Roma werden in Österreich immer noch diskriminiert – und es ist jedem scheißegal
Symbolfoto: imago | Detlev Konnerth

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Zu viel gerühmtes Österreich

Roma werden in Österreich immer noch diskriminiert – und es ist jedem scheißegal

SS-Runen, brennende Zelte und "Zigeuner"-Beschimpfungen: Warum wir Antiziganismus nicht länger ignorieren dürfen.

"In Österreich leben prozentuell gesehen einfach viel weniger Roma als zum Beispiel in Ungarn – deswegen interessiert das keine Sau." Das sagt der junge Schriftsteller und Roma-Aktivist Samuel Mago, als ich ihn bei unserem Treffen im Amerlingbeisl frage, warum Rassismus gegen Roma gesellschaftlich weit mehr akzeptiert ist als andere Formen des Rassismus.

Die Zahl der in Österreich lebenden Roma ist statistisch schlecht erfasst – Schätzungen bewegen sich irgendwo zwischen 25.000 und 80.000 Personen. Dass die Diskriminierung dieser Menschen, also Antiziganismus, keine Sau interessiert, damit behält Samuel leider Recht. Und das, obwohl uns das alles sehr wohl interessieren müsste. Antiziganismus ist kein Phänomen des rechten Randes, sondern eines der Mehrheitsgesellschaft.

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Laut dem Grundlagenpapier von antigypsyism.eu herrscht in Europa ein "rationaler Antiziganismus" vor: Diskriminierungen gegenüber Roma werden demnach als nachvollziehbar und legitim angesehen. Deshalb sei Antiziganismus im öffentlichen Diskurs eher die Regel als die Ausnahme. So auch in Österreich: Antiziganismus ist ein Thema, das uns regelmäßig von den Boulevard-Titelblättern entgegenschlägt, ohne dass wir es überhaupt noch merken. Und die Geschichte dieser oft übersehenen Form der Diskriminierung geht weit zurück.

Im Nationalsozialismus galten "Zigeuner" als unerwünscht und minderwertig und fielen zu einem großen Teil dem Holocaust zum Opfer. So überlebten laut dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in der NS-Zeit nur zirka 15 Prozent der etwa 12.000 in Österreich lebenden Roma und Sinti. Der Völkermord und sein "rassischer Hintergrund" wurden lange Zeit nicht anerkannt. 1956 entschied der deutsche Bundesgerichtshof beispielsweise, dass die Verfolgung der "asozialen Eigenschaften der Zigeuner" nicht "rassenideologisch" motiviert gewesen sei.

Das Klischee vom feurigen "Zigeuner", der sich der Mehrheitsgesellschaft entzieht

Vieles vom damals gängigen "Zigeuner"-Klischee sitzt auch heute noch in unseren Köpfen: Die Vorstellung vom fahrenden Volk, von bildungsunwilligen, autonomen Personengruppen, heißblütig und leidenschaftlich, die gerne stehlen und betteln, kein Privateigentum kennen und sich allen Regeln unserer zivilisierten Gesellschaft entziehen.

Diese Stereotype kommen nicht von ungefähr, wie Ferdinand Koller vom Verein Romano Centro im Gespräch mit VICE erklärt: "Dinge, die man vermeintlich über Roma weiß – dass sie beispielsweise das fahrende Volk sind und in Wohnwägen leben – sind bei vielen Menschen als Wissen gespeichert. Es ist vielen nicht klar, dass das ein rassistisches Vorurteil ist, das mit der Realität sehr wenig zu tun hat. Die europäischen Gesellschaften haben in der Abgrenzung zu anderen, zu Fremden, ihr Selbstverständnis entwickelt. Diese Abgrenzung hat man gebraucht, um sich seiner selbst zu vergewissern. Da hat das 'Zigeuner'-Stereotyp in Europa eine ganz wichtige Rolle gespielt." Selbst zur Schulzeit einiger unserer RedakteurInnen wurde noch "Lustig ist das Zigeunerleben" gesungen – ein Lied, das abwertende Roma-Stereotype reproduziert, und auch im umstrittenen Liederbuch der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt zu finden ist.

