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Rassismus

Warum ich mich unter Weißen immer unwohler fühle

Bei allem, was gerade in der Welt passiert, kann es passieren, dass mich die unbedarfte Bemerkung einer privilegierten Person an die Decke gehen lässt – und damit bin ich nicht allein.
Standbild aus Get Out | mit freundlicher Genehmigung von Universal Pictures

Ich bin ständig auf 180; noch genervter als sonst, wenn Menschen meinen Namen in Form einer Frage wiederholen; ängstlich und unruhig, wenn ich mich in einem Raum umschaue und bemerke, dass ich die einzige nichtweiße Person bin.

So geht das jetzt schon seit über einem Jahr. Früher war ich nicht so.

Ich lebe in den USA, die meisten meiner Freunde sind weiß und männlich. Sie sind es nicht gewohnt, mich in diesem Zustand zu sehen und sie wissen auch nicht wirklich, wie sie darauf reagieren sollen. Lange wusste ich selbst nicht, was eigentlich zu meinem Persönlichkeitswandel geführt hat – selbst dann nicht, als sich die Antworten quasi vor mir auftürmten, und das fast 24/7.

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Der Einreisestopp gegen Muslime. Die Grenzmauer zu Mexiko. Charlottesville. Puerto Rico. Donald Trump. Harvey Weinstein. Wutbürger. Manspreader und mach-Platz-für-mich-auf-dem-Bürgersteig-Arschlöcher.

Rassismus und toxische Männlichkeit sind nichts Neues, aber die USA befinden sich gerade mitten in einer Art Abrechnung. Bei jeder neuen Meldung glaubt man, das Fass sei jetzt endgültig übergelaufen, aber aus dem Hahn strömt es einfach weiter heraus. Beim Aufwischen kommt schon lange niemand mehr hinterher. Ich selbst tue mich schwer, das alles nicht zu nah an mich heranzulassen und einfach mein Leben weiterzuleben. Ich habe das Gefühl, zu ersticken. Vor allem wenn ich mich an Orten befinde, an denen Weiße, Heteros oder anderweitig Privilegierte in der Überzahl sind.

Befreundete People of Color, mit denen ich für diesen Artikel gesprochen habe, stimmen mir zu. Wir alle haben diese Unterhaltung in letzter Zeit unverhältnismäßig oft geführt. Zwar haben wir alle einen anderen Hintergrund und jeder von uns hat sein Anderssein auf sehr unterschiedliche Art erlebt, aber wir sind es alle gewohnt, in den meisten Situationen zur Minderheit zu gehören. Und wir alle fühlen uns in überwiegend weißen Settings zunehmend unwohl.

"Obwohl ich als einer der wenigen Nichtweißen in einem wohlhabenden Vorort aufgewachsen bin, habe ich unsere kulturellen Differenzen nie so akut wahrgenommen."

Diese Abneigung ist für mich Neuland. Obwohl ich als einer der wenigen Nichtweißen in einem wohlhabenden Vorort aufgewachsen bin, habe ich unsere kulturellen Differenzen nie so akut wahrgenommen. Meine Eltern, die in den 70ern von Indien in die USA emigriert waren, hatten es sich auf die Fahne geschrieben, meinem Bruder und mir das Gefühl zu geben, hierher zu gehören. Die Tatsache, dass sich unser Familienalltag Welten entfernt von dem Amerika anfühlte, mit dem ich mich in der Schule rumschlagen musste und das ich im Fernsehen sah, belastete mich nicht mehr als meine Erkenntnis, dass ich auf Jungs und nicht auf Mädchen stehe. Egal, von welcher Seite du es auch betrachtet hast: Ich passte einfach nicht rein.

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Ich freundete mich also mit Weißen an und schließlich auch mit Queeren, von denen die meisten ebenfalls weiß sind. Ich habe mich wohl oder übel immer vollkommen von der weißen amerikanischen Kultur assimiliert gefühlt. Das hat mir wahrscheinlich auch das Leben erheblich erleichtert, jetzt aber scheint es sich zu rächen.

"Die Angst befindet sich nie weit unter der Oberfläche", sagt Thomas A. Parham, ein Psychologe, Lehrbeauftragter und Vizekanzler für Studierendenangelegenheiten an der University of California, Irvine, der viel zur Psychologie von Minderheiten geforscht hat. "Man braucht bloß durch soziale Gegebenheiten daran erinnert zu werden, dass die Dinge so sind wie sie sind. Das gesellschaftliche Klima zwingt auf diese Weise nichtweiße Menschen, sich jeden Tag damit auseinanderzusetzen."

