Was das "identitäre" T-Shirt eines Ex-Botschaftsmitarbeiters in Israel wirklich bedeuten könnte

FYI.

This story is over 5 years old.

Schwarz-blaue Geschichten

Was das "identitäre" T-Shirt eines Ex-Botschaftsmitarbeiters in Israel wirklich bedeuten könnte

Ein Ex-Botschafts-Attaché und FPÖ-Bezirksrat posierte in einem T-Shirt der 'Phalanx Europa' in Israel. Alles ein absurder Zufall – oder absichtliche rechte Symbolik?

Dieser Artikel ist Teil unserer laufenden Berichterstattung über die schwarz-blaue Regierung, die wir hier unter dem Namen "Schwarz-blaue Geschichten" gesammelt haben. FPÖ-Parteimitglieder haben es wirklich nicht leicht. Da wird man plötzlich mit Regierungsverantwortung erschlagen, kann sich nicht mehr auf die Oppositionsrolle berufen und dann muss man auch noch den Staat nach außen hin als Mitglied der Regierung oder in diplomatischen Funktionen repräsentieren.

Anzeige

Während die oberen Parteimitglieder, etwa Heinz-Christian Strache persönlich, den optischen Wandel zum staatstragenden Vizekanzler mittels Utensilien wie einer Brille vollziehen, scheinen sich die Mitglieder auf der unteren Parteiebene noch nicht ganz einig zu sein, welcher Look für Repräsentationszwecke am sinnvollsten ist.

Das zeigt sich zum Beispiel an Jürgen-Michael Kleppich, Attaché an der österreichischen Botschaft in Israel und FPÖ Bezirksrat in Wien-Leopoldstadt. Der Mann dachte sich kurz nach seinem Dienstantritt im Jänner 2018, es sei in seiner diplomatischen Funktion in Israel besonders angemessen, ein Bild von sich in einem T-Shirt mit dem Wort "Frundsberg" aus dem Versandhandel Phalanx Europa auf Facebook zu veröffentlichen.

Phalanx Europa wird dabei laut Impressum von Martin Sellner und Patrick Lenart, Leiter der österreichischen "Identitären", betrieben. Das Bild reiht sich in Kleppichs Sammlung zweifelhafter Fotos ein; so postete er 2017 ein Foto seines Großvaters in Nazi-Uniform mit Hakenkreuz.

Am 20.3.2018 machte der Falter diese Vorgänge dann publik. Frundsberg sei nicht nur der Name eines deutschen Heerführers, sondern auch der einer SS-Panzerdivision gewesen. Österreichische und internationale Medien griffen reihenweise die Geschichte auf. Kleppich wurde umgehend "zur Klärung" zurückbeordert. Es wird sich wohl auch zeigen müssen, warum ein Mann, der sich mit der NS-Vergangenheit seiner Familie brüstet, überhaupt ausgerechnet nach Israel beordert wurde.

Anzeige

Kleppich war auf Anfrage zu den Vorfällen nicht erreichbar und auch die Phalanx Europa wollte uns keine Stellungnahme geben. Während es jedoch bei Kleppich so scheint, als sei er öffentlich ganz auf Tauchstation gegangen, wehrten sich Lenart und Sellner gegen die Vorwürfe, es gebe irgendeine Verbindung zur NS-Zeit oder Rechtsextremismus.

Während Sellner auf Breitbart ein Interview gab und davon sprach, dass Phalanx Europa eine patriotische Marke sei, das T-Shirt bloß an die Schlacht von Pavia 1525 erinnern würde und die Empörung der linken Medien wieder einmal überzogen sei, ging Lenart einen Schritt weiter. Erst lieferte er sich auf Twitter ein Duell mit dem ungewöhnlichen Gespann Florian Klenk vom Falter und Richard Schmitt von der Krone; einen Tag später postete er dann auf Facebook eine umfangreiche Stellungnahme zur Causa:

Wie auch Sellner berief sich Lenart darauf, das T-Shirt sei bloß eine Anerkennung von Georg von Frundsberg, dem tapferen deutschen Heerführer, der äußerst erfolgreich Söldnerverbände gegen die Franzosen führte. Liebevoll von seinen Truppen als "Vater" bezeichnet, errang er seinen größten Erfolg 1525 bei Pavia, wo er auch den französischen König gefangen nahm. Frundsberg habe 400 Jahre vor dem Aufstieg der Nazis gelebt, seine Vereinnahmung habe nicht nur durch diese stattgefunden, sondern auch durch das österreichische Militär. Alle Interpretationen als Nazi-Skandal würden dabei jedwede Absurdität übertrumpfen.