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Der Verein Romano Centro ist eine Selbstvertretungsorganisation für Roma in Österreich, die seit 1991 besteht. Gemeinsam mit Roma setzen sich die MitarbeiterInnen für die Verbesserung der Situation der Roma ein – in Form von Bildungsprojekten, Berichten und Beratungsangeboten.

"Am Anfang hab ich gedacht: 'Rassisten können nicht schreiben, wie funny.' Bis ich realisiert habe, dass der Schriftzug auf die SS-Runen anspielen soll."

Blättert man durch den aktuellen Bericht von Romano Centro, versteht man, was Ferdinand Koller meint, wenn er sagt, die Gesellschaft würde es nicht als ihre Aufgabe begreifen, Antiziganismus zu bekämpfen. Von Kinofilmen, die Stereotype reproduzieren, Aufklebern mit der Aufschrift "Zigeuner bringen Kriminalität und Krankheiten nach Österreich", über ein Schuhgeschäft in Dornbirn, in dem Roma nicht bedient wurden, bis hin zu Zugführern, die einen Fahrgast als "Scheiß Trottel-Zigeuner" beschimpfen – Antiziganismus zeigt sich im Zugang mit Gütern und Dienstleistungen, in der Popkultur, in unserem Alltag und auch in wichtigen Bereichen der gesellschaftlichen Teilhabe wie dem Arbeitsmarkt.

Auch gewalttätige Übergriffe kommen immer wieder vor – wenn auch vergleichsweise selten und dann nicht unbedingt im medialen Scheinwerferlicht. Im Februar 2016 ereignete sich zum Beispiel eine Serie von Brandanschlägen in Linz, bei denen innerhalb von zwei Wochen drei Mal Zelte von Roma-Familien angezündet wurden.

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Eine der gemeldeten und mittlerweile entfernten Schmierereien aus Wien. Foto zur Verfügung gestellt von Samuel Mago

Für Ferdinand Koller sind solche Übergriffe das eine, die öffentlichen Reaktionen darauf aber eine andere Sache: "Ich finde es bedenklich, dass man diesen Personen nie ein sicheres Quartier angeboten hat. Es war von Anfang an klar, dass es Brandstiftung war. Und auch, nachdem man denen zum zweiten Mal alles angezündet hat, war immer noch niemand Offizielles da, der gesagt hätte: 'Geht jetzt bitte in dieses Haus, bevor etwas passiert.' Auch erschreckend war die Reaktion des Linzer Bürgermeisters, der zwar die Gewalt verurteilt hat, aber zum Ausgleich auch betonte, dass das organisierte Banden sind, die ein menschenverachtendes Geschäftsmodell betreiben. Da wurde gleich mitkommuniziert: 'Wir wollen die hier nicht haben, die sind eh Gesindel'."

Ein Aspekt, der noch recht neu ist, sind die "Roma Rauss"-Schriftzüge, die laut Koller seit etwa 2016 immer wieder auf Werbeflächen, Wahlplakaten oder in U-Bahn-Stationen in Wien auftauchen. Samuel Mago hat diese Schriftzüge immer wieder an das Romano Centro gemeldet, wie er im Interview erzählt: "Vor allem in Stationen der Linien U3 und U6 habe ich die gesehen, auch Nähe Mariahilfer Straße und Westbahnhof. Immer die Worte 'Roma Rauss' mit zwei S. Am Anfang hab ich gedacht: 'Rassisten können nicht schreiben, wie funny.' Bis ich realisiert habe, dass der Schriftzug auf die SS-Runen anspielen soll."

Das Märchen von der Bettelmafia

Ein Faktor, der das Bild der Mehrheitsgesellschaft in Hinblick auf Roma wohl maßgeblich prägt, ist die Medienberichterstattung – vor allem die des Boulevards. Obwohl die Berichterstattung über Roma laut Koller in den letzten Jahren abgenommen hat – vermutlich aufgrund der stärkeren medialen Fokussierung auf Geflüchtete –, zeichnen die Medienberichte ein eindeutiges Bild.

