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Rap-Razzia

Die Polizei hat am Freitag die Wohnung von Marcus Staiger gestürmt

Die Justiz hält den Musik-Journalisten offenbar für einen Staatsfeind.
Foto: Facebook Marcus Staiger

Marcus Staiger war schon immer ein gefährlicher Typ: Als Chef des Labels "Royal Bunker" hat er Musiker wie wie Kool Savas, Eko Fresh oder K.I.Z entdeckt und den Straßenrap in Deutschland etabliert. Oder wie unsere Kollegen von Noisey das ausdrücken: "Er hat Unmoral und Verrohung über Gesellschaft und Jugend gebracht."

Wenn man der Berliner Staatsanwaltschaft glaubt, ist es seitdem nur noch schlimmer geworden: Die verdächtigt den Musikjournalisten nämlich, ein Staatsfeind zu sein. Weshalb sie ihm am Freitagmorgen ein Kommando von 17 Polizisten mit schusssicheren Westen ins Haus schickte.

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Auf Facebook beschreibt der Journalist die Methode, mit der sich die Beamten Zugang zu seiner Wohnung beschafften. Um Viertel nach Sieben habe es an seiner Tür geklingelt. "Ich war ein wenig überrascht, als mir ein junger Mann in DHL-Uniform ein Päckchen entgegenhielt", schreibt Staiger. "Und noch überraschter war ich dann, als hinter ihm, ein, zwei, drei, vier, fünf … Polizeibeamte aufploppten und unter lauten 'Polizei, Polizei'-Rufen die Wohnung stürmten."

Der Grund für die Stürmung: Staiger wird offenbar verdächtigt, die "Revolutionäre 01. Mai"-Demo am 1. Mai 2017 in Berlin "geplant, organisiert und durchgeführt" zu haben.

Diese Demo findet schon seit knapp 30 Jahren jedes Jahr statt. Früher hatte es dabei immer wieder heftige Ausschreitungen gegeben, in den letzten Jahren verliefen die Demos aber verhältnismäßig friedlich. Ein Grund dafür ist das Myfest, das ein lokales Bündnis seit mehreren Jahre mitten in der Konfliktzone veranstaltet, und das Zehntausende Menschen anzieht, die mit Politik wenig am Hut haben, aber die Sonne und die Musik genießen wollen. Das hatte aber wiederum zur Folge, dass die linksradikalen Demonstranten immer weniger Platz für ihre politischen Kundgebungen hatten – die Polizei nutzte das Myfest auch wiederholt als Begründung, um den Linken die gewünschten Demonstrationsrouten zu untersagen. Aus Protest dagegen hatten die Organisatoren dieses Jahr beschlossen, die Demo einfach unangemeldet mitten durch das Myfest zu führen.

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Die Entscheidung war nicht unheikel: Wenn die Polizei darauf bestanden hätte, die Demo zu verhindern, hätte es mitten in dem friedlichen Straßenfest zu ziemlich hässlichen Szenen kommen können. Schließlich entschied sich die Polizei aber, die Demo zu "tolerieren", und am Ende beurteilten Journalisten den Tag als "weitgehend friedlich" (es flogen ein paar Steine und Flaschen, die Polizei sprühte Pfefferspray und nahm 40 Demonstranten fest, ein paar Demonstranten schlugen einem rbb-Journalisten ins Gesicht und zerstörten sein Telefon).

Aber obwohl die Polizei sich an dem Tag selbst nachsichtig mit der unangemeldeten Demo zeigte, kündigte der Berliner Innenminister Andreas Geisel (SPD) kurz darauf an, dass es für den Organisator der Demo strafrechtliche Konsequenzen geben würde. Das Nichtanmelden einer Demonstration sei eine Straftat, erklärte Geisel drei Tage später. Die Polizei habe während der Demonstration Beweise gesammelt, die Versammlungsleiter seien mittlerweile "namentlich bekannt", so Polizei-Sprecher Thomas Neuendorf. Seitdem hatte man von den Ermittlungen nicht mehr viel gehört. Bis jetzt.

Denn offenbar gehört Marcus Staiger zu den Hauptverdächtigen, zusammen mit dem Aktivisten Arian Wendel. Die Hausdurchsuchung diente offenbar dazu, Beweise zu sichern. Der Journalist gibt an, die Beamten hätten "meine Rechner, mein Handy und Arbeitsmaterialen" mitgenommen.

Staiger selbst wehrt sich gegen den Vorwurf, die Demo organisiert zu haben: "Ja klar, wir haben – wie übrigens auch der Rest der Myfest-Crew und große Teile der Kreuzberger Bevölkerung – die Demo begrüßt und natürlich finden wir sie richtig und wichtig", schreibt er auf Facebook. Aber: Er habe an dem Tag etwas anderes organisiert, nämlich ein Rap-Konzert im Rahmen des MyFests. Das Konzert hat tatsächlich stattgefunden, das MyFest bewirbt es auf seiner Webseite, Dutzende Rapper und Acts haben daran teilgenommen. Eine klare Sympathie für die Revolutionäre Demo ist auch im Programm zu erkennen: Genau um 18:00 Uhr war eine "Ansprache" zur Demo geplant, außerdem wollte man "die Musik für eine Stunde ruhen lassen". Trotzdem ist nicht ganz klar, wie der Organisator eines seit 12 Uhr mittags laufenden Rap-Konzertes auch noch eine komplette konspirative Demo mit 10.000 Teilnehmern geplant und durchgeführt haben soll.

Allerdings: Selbst wenn der Verdacht gegen den Journalisten gerechtfertigt wäre, wirkt eine Überraschungs-Hausdurchsuchung mit 17 Polizisten ziemlich übertrieben. Unangemeldete Demos sind ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, dafür gibt es meistens nur eine Geldstrafe. Das Höchste, was jemand in Berlin wegen ähnlicher Verstöße mal zahlen musste, waren 800 Euro. Warum man dafür jemandem um kurz nach sieben Uhr morgens die Wohnung einrennen muss, weiß wohl nur die Berliner Polizei. Die will ihr Vorgehen aber auch auf Anfrage nicht kommentieren.

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