Anzeige

In einem Absatz sprach Lenart die besondere Kreativität eines Antifaschisten an. Er habe eine Verbindung zwischen der Beschreibung des T-Shirts und völkischer, antisemitischer Literatur gefunden. Ich kenne den Tweet dieses kreativen Antifaschisten ziemlich gut – ich habe ihn nämlich selbst geschrieben. An dieser Stelle auch ein Dankeschön, dass die "identitäre" Jury in diesem Jahr mich mit dieser Auszeichnung bedacht hat.

Sieht man sich nun das Stück auf der Website der Phalanx Europa an, findet sich das T-Shirt tatsächlich neben solchen mit anderen europäischen Militärfiguren, wie den Spartiaten oder den Templern. Auf der ersten Blick kann man, in Verbindung mit der Jahreszahl, wohl wirklich nicht von der Hand weisen, dass das Frundsberg-Shirt dem Feldherrn gewidmet sein soll.

Das Frundsberg-Shirt auf der Shopseite

Während aber die Beschreibung in einem Versandhandel wie Zalando wahrscheinlich so etwas Langweiliges wie "Einfarbiges Logoshirt mit Rundhalsausschnitt" oder "100 Prozent Baumwolle" stehen würde, lassen es sich die selbsternannten "Identitären" nicht nehmen, in der Beschreibung jedes ihrer Kleidungsstücke eine epische Geschichte über den Kampf des kleinen Patrioten gegen die Windmühlen der Political Correctness zu erzählen. So liest man zum Frundsberg-Shirt:

Neben der Erkenntnis, dass Rasenmähen dich zu einem heruntergekommenen Zeitgenossen macht (aber ohne heruntergekommenen Garten), ist es vor allem der zweite Absatz, der hier interessant ist. Nachdem Lenart selbst mich auf die Beschreibung brachte, machten mich die Wörter "[…] oder als Wehrbauern genau diese Typen verjagten und am nächsten Baum aufknüpften (und dabei das Brummelbeerlied pfiffen, für alle, die Bescheid wissen)" etwas stutzig. Es ist in der (deutschen) Sprache nun mal so, dass Wörter und Formulierungen in der Regel eine Bedeutung haben und sehr selten ohne Absicht verwendet werden. Das gilt auch für Zusätze wie "für alle, die Bescheid wissen".

Anzeige

Schreibe ich in die Info zu einem Leiberl "88 Prozent Baumwolle", kräht kein Hahn. Hänge ich "88 Prozent Baumwolle (für alle, die Bescheid wissen)" dazu, werd ich mir wohl die Frage gefallen lassen müssen, was ich mit diesen 88 Prozent ausdrücken will – erst recht, weil ich durch den Zusatz ja selbst explizit auf eine versteckte Bedeutung hingewiesen habe.

Wehrbauern waren dabei Bauern, denen die Verteidigung der Grenzen des Reiches im Mittelalter oblag. Dass dieser Ausdruck (wie "Frundsberg") auch unter den Nazis gebräuchlich war – es war angedacht, den Lebensraum im Osten durch solche Wehrbauern zu sichern –, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Auch, wenn es das System der Wehrbauern seit über 1000 Jahren gibt, und die "Identitären" daher wohl wieder jede Doppelbedeutung als völlig absurd abtun würden, ergibt das inzwischen zwei Überschneidungen mit der NS-Zeit. Bei nur einem einzigen T-Shirt.

Die Frage ist aber, wovon eigentlich alle Bescheid wissen, wenn sie an Wehrbauern denken, die das Brummelbeerlied pfeifend Leute aufknüpfen. "Brummelbeer" ist ein in Norddeutschland gebräuchlicher Begriff für die Brombeere. Und tatsächlich; das Brombeerlied ist ein altes deutsches Volkslied, dessen Text von einem Mädchen handelt, das in den Wald zum Brombeerpflücken geht und von zwei Jägern "verführt" wird.

Sucht man auf YouTube nach dem Lied, handelt es sich bei den ersten fünf Videos um solche, bei denen das Brombeerlied als Soldatenlied behandelt wird – untermalt von Bildern deutscher Soldaten aus der NS-Zeit. Es gibt aber auch wirklich absurde Zufälle!

Anzeige

Jetzt wird aber das Lied eben nicht als Brommbeerlied in der Beschreibung geführt, sondern in seiner norddeutschen Variante "Brummelbeerlied". Wie Lenart anmerkte, wurde ich hier kreativ. Was ich konkret Kreatives getan habe, war, die Phrase "pfiff das Brummelbeerlied" aus Interesse zu googeln. Und tatsächlich war als erstes Ergebnis der Roman Der Wehrwolf von Hermann Löns aus 1910.