Parham betont, dass diese Gefühle für die meisten Minderheiten keineswegs neu seien, sie würden lediglich auf neuartige Weise verschlimmert werden. "Die emotionale Reaktion, die die meisten People of Color erfahren, ist keine 'Angststörung' im klinischen Sinne", sagt Parham. "Es ist mehr eine Reaktion auf bestimmte Umstände, in denen sie mit Mikroaggressionen, Mikroangriffen oder Mikroentwertungen konfrontiert werden." Und das gilt insbesondere für ein Klima, in dem sich Menschen besonders berechtigt zu solchen Dingen fühlen.

Hier ist ein Beispiel:

Ich war auf einer Cocktailparty mit einem guten Dutzend schwuler Gäste – allesamt weiß. Als ein anderer Nichtweißer zu mir kam und sich vorstellte, erkannten wir beide, dass unsere Familien aus Südasien stammen. Als ein anderer Gast daraufhin fragte, woher wir das denn wüssten, schaute ich ihn an und sagte nur trocken: "Woher weißt du denn, dass du weiß bist?" Außerdem bemerkte ich, dass es nett sei, eine andere Person of Color im Raum zu haben und spielte damit auf die offenkundige Zusammenstellung der Partygesellschaft an. Besagter Gast schaute sich daraufhin im Raum um, als würde er nach etwas Ausschau halten, mit dem er meine Aussagen widerlegen kann. "Na ja, es ist nicht so, als bekämst du zum Weißsein einen großen Preis geschenkt", sagte er schließlich grinsend, bevor er uns den Rücken zukehrte.

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Sollte das vielleicht ein Witz sein? Ich konnte es beim besten Willen nicht sagen. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Ich wollte schreien und Sachen durch die Gegend schmeißen. "Leider nur … extreme Privilegien?", murmelte ich ihm stattdessen halbherzig mit einem Fragezeichen hinterher – als würde ich aufpassen, ihn nicht zu verletzen. Dann drehte ich mich um und ging weg.


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"Ich habe so abgedrehte Scheiße passieren sehen, dass ich mich umgeben von so vielen Weißen nervös fühle", sagt meine Freundin Zoe Jackson, eine schwarze TV-Produzentin, über solche Szenarien, wie ich sie erlebt habe. "Vor allem aus Sorge um mein emotionales Wohlbefinden. Ich warte quasi nur darauf, dass jemand irgendwelchen blöden Scheiß zu mir sagt und mir damit die Laune versaut."

Ich weiß genau, was sie damit meint.

"Ich tendiere mittlerweile viel mehr dazu, alle Nichtweißen in einem Raum zu zählen. Das habe ich definitiv nicht immer schon gemacht", sagt Nadia Brittingham, eine TV-Redakteurin mit weißem Vater und taiwanesischer Mutter. Sie sagt auch, dass sie "mehr in der Defensive ist", wenn sie mit Weißen, die sie gerade erst kennengelernt hat, in eine Unterhaltung über Ethnie und Gender gerät. "Ich beginne sogar, mich selbst zu hinterfragen", sagt Jackson. "Ich denke mir dann: 'Warum bin ich überhaupt in dieser Situation? Habe ich die Entscheidung selbst getroffen oder wurde sie für mich getroffen?'"

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"Es gibt Annahmen, die ins Spiel kommen, wenn ich einen Raum betrete", sagt Marcus Barnes. Barnes ist schwarz und Vizepräsident einer Bank. "Ich tendiere automatisch dazu, das auf mich selbst zu richten", beschriebt er den Kreislauf negativer Selbstgespräche, den er erst nach vielen Jahren durchbrechen konnte. "Wenn es zum Beispiel irgendwo niemand anderen wie mich gibt, dann wollen die in meinem Kopf auch keine Menschen wie mich dort haben. Die wollen keine Menschen wie mich, weil ich zu dunkel bin, meine Nase zu groß ist, ich mich nicht gut genug kleide und meine Frisur zu unordentlich ist. Wenn ich doch nur angesehener wäre, und so weiter." Im vergangenen Jahr zog er in die Schweiz, bis dahin hatte er in den USA gelebt. Im Ausland fühle er sich viel willkommener, als er es in den Staaten je getan habe.