Vor allem die immer wiederkehrende Geschichte der Bettelmafia spielt hier eine wichtige Rolle, wie Koller erklärt: "Man muss natürlich auch verstehen, dass diese Bettelmafia-Geschichte nicht ohne Antiziganismus funktioniert. Vor allem in der Kronen Zeitung gibt es immer wieder Kampagnen, mit denen gegen bettelnde Menschen und für Bettelverbote Stimmung gemacht wird. Da ist auch die Sprache sehr interessant, weil bestimmte Worte verwendet werden, um das Ganze zu dramatisieren. Da ist immer von einer 'Bande' die Rede, nicht von einer Gruppe. Oder von einem 'Clan' statt einer Familie. Die wohnen nicht, sondern die 'hausen'. Die fahren nicht, sondern die 'werden gekarrt'."

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Aus eigener Erfahrung und von Organisationen wie der Caritas oder der Bettellobby wisse Koller jedoch, dass es sich bei den betroffenen Menschen immer um Armutsbetroffene handelt, die sich zusammentun, Fahrgemeinschaften bilden, miteinander wohnen, Informationen austauschen. "Ganz normal eben", so Koller. "Die Bettelmafia gibt es so nicht." Armutsbetroffene Menschen organisieren sich, immer wieder kommt es vereinzelt zu Ausbeutung und auch Verurteilungen. Von den mafiösen Strukturen, die der Boulevard gerne verbreitet, ist das alles jedoch weit entfernt.

"Wer nun immer noch leugnet, dass es in Wien eine Bettelmafia gibt, der verschließt die Augen vor der Realität." – Johann Gudenus

Auch durch PolitikerInnen werde dieses Bild immer wieder absichtlich verbreitet, um Bettelverbote zu legitimieren. In einer Aussendung der FPÖ aus dem Dezember 2017 wird eben diese Verbindung mehr als deutlich: Unter der Headline "Bettelmafia ist aktiver denn je" fordert die FPÖ "einmal mehr ein sektorales Bettelverbot". "Wer nun immer noch leugnet, dass es in Wien eine Bettelmafia gibt, der verschließt die Augen vor der Realität", so Johann Gudenus weiter.

In einem Bericht von SOS Mitmensch macht sich die Autorin auf die Suche nach der sagenumwobenen Bettelmafia und stößt auf einen Bericht von ORF Salzburg aus dem Jahr 2009, in dem von der Bettelmafia und bösartigen Hintermännern die Rede ist – weitere Informationen werden jedoch eher vage gehalten. Im Interview mit dem Augustin zum Thema sagt ein Oberst der Salzburger Polizei etwas, das bezeichnend für die Debatte ist: "Wir wollen es nicht tolerieren, speziell im Sommer während der Festspielzeit, wo viele Gäste da sind und das einfach kein gutes Bild macht, wenn in der Getreidegasse oder sonst in der Altstadt viel gebettelt wird."

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Das Bild, das in den Medien vermittelt wird

"In österreichischen Medien haben wir bis heute ein Bild von Parasiten", erzählt Samuel Mago. "Ich zieh immer sehr gern Vergleiche zwischen den 1930er-Jahren und der heutigen Zeit, wenn es um die Darstellung von Roma geht. Da gibts das Bild vom Parasiten: Damals waren das die 'Zigeuner-Ratten', die sich in die 'Arier-Gesellschaft' reindrängen und sie ausnutzen wollen. Heute sind das die Armutsmigranten, die immer als Roma gezeichnet werden, auch wenn man nicht Roma drauf schreibt. Wir haben bis heute ein Bild vom dummen, ungebildeten Rom. Wir haben bis heute ein Bild vom unhygienischen, schmutzigen Rom. Wir haben zum Beispiel Bilder in Artikeln, in denen es um Roma in Österreich geht, die aus einer Datenbank kommen, wo dann Roma aus schmutzigen Slums gezeigt werden." Das Problem: Es gebe keine Gegenbilder von Roma, die mitten in der Gesellschaft leben und Vorbilder sind.

Der springende Punkt daran: Es gibt diese Gegenbilder nicht, weil niemand sie für notwendig hält. Ferdinand Koller beobachtet in seiner Arbeit, dass bei antiziganistischen Vorfällen nur selten ein Aufschrei stattfindet. In Postings unter Artikeln, die sich zum Beispiel gegen Homosexuelle oder Flüchtlinge richten, gebe es immer Menschen, die sich mit diesen Betroffenen solidarisieren. "Das gibt es beim Antiziganismus kaum. Da gibt es halt ein paar Roma-Organisationen, und da nicht einmal viele, die dieses Thema offensiv angehen", so Koller weiter.

