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Wie es ein angeblicher islamistischer Gefährder in alle Medien schaffte

Die Protagonisten dieses verwirrenden Stücks: ein Tunesier, die Berliner Polizei, die Ausländerbehörde Sachsen, der tote Anis Amri und Deutschlands Medien.
Symbolfoto: imago | Jochen Tack

Wenn es um Abschiebungen aus Deutschland geht, überschlagen sich einige Medien mit reißerischen Zeilen. Bild schrieb im September 2017 über einen "Abschiebeflieger voller Sex-Täter", die B.Z. eröffnete einen Artikel über den Tunesier Fathi Ben M. am Dienstag so: "Der islamistische Gefährder dealte dort, wo auch Weihnachtsmarkt-Terrorist Amri Drogen verkauft hatte." Das liest sich dramatisch, hat aber in beiden Fällen einen Schönheitsfehler. Im aktuellen Fall musste sich nun Berliner Polizei einschalten.

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Der rbb hatte zuerst berichtet: Mitte Dezember 2017 nahm die Polizei Fathi Ben M. fest, als er gerade an der Warschauer Brücke Drogen verkaufen wollte. Beamte fanden bei ihm "acht Gramm verschiedener Betäubungsmittel und fünf Tabletten". Nähere Angaben zu der Art der Drogen machten sie nicht. Weil sich M.s Identität vor Ort nicht klären ließ, musste er mit auf die Wache am Ostbahnhof. Der Beschuldigte hatte 18 Fake-Identitäten, erst als die Polizisten seine Fingerabdrücke in der Datenbank überprüften, konnten sie M. identifizieren. Anschließend durfte der Mann gehen – zum Unmut vieler Medien.

Fathi Ben M. sei ein "islamistischer Gefährder" und ausreisepflichtig, berichtete der rbb. Deutsche Behörden hätten seinen Asylantrag längst abgelehnt und schon dreimal versucht, ihn abzuschieben. M. soll jedesmal untergetaucht sein. Bild schrieb, M. sei eine "Kontaktperson" von Anis Amri, dem Attentäter vom Breitscheidplatz, gewesen. Die Information stammt von der Ausländerbehörde in Sachsen, die über Fathi Ben M.s Aufenthaltsstatus entscheidet. M. reiste im Juni 2014 nach Deutschland ein, die Behörden wiesen ihm dem Landkreis Bautzen im Osten Sachsens zu. Warum wurde der Mann also nicht direkt mit Blaulicht in ein Abschiebegefängnis gefahren?

Weil er zum Zeitpunkt seiner Festnahme nicht zur Fahndung ausgeschrieben war, erklärt die Polizei Berlin in einer Pressemeldung. Erst am 26. Januar 2018, über einen Monat später, habe das Amtsgericht Tiergarten beschlossen, dass Fathi Ben M. in Abschiebehaft genommen werden kann. Dabei muss es hektisch geworden sein, denn am Ende dieser "eilbedürftigen Entscheidung" stand das Wort "Gefährder" im Gerichtsbeschluss. Und zwar nur da. Doch für diese Einschätzung, schreibt die Polizei Berlin, lagen keine "polizeilichen Erkenntnisse" vor – weder in Berlin noch in Sachsen und auch in keinem anderen Bundesland.

Trotzdem: Die Falschmeldung war in der Welt und verbreitete sich rasch. Besonders unglücklich ist das, weil sie sofort für politische Zwecke gebraucht wurde. "Wir brauchen in Berlin schnellstmöglich Abschiebehaft und Unterbindungsgewahrsam", forderte die Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Kerstin Philipp. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Fall Anis Amri, Burkhard Dregger von der CDU, fürchtete, dass die Behörden aus dem Terroranschlag in Berlin nicht genug gelernt hätten. Lutz Bachmann, der Pegida-Frontmann, teilte einen Artikel der Morgenpost in seinem Facebook-Feed, seine Follower kommentierten "Dummdeutschland" darunter und riefen zur Selbstjustiz auf.

Der rbb hat in der Zwischenzeit seinen Beitrag korrigiert, wundert sich aber darüber, wie das Wort "Gefährder" in den Beschluss kam. Bei der B.Z. nur ein kurzer Satz in einem News-Ticker. Fatih Ben M. soll aktuell wieder untergetaucht sein, dieses Mal fahnden die Behörden nach ihm.

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