Es ist übrigens auch äußerst schwer, das Wort "Brummelbeerlied" in sonst einem Roman – außer jenen von Löns – zu finden. Das hängt damit zusammen, dass Löns es bevorzugte, die dialektalen Ausdrücke der Regionen zu verwenden, in denen seine Romane spielten. Im Anhang von Der Wehrwolf findet sich schließlich im Erklärungsvokabular "Brombeere – Brummelbeerlied, bekanntes altes Lied das folgendermaßen beginnt: Es wollt ein Mädchen früh aufstehen." (vergleiche oben).

Dass das Wort Brummelbeerlied sich im Roman findet, kann natürlich wiederum ein absurder Zufall sein. Soweit ersichtlich, gibt es aber, aufgrund der dialektalen Intentions Löns weit und breit überhaupt keinen anderen Autor, der das Wort "Brummelbeerlied" in einem Roman verwendete (Vgl.: Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts, Band I, Seite 66).

Es kann aber auch sein, dass meine Kreativität hier mit mir durchgegangen ist. Wobei Martin Sellner selbst in seinem Vlog zum Skandal die fragliche Stelle der T-Shirt-Beschreibung verliest und ab 18:15 im Video nur kurz meint, wer Bescheid weiß, auf welches Buch sich die Beschreibung bezieht, solle einen Kommentar unter das Video setzen. Und siehe da, welch absurder Zufall, dass direkt einer der Kommentare darunter lautet:

Anzeige

Im Roman pflegt der Protagonist Harm Wulf das Brummelbeerlied übrigens vor und nach seinen Totschlägereien zu pfeifen. Das in der Beschreibung des Shirts genannte Pfeifen des Brummelbeerlieds kommt bereits am Ende des ersten Kapitels wortgleich so vor – siehe den obigen YouTube-Kommentar.

Und es findet sich sechs weitere Male im Roman. Der Roman handelt von wehrhaften Bauern, "den Wehrwölfen" im Dreißigjährigen Krieg, die sich gegen fremde Eindringlinge wehren und ihren Mann stehen. Der Roman endet schließlich in Löns’ Zeit, mit einem Nachfahren Harm Wulfs – Hermann, einem Landtagsabgeordneten.

Auch dieser pfeift aus Freude über die Reichtstagswahl am Ende des Romans das "Brummelbeerlied", während darauf verwiesen wird, dass der Knüppel seines Vorfahren, mit dem dieser Leute totzuschlagen pflegte, nach wie vor zuhause hängt. Löns wollte damit wohl verdeutlichen, was passieren würde, wenn die Politik in den Augen der "Wehrwölfe" versagen würde (Vgl.: Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts, Band I, Seite 66).

Der Wehrwolf ist klassisch völkisch-deutschnationale Literatur. Löns war glühender Antisemit. Seine Werke wurden unter den Nazis Verkaufsschlager. Der Wehrwolf wurde außerdem der Hitlerjugend zur Lektüre verordnet, um sie auf einen Untergrundkampf nach Manier der "Wehrwölfe" einzustimmen. Und schon wieder stoßen wir auf einen dieser absurden Zufälle.

Freilich können all diese Zusammenhänge äußerst kreativ gesponnen worden sein: ein General nach dem eine Nazi-Division benannt wurde; das Wort "Wehrbauer", das zu einem militärischen Konzept der Nazis führt; eine Beschreibung, die zum völkischen Roman eines antisemitischen, von den Nazis verehrten Autoren führt; ein von ihm verfasster Roman, der davon handelt, wie ein Lied, das in derselben Beschreibung vokommt und quasi ausschließlich von ihm verwendet wurde, von Leuten gepfiffen wurde, nachdem sie andere totschlugen; und die Anspielung des Autors, wie die "Wehrwölfe" sich wieder erheben würden, wenn die Politik nicht so laufen sollte, wie sie sich das vorstellen würden.

All das können absurde Zufälle und kreative Verschwörungstheorien sein. Wie Patrick Lenart vermutet, könnte mein wirres Weltbild Grund für diese Geschichte sein. Harte Kerle würden sich doch niemals hinter solchen Symboliken und versteckten Anspielungen verstecken. Aber wenn wir von so vielen Überschneidungen mit rechtsextremen Inhalten reden, dann muss man sich in seine Plaid gewickelt fragen: "Was ist absurder: Die Nazi-Referenzen in allen diesen absurden Zufällen? Oder dass jemand all diese Beispiele zufällig zusammenträgt, ohne dass ihm eine einzige dieser Nazi-Referenzen auffällt?" Für alle, die Bescheid wissen.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Twitter.