"Wir versuchen, Menschen dabei zu helfen, sich weniger auf die acht von zehn Dingen zu konzentrieren, über die sie keine Kontrolle haben, und mehr auf die zwei von zehn, die sie selbst in der Hand haben."

Parham versucht Mitglieder von Minderheiten dabei zu helfen, mit dieser Angst umzugehen, die sich zunehmend aus der eigenen Identität speist. Patienten, Studierenden und anderen, mit denen er arbeitet, bringe er dafür Strategien aus der kognitiven Verhaltenstherapie bei. "Wir versuchen, Menschen dabei zu helfen, sich weniger auf die acht von zehn Dingen zu konzentrieren, über die sie keine Kontrolle haben, und mehr auf die zwei von zehn, die sie selbst in der Hand haben", erklärt Parham. Auf diese Art könnten sie "den Kontext entsprechend umdeuten, damit nicht sofort alles schlecht ist oder jeder zum Rassisten wird". Diese Strategie scheinen die meisten Menschen, mit denen ich für diesen Artikel gesprochen habe, unbewusst bereits anzuwenden.

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"Ich hol mich zurück in die Realität im Sinne von 'Ich weiß gar nicht, was diese Menschen über mich denken'", sagt Barnes. "Je mehr Zeit ich in meinem Kopf verbringe, desto weniger beschäftige ich mich mit den Menschen um mich herum."

"Du kannst dein Leben nicht aus einer Position der Angst leben", ergänzt Jackson. "Gleichzeitig beiße ich mir aber nicht auf die Zunge. Wenn ich recht habe, habe ich kein Problem damit, anderen Leuten das Leben schwer zu machen."

Während ich ihr zuhöre, wünsche ich mir, dass mir eine treffendere Antwort für den unfreundlichen Partygast eingefallen wäre. Ich war aber auch einfach zu schockiert. Ich war immerhin auf einer Party, verdammt noch mal. In diesem Umfeld konnte ich einfach nicht die Energie aufbringen, um daraus eine fruchtbare Unterhaltung zu machen und ihm zu erklären, warum genau sein Spruch so verletzend war.

"Zur gleichen Zeit sind wir alle unglaublich froh über unsere weißen Freunde, die sich in letzter Zeit als tolle Verbündete erwiesen haben."

Brittingham sagt, sie hätte in letzter Zeit "intensivere Unterhaltungen" mit weißen Freunden geführt, einfach um deren Reaktionen zu testen. Aber: "Gleichzeitig tendiere ich dazu, so etwas nicht zu tun, weil ich mich dadurch nur noch mehr als anders positioniere." Auch das Gefühl kenne ich – dass Hinweise auf mein Anderssein dieses Bild nur weiter festigen und ich zudem vielleicht auch der Einzige bin, der sich ständig damit rumschlagen muss. "Ich denke mir nur: 'Wenn ich mir so sehr den Kopf darüber zerbrechen muss, warum du nicht?'", so Brittingham.

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Zur gleichen Zeit sind wir alle unglaublich froh über unsere weißen Freunde, die sich in letzter Zeit als tolle Verbündete erwiesen haben – das können auch so minimale Gesten sein wie bloßes Zuhören, oder dass sie die Grenzen ihrer eigenen Wahrnehmung anerkennen.

Indem wir uns einfach zusammengesetzt und geredet (und in manchen Fällen etwas Dampf abgelassen) haben, haben wir uns einer weiteren Strategie bedient, die Parham zur Gefühlsbewältigung empfiehlt. "Indem Menschen in Gruppen zusammenkommen und sich über diese Probleme unterhalten, merken sie, dass sie nicht allein sind", so Parham. So sehr das scheinbar auf der Hand liegt: Du fühlst dich schnell allein, wenn du die einzige POC im Raum bist – aus welchen Gründen auch immer.

Es kann von unschätzbarem Wert sein, sich Zeit dafür zu nehmen, um explizit über solche Erfahrungen zu sprechen. "Diese Unterhaltungen lebendig zu halten, ist unglaublich wichtig und sehr therapeutisch für mich", sagt Jackson. "Wege zu finden, einfach unsere Erfahrungen zu teilen, darüber zu sprechen und uns gegenseitig zu unterstützen – ich glaube, wir brauchen das. Das macht es mir viel leichter, da rauszugehen."

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