Chef, er ist fett. Du wirst ihn erkennen, wenn du ihn siehst."

Zwanzig Meter weiter steht eine Männergruppe, etwa zehn Personen, unter ihnen entdecke ich einen dicken Mann. Sie tragen Karohemden, Poloshirts, Multifunktionsjacken und würden in keiner Fußgängerzone auffallen. Auch hier stelle ich mich vor. Einige gucken auf, andere unterhalten sich einfach weiter.

"Hier gibt es keine Geschichte", sagt ein Mann in kurzer Hose.

"Ihr lebt anders als die meisten Menschen, das finde ich spannend", erwidere ich.

"Wie alle anderen haben wir Familien und wollen unsere Ruhe. Fändest du es normal, bei wildfremden Menschen zu klingeln und sie dann über ihr Leben auszuquetschen?"

Ein anderer zeigt mit seinem Finger auf eine Dreiergruppe: "Da steht noch jemand von der Presse und unterhält sich mit dem Chef. Der kann dir alles sagen."

Kann er nicht. Der etwa 40-jährige Mann mit blondierten Haarspitzen und leicht verquollenen Augen verneint, der Chef zu sein. "Er zeigt wieder auf die Gruppe: Da ist der Chef." Ich ziehe weiter. Ich würde auch gerne Frauen ansprechen, doch die sehe ich nur hinter den Scheiben der Wohnwagen. Zwei von ihnen habe ich verpasst: Als ich noch bei der Gruppe stand, liefen zwei sehr schlanke, junge Frauen an uns vorbei. Im Gegensatz zu den Männern würden sie in jeder Fußgängerzone auffallen. Sie sind stark geschminkt, tragen kunstvoll hochgestecktes Haar, knallige Farben und knappe Shorts. Streng katholisch stelle ich mir eigentlich anders vor.

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Der nächste Mann, den ich anspreche, sieht aus wie ein Grundschullehrer kurz vor der Pension: gütiges Lächeln, randlose Brille, Regenparka, Jeans. Er nennt mich "Sweetheart" und statt auf meine Fragen zu antworten, will er wissen, wo genau ich herkomme, ob ich einen Mann und Kinder habe. Ob ich nicht einen anderen oder einen zusätzlichen Mann oder eine lesbische Beziehung wolle? Auf meine Fragen antwortet er nicht.

Schließlich treffe ich noch auf drei Männer, die sich auch nicht mit mir unterhalten wollen, aber eine Botschaft für mich haben. In Deutschland werde es immer schlimmer, überall vertreibe man sie. Daran seien auch die Journalisten schuld, die nur Schlechtes über sie schrieben. Einer holt ein Handy raus, ein Film zeigt eine Polizei-Hundertschaft am Rand ihres Abstellplatzes. "Das war in Düsseldorf. Meine Frau wurde von einem Polizisten geschubst. Wir werden hier wie Dreck behandelt." Eine Bande kleiner Jungs scharrt sich um mich, einer haut mir auf den Po und rennt weg. Reflexhaft greife ich mein Handy in meiner Jackentasche.

Der Mann mir gegenüber sagt: "Go home, Honey. Hier gibt es nichts für dich."

Ich fühle mich wie ein Eindringling, der nicht willkommen ist und aus dem man sich einen Spaß macht. Ich habe nichts über die Traveller erfahren. Als ich mich beim Gedanken an das Klischee der klauenden Reisenden erwische, ist es mir unangenehm. Nichts weist darauf hin: Die Leute fahren teure Autos, haben Wohnwagen, die gut in Schuss sind, tragen Multifunktionsjacken. So stelle ich mir keine Diebe vor.

Ich würde sie noch immer gern verstehen lernen. Aber ein bisschen verstehe ich auch, dass sie mich aus ihrem Vorgarten vertreiben.

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