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"Das Bewusstsein geht so weit, dass man nicht mehr 'Zigeuner' sagt, aber da hört's dann auch schon auf."

Aber Koller bleibt optimistisch und betont, dass sich was tut. Zum Beispiel auf EU-Ebene: Das EU-Parlament hat eine Resolution gegen Antiziganismus in Europa veröffentlicht. Auch was die Verwendung des Wortes "Zigeuner" angeht, würde es vorangehen. Der Haken: "Das Bewusstsein geht so weit, dass man nicht mehr 'Zigeuner' sagt, aber da hört's dann auch schon auf", so Koller.

Die "Zigeuner"-Produkte in den Supermärkten werden laut Koller immer weniger, auch wenn manche Brands noch nicht verstanden haben, warum man solche Produktnamen ändern sollte, wie ein aktuelles Facebook-Posting zeigt: Jemand beschwerte sich beim Kundendienst von Kelly’s über den Produktnamen "Zigeunerräder" und bekam folgende Antwort:

"Unser Produkt Zigeunerräder wurde bereits in den 50er Jahren erstmals verkauft. Der Name und die Vermarktungsstrategie ergibt sich damals wie heute aufgrund der feurigen Paprikawürzung. Über Jahrzehnte sind Zigeunerräder ein vom Konsumenten 'gelerntes' Produkt und eine Namensänderung hätte ganz sicher einen Kaufrückgang zur Folge. Der Kunde verbindet seit Jahren mit diesem Namen ein Kelly’s Produkt mit würzigem Paprikageschmack."

Ein Problem, das Roma alleine nicht lösen können

Samuel Mago wird selbst nicht als Rom diskriminiert – und das aus einem ganz offensichtlichen Grund, wie er selbst sagt. Er ist hellhäutig, hat helle Haare und einen roten Bart, und entspricht nicht im geringsten dem "Zigeunerstereotyp". Er meint, es gebe die guten Roma und die bösartigen "Zigeuner", zwischen denen der Normalbürger in Österreich unterscheidet. Einerseits die tollen Musiker und Kulturschaffenden, die als feurige, leidenschaftliche, "gute Zigeuner" romantisiert werden – ein Stereotyp, auf das sich auch die Antwort von Kelly’s bezieht. Und andererseits die vermeintlichen "schlechten Zigeuner", die oft gar keine Roma sind, aber diesem Stereotyp entsprechen.

Hin und wieder zeigt Mago sich dennoch bewusst als Rom: "Ich hab da so einen Anstecker, auf dem eine Roma-Fahne drauf ist. Die steck ich mir ganz oft an, wenn ich auf eine Veranstaltung geh. Eine Kollegin hat mal gesagt: 'Du hast es leicht. Du kannst deinen Button abnehmen, und dann bist du plötzlich kein Rom mehr.' Und das stimmt auch. Es gibt viele Roma, die quasi unsichtbar leben können. Ganz viele verschweigen auch ihre Herkunft, weil sie wissen, dass sie ihren Job verlieren oder keinen Ausbildungsplatz finden könnten." Auch in seiner Arbeit als Sozialarbeiter sieht er das jeden Tag. Er hat viel mit Menschen zu tun, die keinen Job bekommen, aber nicht wissen, warum – oder es nicht wahrhaben wollen.

"Ich glaube, da gibts so Abstufungen, welchen Rassismus man wie ernst nimmt, und da ist der Antiziganismus relativ weit unten – wenn nicht ganz unten", sagt Ferdinand Koller im Gespräch. Dass sich das ändern muss, steht für mich nach unserem Interview fest. Antiziganismus ist ein Problem der Mehrheitsgesellschaft, ein Problem der Medien. Und an diesen Akteuren liegt es, etwas zu tun. Samuel Mago hat sich vor ein paar Jahren vorgenommen, dagegen zu kämpfen. Er erlebt derzeit, wie sich eine Bewegung aus jungen AktivistInnen formt, die gegen diese Form von Rassismus kämpfen will. Aber er weiß auch, dass das allein nicht reicht: "Roma alleine können das Problem nicht lösen."

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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